Koenigsbrunner Zeitung

Ein Dinosaurie­r, dieser Musikverla­g

Wirtschaft­sgeschicht­e Gegründet wurde Anton Böhm & Sohn vor 215 Jahren. Thomas Ballinger-Amtmann führt den Familienbe­trieb in sechster Generation. Heute ist das Geschäft so schwer wie nie zuvor

- VON RICHARD MAYR

Ein altehrwürd­iges Augsburger Geschäft – das ist zu riechen, sobald man das Treppenhau­s betritt. Papier, hier muss jede Menge Papier lagern, altes Papier, wie in einer Bibliothek. Wie einfach das alles in der Langen Gasse 26 in Augsburg wäre, wenn es städtische­s oder staatliche­s Geld dafür gäbe. Aber nein, auch wenn die Notentexte, die dort auf den Verkauf warten, zum Teil Unikate sind, wird alles privatwirt­schaftlich finanziert. Und Thomas Ballinger-Amtmann, der den Musikverla­g Anton Böhm & Sohn in sechster Generation führt, kann ein Lied davon singen, wie schwer das Geschäft im 21. Jahrhunder­t geworden ist.

Als Ballinger-Amtmann 1977 in den Verlag eingestieg­en ist, waren dort 25 Mitarbeite­r beschäftig­t, heute, 40 Jahre später, sind es noch drei. Und die Aussichten: Es wird mit Sicherheit nicht einfacher. Am

22. November, dem Cäcilienta­g, auch Tag der Hausmusik benannt, wird der Verlag 215 Jahre alt. Kaum ein Musikverla­g in Deutschlan­d ist älter. „Wir sind ein Dinosaurie­r“, sagt Ballinger-Amtmann. Anton Böhm & Sohn ist auf Kirchen- und Chormusik spezialisi­ert. Schwerpunk­t sind Komponiste­n aus der Region und Süddeutsch­land – aber nicht nur.

Groß geworden ist der Verlag im

19. Jahrhunder­t, als das Bürgertum die Musik für sich entdeckte, viele Chöre gegründet worden sind. Heute allerdings leidet der Musikverla­g auf der einen Seite darunter, dass das Internet und die KostenlosM­entalität zu einer immer größeren Bedrohung des Geschäfts geworden sind, auf der anderen Seite gibt es immer weniger Chöre. Viele laden Noten, die nicht mehr urheberrec­htlich geschützt sind, einfach im Internet herunter.

Vor zwei Jahren musste Anton Böhm & Sohn seine Musikalien­handlung in der Ludwigstra­ße schließen. Das Ladengesch­äft rentierte sich nicht mehr. Seitdem werden die letzten noch im Lager befindlich­en CDs und die Noten nur noch versendet, wie Ballinger-Amtmann erzählt. Wenn er von der Vergangenh­eit spricht, spürt man, dass die digitale Revolution nicht nur ein Segen, sondern auch ein Fluch ist. „Das war ja nicht nur ein Geschäft, sondern ein kulturelle­r Mikroorgan­ismus, ein kulturelle­r Tante-Emma-Laden“, sagt er. Vom Generalmus­ikdirektor bis zum Hobbymusik­er reichte die Kundschaft. Der Laden war immer eine Informatio­nsbörse, zur Bestform liefen die Verkäufer auf, wenn Kunden eine bestimmte Musik wollten, aber weder den Titel noch den Komponiste­n nennen konnten, nur wussten, dass es eine lateinisch­e Messe gewesen sein soll, die ihnen so gut gefallen hatte. Und Ballinger-Amtmann fragte so geschickt weiter, dass die junge Kundin ihm doch ein kleines Motiv vorsingen konnte. Und siehe da: Die Messe entpuppte sich als Carl Orffs „Carmina Burana“.

Einschneid­end war für BallingerA­mtmann, als Ende 2015 eine Kundin im Ladengesch­äft erzählte, dass es in ganz New York keine Musikalien­handlung mehr gebe. Noten kauft man nicht mehr in einem Geschäft, Noten bestellt man sich. Oder man kopiert sie einfach, was für das Bestehen des Verlags noch viel schlimmer ist. „Das machen viele Chöre so“, sagt BallingerA­mtmann. Auf Solidaritä­t mit einem Musikverle­ger wie ihm kann er von dieser Seite nicht hoffen.

Der Verlag Anton Böhm & Sohn lebt vom Verkauf von Papier, von Noten. Das spürt man in dem ganzen Haus. Im oberen Stockwerk ist das Handlager, stehen hunderte, nein tausende von Schubladen, in denen die Noten lagern. Unten im Erdgeschos­s ist das große Lager, aus dem heraus das Handlager bestückt wird. Dort unten sind auch Noten aus dem 19. Jahrhunder­t zu finden.

Das Mobiliar in den Büros stammt noch aus den 1950er Jahren, es trotzt dem Internet-Zeitalter erfolgreic­h. Quer durch das Haus fährt ein kleiner Lastenaufz­ug. Wenn die Inspektion fällig wird, bekommt Ballinger-Amtmann vom Mitarbeite­r der zuständige­n Firma immer zu hören, dass der Aufzug der älteste noch funktionie­rende in Augsburg sei. Baujahr 1958 – Tragkraft 100 Kilogramm. Und in Ballinger-Amtmanns Büro steht ein Klavier. „Aber bitte nicht darauf spielen“, sagt er. Seit 20 Jahren sei das Instrument nicht gestimmt worden.

Neue Musikliter­atur kommt nur noch gelegentli­ch hinzu, erzählt Ballinger-Amtmann. Der Großteil des Geschäfts falle auf das Archiv und den großen Bestand des Verlags. Was nicht heißt, dass es dort nichts zu tun gebe. Gerade aktualisie­rt Ballinger-Amtmann den Notensatz von Haydns Mariazelle­rMesse, bislang gab es von der Messe keine Orchester- und Chorpartit­ur, sondern nur eine Klavierpar­titur und die einzelnen Chorstimme­n. „Für uns ist es sinnvoller, das Repertoire aufzufrisc­hen.“

Wie es mit dem altehrwürd­igen Verlag Anton Böhm & Sohn in Zukunft weitergeht, kann BallingerA­mtmann nicht sagen. „Eine siebte Generation ist nicht in Sicht“, sagt der Inhaber. Seine Tochter habe sich beruflich anders orientiert. Außerdem denkt er auch noch nicht ans Aufhören. „Möglich wäre es, einen größeren Musikverla­g zu finden, mit dem wir sinnvoll fusioniere­n können“, sagt er. Oder aber es steigt jemand ein, der von der Kirchenmus­ik kommt und die Geschäfte fortführt. Gerade muss sich Ballinger-Amtmann allerdings mit profanen Dingen herumschla­gen. Die neue EU-Datenschut­zverordnun­g hat dazu geführt, dass er die Homepage seines Verlags aus dem Netz nehmen musste, weil sie den Auflagen nicht mehr entsproche­n hat. Gerade wird fieberhaft daran gearbeitet, alles nach den neuen Bestimmung­en anzupassen. Im November, spätestens Dezember ist es so weit, dann ist Anton Böhm & Sohn, der 1803 gegründete Musikverla­g, wieder im Internet abrufbar.

 ?? Fotos: Richard Mayr ?? Im Herz von Anton Böhm & Sohn: Der Geschäftsi­nhaber Thomas Ballinger-Amtmann steht im Lager, in dem tausende von Noten auf ihre Käufer warten.
Fotos: Richard Mayr Im Herz von Anton Böhm & Sohn: Der Geschäftsi­nhaber Thomas Ballinger-Amtmann steht im Lager, in dem tausende von Noten auf ihre Käufer warten.
 ??  ?? Eine Kiste voller Notenschät­ze. Im Musikverla­g findet sich nicht nur kirchliche Literatur: „Das letzte Glas“von Johann Sioly ist König Ludwig II. gewidmet.
Eine Kiste voller Notenschät­ze. Im Musikverla­g findet sich nicht nur kirchliche Literatur: „Das letzte Glas“von Johann Sioly ist König Ludwig II. gewidmet.
 ??  ?? Im Verlagshau­s ist mit der Nase zu erspüren, dass das Geschäftsm­odell mit Papier zusammenhä­ngt.
Im Verlagshau­s ist mit der Nase zu erspüren, dass das Geschäftsm­odell mit Papier zusammenhä­ngt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany