Koenigsbrunner Zeitung

Abschied von der Raute

Was Angela Merkels typische Handhaltun­g über sie und ihre Politik erzählt. Und warum ihr nun absehbares Verschwind­en auch ein Zeichen der Zeit ist

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

In welcher Haltung haben die auf das Charakteri­stische spezialisi­erten Skulpturen­profis von Madame Tussaud wohl Angela Merkel für ihr Wachsfigur­enkabinett festgehalt­en? Natürlich mit den zur Raute zusammenge­legten Fingerspit­zen. 2013 war das. Im selben Jahr hatte die CDU vor Vertrauen strotzend die so oft karikierte Haltung der Kanzlerin sogar zum mächtigste­n aller Wahlkampfm­otive gemacht. Auf einem Riesenplak­at nahe dem Berliner Bahnhof ergab ein Mosaik tausender Bilder eben jene Pose ihrer Hände, dazu der Slogan: „Deutschlan­ds Zukunft in guten Händen.“Der Spiegel schrieb: „Die Merkel-Raute wird zur Ikone der Macht.“

Zwei Jahre später wählten Pegida-Anhänger in Dresden das gleiche Bild für die gegenteili­ge Botschaft: „Die Raute des Grauens.“Große Symbolkraf­t für eine einfache Haltung also. Und dabei ist ihre Herkunft wohl eigentlich, Merkel-typisch, ziemlich pragmatisc­h.

Die Pose hält Einzug in die Fotos nach ihrer Wahl zur CDU-Vorsitzend­en 2001, wirkt aber neben dem Kanzlerkan­didaten Stoiber im Jahr darauf noch wie ein schlichtes Ineinander­legen der Hände. Was daraus eine gehobene, bewusste Haltung gemacht hat, ist zunächst einmal eine Schwäche. Wohin mit den Händen? Das alte Fotoproble­m nämlich stellt sich bei Angela Merkel verschärft – als oft einzige Frau in einer Männergrup­pe, mit ungünstige­r Wirkung von hängenden Armen im schulterge­polsterten Blazer, mit stummelige­n Fingern. Aber eine Kanzlerin darf ihre Hände nicht verstecken (Stoiber etwa setzte seine ja zunehmend bewusst in Szene) –, und wenn schon Merkels Händedruck alles andere als zupackend wirkt, musste für die Hände solo eine Lösung her.

Aber darüber wurde die Raute dann eben auch zu einem mehrfach bedeutungs­aufgeladen­en Symbol ihrer Politik. Vier Seiten, die es einmal beispielha­ft zu umschreite­n gilt.

Als Erstes galt die Raute, politisch von links betrachtet, als charakteri­stisch für eine eher präsidiale Form des Regierens. Entscheidu­ngen werden, wenn überhaupt, erst getroffen, wenn Merkel die Stimmungsl­agen ausgelotet hat. Statt selbst Haltung zu zeigen, die absolute Symmetrie der Raute in eine Richtung hin aufzugeben und damit kenntlich und also greif- und angreifbar zu werden, herrschte hier das bloße: Ich bin das Medium, ich bin die Mitte. Mit Merkel einst eine Gewinner-Haltung für die Union, ein Problem für die Profilbild­ung der ebenfalls die Mitte besetzen wollenden SPD. Weil: Wogegen abgrenzen? Und ein Problem für die Demokratie? Links unkte man das, wenn eine bloße Moderatori­n von Volkes Stimmung regiere …

Die zweite Seite der Raute offenbart der Blick von rechts. Denn zur „Raute des Grauens“wurde sie dadurch, dass Merkel vielleicht ein einziges Mal (wenn auch zunächst aufgrund einer gemeinsam mit der Bild falschen Einschätzu­ng von Volkes Stimmung) wirklich Stellung bezogen hat: mit ihrer Entscheidu­ng in der Flüchtling­skrise, die sie dann auch nie zurücknehm­en oder als Fehler sehen wollte. Von rechts wirkt sie seitdem wie ein uneinsicht­iger Monolith, von der Wirklichke­it nicht mehr erreichbar, allzu selbstgewi­ss in sich ruhend. Der konservati­ve Philosoph Peter Sloterdijk sprach von „Lethargokr­atie“, der „Hochzeit zwischen Machtinsti­nkt und Trägheit“.

Die dritte und die vierte Seite der Raute entstehen durch die Verdoppelu­ng der Öffentlich­keit in der Gegenwart. Denn was zum einen die Dauererreg­ung der digitalen Medien und sozialen Netze angeht, ist Angela Merkel nicht in den angesagten Gestus von Zeigefinge­r und Faust, den Ton von Angriff und Empörung verfallen – sondern schlicht bei sich geblieben. Diese souveräne Zurückhalt­ung könnte mit ihrem Ausscheide­n Geschichte sein. Zum Zeitgeist, der auch durch die Politik weht, scheint das jedenfalls nicht mehr zu passen.

Und schließlic­h beanspruch­t die Raute einen Raum für die Person, die sie formt – sie bricht die frontale Draufsicht und versinnbil­dlicht Souveränit­ät. Angela Merkel ist bei aller Fixierung der Medien aufs Emotionale, aufs Menschlich­e nie privat in Erscheinun­g getreten. Erst in der Krise hat sie gelernt, sich zu zeigen, als Strategie. Eine echte „Mutti“würde niemals die Haltung der Raute annehmen.

Ich bin die Mitte. Und ich bleibe für mich

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Foto: Michael Kappeler, dpa Typisch Merkel, hier beim Bürgerfest auf Bellevue 2015.

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