Leben in einer Welt ohne Emotionen
Erfahrung Buchautorin und Ärztin Christine Preißmann zeigt, wie sie als Asperger-Autistin den Alltag meistert. Anschaulich berichtet sie von Vorfällen, die ihr Angst machen und wie sie in der Schule verspottet wurde
Königsbrunn Christine Preißmann ist Ärztin und Buchautorin, doch wenn sie auf Vortragsreise geht, hat sie nicht nur einen Plan A, sondern auch B, C und sogar D parat, um sich sicher zu fühlen, denn Preißmann ist Asperger-Autistin. Vor knapp hundert Zuhörern führt sie anschaulich aus, mit welchen Barrieren sie im Alltag zurechtkommen müsse. Heute spricht man von Autismus-Spektrum-Störung (siehe Infokasten). Menschen, die im Autismus-Spektrum leben, seien nicht immer auf den ersten Blick mit ihrer Behinderung zu erkennen.
Das Wesen der Betroffenen, das ganz vielfältig und unterschiedlich ist, zeigt vor allem immer eine Störung im Umgang mit anderen Menschen. Preißmann unterstreicht dies: „Wir haben eine andere Wahrnehmungsfähigkeit. Uns fällt es schwer, Gedanken, Gefühle und Handlungen anderer Menschen zu verstehen.“Weiter erklärt sie, dass oft kein Gefühl für ganz normale Dinge wie Sattheit, Müdigkeit oder Kälte vorhanden wäre, dass klare Strukturen im Alltag notwendig und generell die Furcht vor Veränderungen vorhanden ist. Der Betroffene benötige ausgeklügelte Pläne für Situationen, die die Zukunft betreffen oder die bei unvorhersehbaren Ereignissen möglicherweise eintreten.
Wenn man ihrem Vortrag folgt, den sie sicher und auch mit teils humorigen Einlagen, einem Filmausschnitt und später einer ausführlichen Fragerunde lebendig und souverän abhält, kann man sich einen persönlichen Leidensweg und die Eingeschränktheit im Alltag kaum vorstellen. Sie selbst betont, sie habe auch viel Glück in ihrem Leben gehabt, in einigen Situationen die richtigen Menschen getroffen zu haben. Sie habe inzwischen gelernt, die eigenen Stärken gezielt einzusetzen, um das Leben zu bewältigen, könne selbstbestimmt und selbstständig für sich sorgen. Das wünscht sie auch anderen betroffenen Menschen. Sie glaubt, dass es durch bessere Aufklärung über diese Ent- und auch durch Veränderungen in der Berufswelt sogar Chancen in der Zukunft geben kann. Gerade die digitalisierte Arbeitswelt würde da auch Chancen bieten, ist sie sich sicher. Schon heute wären Menschen mit AutismusSpektrum-Störung oft gute Arbeitnehmer. Ihre eigenen Bedürfnisse nach Exaktheit, Pünktlichkeit, Perfektionismus seien gute Voraussetzungen für eine Beschäftigung, trotzdem wären bis zu 80 Prozent ohne Job. Fehl am Platz sieht sie für die meisten autistischen Menschen, besonders vom Typ Asperger, eine Arbeit in Behinderten-Werkstätten, da handwerkliches Geschick und Kreativität gerade nicht die Stärken wären. Kritisch betrachtet die Ärztin den eingeschränkten Zugang für betroffene Menschen zu und in unserem Gesundheitswesen. Es gäbe so viele Betroffene, die dadurch nicht gut medizinisch versorgt seien. Da ja bereits der Besuch beim Arzt mit langer Wartezeit oder die Untersuchungen mit notwendigem Körperkontakt richtig Angst und Schmerzen auslösen würden, würde eine regelmäßige ärztliche Vorsorge gemieden. Sie sei bei ihrer Diagnosind sestellung mit erst 27 Jahren richtig befreit gewesen. So wurde vieles klar, wobei sie sich zuvor isoliert oder falsch betrachtet gefühlt habe. Dank 20 Jahre Psychotherapie und einer neunjährigen Ergotherapie habe sie mit ihrer Behinderung gut zu leben gelernt. Heute arbeitet sie selbst als Therapeutin und reist als Buchautorin für die ihr eigene Mission. Mit ihren Büchern will sie für Aufklärung auch außerhalb der Welt der Wissenschaft sorgen. Dass umgekehrt auch das Umfeld von Betroffenen an Grenzen stoße, kann sie sich gut vorstellen.
Plastisch auch ihre Beispiele von sprachlichen Bildern wie „Du hast ein Brett vor dem Kopf“, „Ich könnte platzen“oder „Das ist zum aus der Haut fahren“. Solche Sprüche werden von Betroffenen wörtlich genommen und dann innere Unruhe und Ängste auslösen, während diese Reaktionen das Gegenüber verwirren. Oft werde man ohne Diagnose als dumm, faul, unwicklungsstörung fähig oder gar als ignorant bezeichnet. Ihre eigene Schulzeit hat Preißmann als schlimmste Lebensphase erlebt. Mit ihrer Unfähigkeit, Texte zu analysieren und Aufsätze zu schreiben, wogegen sie in Mathematik und naturwissenschaftlichen Fächern sehr gut war, wurde sie zum Gespött der Klasse, weil vom Lehrer ihre Arbeiten als abschreckendes Beispiel vorgelesen wurden. Sie hält ein Plädoyer für ein Umdenken, auch bezüglich der Barrierefreiheit, die man nicht nur auf abgeflachte Bordsteine reduzieren könne. Die Stiftung Lebenshilfe hatte zu diesem besonderen Vortrag über den Themenkomplex Autismus-Spektrum-Störung in die Brunnenschule eingeladen. Anschließend konnten sich die Zuhörer über das spezielle Lernmaterial informieren, das die Lebenshilfe für die Brunnenschule anschaffte. Einige suchten auch noch den Kontakt zu Christine Preißmann, um persönliche Fragen zu stellen oder wie Bärbel Krasztinat Dank auszusprechen: „Ich möchte mich bei Ihnen bedanken für Ihren aufklärenden und so persönlichen und Mut machenden Vortrag.“
Aussagen lösen innere Unruhe und Ängste aus
Lockere Sprüche werden wörtlich genommen