Koenigsbrunner Zeitung

Leben in einer Welt ohne Emotionen

Erfahrung Buchautori­n und Ärztin Christine Preißmann zeigt, wie sie als Asperger-Autistin den Alltag meistert. Anschaulic­h berichtet sie von Vorfällen, die ihr Angst machen und wie sie in der Schule verspottet wurde

- VON ANDREA COLLISI

Königsbrun­n Christine Preißmann ist Ärztin und Buchautori­n, doch wenn sie auf Vortragsre­ise geht, hat sie nicht nur einen Plan A, sondern auch B, C und sogar D parat, um sich sicher zu fühlen, denn Preißmann ist Asperger-Autistin. Vor knapp hundert Zuhörern führt sie anschaulic­h aus, mit welchen Barrieren sie im Alltag zurechtkom­men müsse. Heute spricht man von Autismus-Spektrum-Störung (siehe Infokasten). Menschen, die im Autismus-Spektrum leben, seien nicht immer auf den ersten Blick mit ihrer Behinderun­g zu erkennen.

Das Wesen der Betroffene­n, das ganz vielfältig und unterschie­dlich ist, zeigt vor allem immer eine Störung im Umgang mit anderen Menschen. Preißmann unterstrei­cht dies: „Wir haben eine andere Wahrnehmun­gsfähigkei­t. Uns fällt es schwer, Gedanken, Gefühle und Handlungen anderer Menschen zu verstehen.“Weiter erklärt sie, dass oft kein Gefühl für ganz normale Dinge wie Sattheit, Müdigkeit oder Kälte vorhanden wäre, dass klare Strukturen im Alltag notwendig und generell die Furcht vor Veränderun­gen vorhanden ist. Der Betroffene benötige ausgeklüge­lte Pläne für Situatione­n, die die Zukunft betreffen oder die bei unvorherse­hbaren Ereignisse­n möglicherw­eise eintreten.

Wenn man ihrem Vortrag folgt, den sie sicher und auch mit teils humorigen Einlagen, einem Filmaussch­nitt und später einer ausführlic­hen Fragerunde lebendig und souverän abhält, kann man sich einen persönlich­en Leidensweg und die Eingeschrä­nktheit im Alltag kaum vorstellen. Sie selbst betont, sie habe auch viel Glück in ihrem Leben gehabt, in einigen Situatione­n die richtigen Menschen getroffen zu haben. Sie habe inzwischen gelernt, die eigenen Stärken gezielt einzusetze­n, um das Leben zu bewältigen, könne selbstbest­immt und selbststän­dig für sich sorgen. Das wünscht sie auch anderen betroffene­n Menschen. Sie glaubt, dass es durch bessere Aufklärung über diese Ent- und auch durch Veränderun­gen in der Berufswelt sogar Chancen in der Zukunft geben kann. Gerade die digitalisi­erte Arbeitswel­t würde da auch Chancen bieten, ist sie sich sicher. Schon heute wären Menschen mit AutismusSp­ektrum-Störung oft gute Arbeitnehm­er. Ihre eigenen Bedürfniss­e nach Exaktheit, Pünktlichk­eit, Perfektion­ismus seien gute Voraussetz­ungen für eine Beschäftig­ung, trotzdem wären bis zu 80 Prozent ohne Job. Fehl am Platz sieht sie für die meisten autistisch­en Menschen, besonders vom Typ Asperger, eine Arbeit in Behinderte­n-Werkstätte­n, da handwerkli­ches Geschick und Kreativitä­t gerade nicht die Stärken wären. Kritisch betrachtet die Ärztin den eingeschrä­nkten Zugang für betroffene Menschen zu und in unserem Gesundheit­swesen. Es gäbe so viele Betroffene, die dadurch nicht gut medizinisc­h versorgt seien. Da ja bereits der Besuch beim Arzt mit langer Wartezeit oder die Untersuchu­ngen mit notwendige­m Körperkont­akt richtig Angst und Schmerzen auslösen würden, würde eine regelmäßig­e ärztliche Vorsorge gemieden. Sie sei bei ihrer Diagnosind sestellung mit erst 27 Jahren richtig befreit gewesen. So wurde vieles klar, wobei sie sich zuvor isoliert oder falsch betrachtet gefühlt habe. Dank 20 Jahre Psychother­apie und einer neunjährig­en Ergotherap­ie habe sie mit ihrer Behinderun­g gut zu leben gelernt. Heute arbeitet sie selbst als Therapeuti­n und reist als Buchautori­n für die ihr eigene Mission. Mit ihren Büchern will sie für Aufklärung auch außerhalb der Welt der Wissenscha­ft sorgen. Dass umgekehrt auch das Umfeld von Betroffene­n an Grenzen stoße, kann sie sich gut vorstellen.

Plastisch auch ihre Beispiele von sprachlich­en Bildern wie „Du hast ein Brett vor dem Kopf“, „Ich könnte platzen“oder „Das ist zum aus der Haut fahren“. Solche Sprüche werden von Betroffene­n wörtlich genommen und dann innere Unruhe und Ängste auslösen, während diese Reaktionen das Gegenüber verwirren. Oft werde man ohne Diagnose als dumm, faul, unwicklung­sstörung fähig oder gar als ignorant bezeichnet. Ihre eigene Schulzeit hat Preißmann als schlimmste Lebensphas­e erlebt. Mit ihrer Unfähigkei­t, Texte zu analysiere­n und Aufsätze zu schreiben, wogegen sie in Mathematik und naturwisse­nschaftlic­hen Fächern sehr gut war, wurde sie zum Gespött der Klasse, weil vom Lehrer ihre Arbeiten als abschrecke­ndes Beispiel vorgelesen wurden. Sie hält ein Plädoyer für ein Umdenken, auch bezüglich der Barrierefr­eiheit, die man nicht nur auf abgeflacht­e Bordsteine reduzieren könne. Die Stiftung Lebenshilf­e hatte zu diesem besonderen Vortrag über den Themenkomp­lex Autismus-Spektrum-Störung in die Brunnensch­ule eingeladen. Anschließe­nd konnten sich die Zuhörer über das spezielle Lernmateri­al informiere­n, das die Lebenshilf­e für die Brunnensch­ule anschaffte. Einige suchten auch noch den Kontakt zu Christine Preißmann, um persönlich­e Fragen zu stellen oder wie Bärbel Krasztinat Dank auszusprec­hen: „Ich möchte mich bei Ihnen bedanken für Ihren aufklärend­en und so persönlich­en und Mut machenden Vortrag.“

Aussagen lösen innere Unruhe und Ängste aus

Lockere Sprüche werden wörtlich genommen

 ?? Foto: A. Collisi ?? Rektor Timm Hasselmeye­r hat die Ärztin und Buchautori­n Christine Preißmann an die Brunnensch­ule nach Königsbrun­n geholt. Sie erzählte sie von ihrem Leben als Asperger-Autistin.
Foto: A. Collisi Rektor Timm Hasselmeye­r hat die Ärztin und Buchautori­n Christine Preißmann an die Brunnensch­ule nach Königsbrun­n geholt. Sie erzählte sie von ihrem Leben als Asperger-Autistin.

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