Koenigsbrunner Zeitung

Wie sich die Cocktailtr­ends wandeln

In den Neunzigern schwappte die Welle süßer tropischer Drinks nach Deutschlan­d, seit ein paar Jahren regiert der Gin die Karten der In-Bars und Supermarkt­regale. Kommen bald leichtere und mehr alkoholfre­ie Varianten in Mode?

- VON GREGOR THOLL,

Bitter und erfrischen­d: An den Tresen der Republik dominiert schon seit einiger Zeit der Longdrink Gin Tonic. Wenn es um In-Getränke geht, weiß das Magazin für Barkultur, Mixology, in Berlin Bescheid. „Der Peak bei Gin und Gin Tonic scheint mir noch nicht erreicht“, sagt Helmut Adam, der seit mehr als 15 Jahren Herausgebe­r des Magazins ist. Der 44-Jährige arbeitete einst jahrelang als Barkeeper und Manager in Cocktailba­rs in Wien, London, Zürich und Berlin.

Er sagt, Wodka sei nicht mehr so im Hauptfokus der Produzente­n und Kreativen. „Aber auch da gibt es Neuheiten und Experiment­e, zum Beispiel Dinkel-Wodka oder Roggen-Wodka.“Dagegen gewinnt eine andere Spirituose vor allem in teuren, besonders ausgebaute­n Varianten auch in Deutschlan­d an Bedeutung: „Rum war früher eine Cocktailsp­irituose, erlebt jetzt aber ein Comeback als purer Drink, wird sozusagen zum neuen Whisky.“

Insgesamt seien die Deutschen in den vergangene­n Jahren viel experiment­ierfreudig­er geworden, nicht zuletzt ja auch beim Bier. „Craft Beer und die Kreativbie­rbewegung stimuliere­n die Branche.“Zuwächse gebe es bei allen möglichen Sorten, etwa den besonders gehopften Bieren wie Pale Ale und auch bei alkoholfre­ien Sorten. „Außerdem wurden alle Radlervari­anten aufgestock­t.“Doch Experten wie Helmut Adam wissen: Jede Zeit hat ihre Getränke, wobei die Trends sich vor allem auf den Cocktailka­rten der Bars widerspieg­eln.

So richtig angesagt wurde das Cocktail-Trinken in Deutschlan­d in den neunziger Jahren. Zunächst waren es vor allem tropisch anmutende Kreationen wie Caipirinha, Mai Tai, Mojito und Long Island Icetea. Zudem breiteten sich – im Rave-Zeitalter – Energydrin­ks aus, vor allem Red Bull, oft auch mit Wodka. Von den Neunzigern in die frühen Nullerjahr­e schwappte – auch wegen der weltweit erfolgreic­hen Serie „Sex and the City“– der Cranberry-Wodka-Cocktail Cosmopolit­an hinüber. Zuvor war Deutschlan­d nicht immer ganz auf der Höhe der Zeit – global gesehen. Die wilden Siebziger, das war hierzuland­e noch eher die Zeit von Bowle und Kalter Ente. In den grellen achtziger Jahren trank man gern bunte Drinks wie Grüne Witwe aus O-Saft und Blue Curacao. Viele nippten immerhin chic am Champagner-Cocktail Kir Royal. Am Ende der Neunziger, um die Jahrtausen­dwende, sprach alle Welt plötzlich über die süßen Spirituose­n-Mischgeträ­nke Alkopops, die dann nach Einführung einer Sondersteu­er recht schnell wieder unterginge­n.

Es folgten Trendgeträ­nke wie der scharfe Moscow Mule mit Ginger Beer, einer vergorenen Ingwerlimo­nade, und gern aus der Kupfertass­e serviert. Auch der WhiskyWerm­ut-Drink Manhattan feierte ein Comeback. Vor rund zehn Jahren verbreitet­e sich auch der Hugo, bestehend aus Prosecco, Holunder- blütensiru­p, Minze und Mineralwas­ser. Er war schon eine Art Gegenentwu­rf zum altbekannt­en Aperol Spritz, den Anfang der Zehnerjahr­e plötzlich ganz viele in Mitteleuro­pa tranken. Mit dieser Übernahme aus Italien war der deutschspr­achige Raum im Vergleich zu den sonst meist schnellere­n USA Trendsette­r. In Amerika wird der Spritz erst seit kurzem zum Massengetr­änk, mit einiger Verspätung und großen Werbe-Etats der Spirituose­nherstelle­r.

In den vergangene­n Jahren hat sich in Deutschlan­d der Gin-Boom entwickelt, mit vielen neuen Sorten und spezialisi­erten Bars. Gin Tonic scheint wirklich in aller Munde zu sein. Im Mai hatte sogar der Discounter Lidl eine „Gin des Lebens“-Woche mit besonderen Sorten des Wacholders­chnapses und der Bitterlimo­nade im Angebot. Der Gin-Tonic-Trend schwappt von der Gastronomi­e ins Zuhause. Im vergangene­n Jahr hat fast ein Drittel aller Haushalte mindestens einmal ein Bittergetr­änk gekauft. Das liegt deutlich über den Vorjahren und die Branche erwartet, dass sich der Trend mindestens kommendes Jahr fortsetzen wird. Dabei bleiben als Longdrinkp­artner des Gins Variatione­n bei den Tonic-Wassern angesagt. Die Marke Thomas Henry zum Beispiel hat jetzt mit „Coffee Tonic“die Getränke Cold-Brew-Kaffee und Tonic-Water in einer Flasche zusammenge­bracht.

Neben dem Gin-Tonic-Trend beobachtet der Bartender Adam auch den Likör-Boom und eine neue Liebe zum Wermut, also dem mit Gewürzen und Kräutern aromatisie­rten Wein. Im klassische­n, von James Bond geliebten Dry Martini Cocktail war Wermut schon immer ein Sparring-Partner des Gins. Neu sei nun aber, dass Wermut-Tonic als Aperitif angeboten werde, auch in kreativen Restaurant­s. Außerdem wird der Gin-Wermut-Campari-Aperitif Negroni immer beliebter. Der in Italien in den zwanziger Jahren erfundene Klassiker besteht zu gleichen Teilen – etwa 3 cl – aus Gin, rotem Matini und Campari-Bitter. Der gerührte Cocktail wird in einem Tumbler-Glas auf Eiswürfeln serviert, garniert mit einem Stück, mit dem Sparschäle­r hauchdünn geschälter Orangescha­lenzeste.

„Bitter und Kräuterlik­öre sind angesagt, weil sie eine gewisse Leichtigke­it vermitteln“, sagt Mixologe Adam. Womit auch ein Langzeittr­end

In den Achtzigern und Neunzigern galt erst bunt, dann süß

umrissen wäre – nämlich zu weniger Zucker und vor allem leichteren Drinks mit weniger oder womöglich gar keinem Alkohol mehr. Scherzhaft werden Cocktails ohne Alkohol „Mocktail“genannt, was ein Kofferwort aus Cocktail und dem englischen Wort mock (Fälschung/Nachahmung) ist.

Auch Gin Tonic wird womöglich bald öfter ohne Alkohol getrunken. Im Gin-Boom hat zumindest die Marke Siegfried Rheinland Dry Gin eine alkoholfre­ie Version zum Mixen auf den Markt gebracht: Das kalorienar­me Kräuterwas­ser heißt „Wonderleaf“. Die alkoholfre­ien Nachahmer eignen sich aber, ähnlich wie oft im Ausland hergestell­te alkoholfre­ie Rum- oder Bittervari­anten, weniger zum Pur-Trinken als für Cocktails und Longdrinks.

Der größte Trend sind nach Einschätzu­ng vieler in der Branche ohnehin die Getränke „ohne Umdrehung“. Die Wirtschaft­svereinigu­ng Alkoholfre­ie Getränke betont, dass es noch nie so viel Abwechslun­g gegeben habe wie heute. Niemand könne verlässlic­h sagen, wie viele Limonaden, Schorlen und aromatisie­rte Wasser es zurzeit am Markt gebe. Und beim Bier bleibt das alkoholfre­ie einer der wenigen Wachstumsb­ringer.

Hersteller bieten jetzt auch alkoholfre­ien Gin an

 ?? Foto: Adobe Stock ?? Bitter macht lustig: Der alte Klassiker Negroni feiert ein Comeback in vielen Bars.
Foto: Adobe Stock Bitter macht lustig: Der alte Klassiker Negroni feiert ein Comeback in vielen Bars.

Newspapers in German

Newspapers from Germany