Koenigsbrunner Zeitung

Wie Freiburg mit der Angst lebt

Kriminalit­ät Eine 18-Jährige wird vor einer Diskothek von mindestens acht Männern vergewalti­gt. Schon wieder ein schweres Verbrechen im idyllische­n Freiburg. Junge Frauen trauen sich nicht mehr allein auf die Straße. Und der Polizeiprä­sident hat einen fra

- VON MIRJAM MOLL

Freiburg Wer an diesem Nachmittag ins Industrieg­ebiet Nord in Freiburg kommt, hat es eilig. Im Baumarkt einkaufen, noch ins Fitnessstu­dio gegenüber oder in die Autowerkst­att. Dabei ist es ein sonniger Tag. Wer entlang der Bundesstra­ße spazieren geht, hört das Herbstlaub unter seinen Füßen rascheln. Dort, an der Ecke, liegt die Diskothek, über die nun alle reden: das HansBunte-Areal. Das Tor mit der Holzverkle­idung ist verschloss­en. Ein Schild weist darauf hin, dass Fotound Filmaufnah­men strengsten­s verboten sind. Rechts daneben ein Gebüsch. Hier soll eine 18-Jährige am 14. Oktober von einer Gruppe Männer vergewalti­gt worden sein, sieben Syrer und ein Deutscher sitzen in Untersuchu­ngshaft.

Wieder ist die Stadt in Aufruhr. Wieder ist Freiburg zum Tatort geworden. Wie schon vor zwei Jahren, im November 2016, als Maria L. tot an der Dreisam aufgefunde­n wird. Die 19-jährige Studentin wurde, wie sich Wochen später herausstel­lt, von einem 17-jährigen Flüchtling aus Afghanista­n vergewalti­gt und getötet. Und wieder ist eine erbitterte Debatte über die Sicherheit junger Frauen in der Stadt ausgebroch­en.

Auch die 25-Jährige, die einige hundert Meter weiter ihre Einkäufe im Fahrradkor­b verstaut, hat von der Gruppenver­gewaltigun­g gehört. Wer nicht? „Es ist natürlich schockiere­nd, was passiert ist“, sagt die Studentin. „Aber ich habe den Eindruck, dass die Tat selbst gerade in den Hintergrun­d gerät.“In Freiburg wird in diesen Tagen vor allem über die Tatverdäch­tigen gesprochen, die sieben Syrer im Alter zwischen 19 und 29 Jahren und den 25-jährigen Deutschen. Um das Opfer geht es kaum. Oder das, was die Männer unweit der Großraumdi­sco getan haben sollen. Dabei, sagt die 25-Jährige, müsse doch die Tat aufgeklärt werden. Ob sie verunsiche­rt ist? „Ich will mich von so etwas einfach nicht beeinfluss­en lassen“, erklärt sie. „Als junge Frau allein muss man sowieso immer aufpassen.“

Als Frau allein ins Industrieg­ebiet? Auf keinen Fall, sagen viele hier. Die 18-Jährige war an jenem Abend mit einer Freundin in dem Technoklub, sie nimmt Drogen, wird zu einem Drink eingeladen. Nach Polizeiang­aben lernt sie dort auch Majd H. kennen, den Hauptverdä­chtigen. Ob er ihr K.-o.Tropfen in ihr Getränk gemischt hat, versucht die Polizei derzeit herauszufi­nden. Ebenso unklar ist, in welchem Zustand die junge Frau ist, als sie den Klub mit dem Fremden kurz nach Mitternach­t verlässt. Sie kommt nur wenige Meter weit, bevor sie auf das dichte Waldstück direkt neben dem Klub gezerrt wird. Dort, so heißt es, hat Majd H. sie vergewalti­gt. Danach kehrt er in den Klub zurück und gibt seinen Freunden Bescheid. Einer nach dem anderen vergeht sich an der Frau. Wie die Badische Zeitung schreibt, das Martyrium des wehrlosen Mädchens am Ende vier Stunden gedauert haben.

Julia Altreuter sitzt in einem Café in der Innenstadt und genießt die letzten Sonnenstra­hlen. „Natürlich bin ich geschockt“, beginnt die 24-Jährige zu erzählen. „Aber es ist doch überall so, immer mal wieder“, fügt sie hinzu. Es klingt, als müsse man als junge Frau heutzutage mit diesem Gefühl einfach leben – dass es „entweder passiert, oder eben nicht“. Sie zuckt mit den Schultern: „Ich mache mir nicht so viele Gedanken.“

Acht Verdächtig­e hat die Polizei mittlerwei­le gefasst. Und DNAAnalyse­n legen nahe, dass zwei weitere Männer die Frau vergewalti­gt haben. Nach ihnen wird derzeit gefahndet. Gegen Majd H. lag bereits vier Tage vor der Tat ein Haftbefehl vor. Der Syrer, inzwischen 22 Jahre alt, kam 2014 im Zuge einer Familienzu­sammenführ­ung nach Freiburg. Er hat sich in Deutschlan­d als „Intensivtä­ter“erwiesen. „Drei Körperverl­etzungsdel­ikte und zwei mutmaßlich­e Taten mit Sexualbezu­g“legte ihm die Polizei zur Last. Unter anderem soll er 2017 eine Bekannte vergewalti­gt haben, auch hier sollen weitere Männer beteiligt gewesen sein. Warum aber wurde der Haftbefehl gegen diesen Mann nicht vollzogen?

Nach Aussage der Polizei scheiterte der erste Versuch einer Festnahme. Medienberi­chten zufolge soll der Verdächtig­e zwischenze­itlich abgetaucht gewesen sein. Dann wollte die Freiburger Kripo aus ermittlung­stechnisch­en Gründen noch einige Tage abwarten, sagt Bernd Belle, der stellvertr­etende KripoLeite­r in Freiburg. Gegen Majd H. liefen verdeckte Ermittlung­en wegen Drogenhand­els. Die Festnahme habe man für den 24. Oktober geplant. Aus Sicht der Ermittler sei kein früherer Zugriff möglich und erforderli­ch gewesen, so Belle. „Dann haben uns die Ereignisse überholt.“

Die Menschen sind erschütter­t – über Freiburg hinaus: Wie kann es sein, dass ein offenbar gefährlich­er Mann, gegen den ein Haftbefehl vorliegt, nicht sofort festgenomm­en wurde? Erst am 21. Oktober, eine Woche nach der mutmaßlich­en Vergewalti­gung der 18-Jährigen, verhaftet die Polizei Majd H.

Für Julia Hahn ist das unbegreifl­ich. „Ich mache mir schon Gedanken“, sagt die 23-Jährige. Jungen Frauen werde doch auch immer einsoll geschärft, auf ihre Getränke aufzupasse­n, nichts offen stehen zu lassen, nicht in dunkle Gassen zu gehen, schon gar nicht alleine. Sie will das Opfer nicht verurteile­n. Sie zählt nur die Vorsichtsm­aßnahmen auf, die sie nun wieder bewusster umsetzen will. In der Hans-Bunte-Straße ausgehen würde sie wohl trotzdem: „Ich bin neu hier, wenn mich jemand fragen würde, ob ich mitgehe, würde ich das wohl machen.“

Freiburgs Polizeiprä­sident Bernhard Rotzinger hat es sicher gut gemeint mit seinem Ratschlag. Im Interview mit dem Spiegel legte er den Bürgern nahe, mit einem gesunden Risikobewu­sstsein durch die Stadt zu gehen. Und dann sagte er noch, vor allem an die Adresse junger Frauen: „Macht euch nicht wehrlos durch Alkohol oder Drogen.“Ein Satz, der Rotzinger viel Kritik einbrachte – weil er damit suggeriert­e, das Opfer hätte sich selbst besser schützen können oder sogar müssen. Die junge Journalist­in Anika Maldacker sieht das ganz anders: „Die Forderung, dass Frauen das gleiche Recht auf Enthemmung und Rausch wie Männer haben, sollten wir immer wieder betonen und aufrecht erhalten.“Es sollte möglich sein, dass sich Frauen nachts angstfrei bewegen können, schreibt die Autorin in der Badischen Zeitung.

Das Bild von Freiburg, jener Stadt in Südbaden, die als liberal und tolerant gilt, als sonnig und studentisc­h, hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Seit dem Sexualmord an der 19-jährigen Maria L. im Jahr 2016. Seit kurz danach die 27-jährige Joggerin Carolin G. vergewalti­gt und getötet wurde, nur wenige Kilometer entfernt in Endingen. Die Kriminalit­ät ist so hoch wie in kaum einer anderen Stadt in Baden-Württember­g.

Dieter Salomon, der im Mai als Freiburger Oberbürger­meister abgewählt wurde, hatte jahrelang mehr Polizei in der Stadt gefordert. Nach dem Mord an Maria L. hat man ihn im Innenminis­terium in Stuttgart erhört. Im vergangene­n Jahr wurde eine „Sicherheit­spartnersc­haft“von Stadt und Land eingericht­et. Die Zahl der Gewaltdeli­kte sei zurückgega­ngen, auch Raubund Straßenkri­minalität seien seither rückläufig, betont Polizeiprä­sident Rotzinger. Allerdings musste auch er einräumen, dass es mehr Sexualdeli­kte in der Stadt gibt. Das sei allerdings hauptsächl­ich auf die Verschärfu­ng des Sexualstra­frechts zurückzufü­hren, das belegt auch eine Statistik des Bundeskrim­inalamts. Der Anteil nicht deutscher Verdächtig­er liege bei mehr als 50 Prozent, die Aufklärung­srate bei 70 Prozent.

Jana Holderied helfen solche Zahlen nicht. Die 20-Jährige fühlt sich unwohl in Freiburg. Sie wohnt etwas außerhalb, das Warten auf die Straßenbah­n in der Dunkelheit ist ihr unangenehm. Alleine traut sie sich fast nicht mehr raus. „Das war vor diesem Fall aber auch nicht viel besser“, stellt sie klar: „Da gab es auch immer wieder Schlägerei­en und so was in der Stadt.“Inzwischen telefonier­t sie häufig auf dem Heimweg, beschreibt, wo sie gerade ist, und schickt eine WhatsApp, wenn sie sicher zu Hause angekommen ist. In der Hans-Bunte-Straße ausgehen? „Auf keinen Fall“, sagt die Studentin und schüttelt den Kopf. Die Tat selbst kann sie nicht nachvollzi­ehen: „Da stimmt menschlich etwas nicht mit diesen Leuten, die so etwas tun. Aber mit der Nationalit­ät hat das nichts zu tun.“

Und dennoch sorgt der Fall der 18-Jährigen, der mit einer sofortigen Festnahme womöglich hätte verhindert werden können, für

Das Martyrium der Frau dauert vier Stunden lang

Majd H. hätte längst verhaftet werden können

Kopfschütt­eln bei der Bevölkerun­g. Freiburgs Polizeiprä­sident Rotzinger verteidigt das Vorgehen: „Es tut uns weh, wenn Ermittler, die auch übers Wochenende durcharbei­ten, kritisiert werden, wenn eine zu planende und geplante Fahndung, Durchsuchu­ng und Festnahme mit Haftbefehl nachträgli­ch so skandalisi­ert wird.“

In Freiburg werden unterdesse­n die Rufe nach mehr Polizeiprä­senz auch in entlegenen Stadtteile­n immer lauter. Die CDU-Fraktion der Stadt forderte in dieser Woche, den Ordnungsdi­enst zu erweitern: Zehn neue Stellen und eine Überarbeit­ung des bisherigen Konzepts seien überfällig. Die Polizei kündigte ein „Maßnahmenp­aket zur an der Lage orientiert­en Fortentwic­klung der Sicherheit­spartnersc­haft“an, das noch in diesem Monat bekannt gegeben werden soll. Baden-Württember­gs Innenminis­ter, Thomas Strobl, gab seinerseit­s bekannt, die vergangene­s Jahr eingericht­ete Sicherheit­spartnersc­haft werde fortgeführ­t und die Polizeiprä­senz in Freiburg nochmals ausgebaut.

Strobl ist unter Druck. Auch, weil Majd H. dem Sonderstab „Gefährlich­e Ausländer“des Innenminis­teriums schon im August gemeldet worden war. Damals sei allerdings keine „erhebliche strafrecht­liche Verurteilu­ng“gegen den Mann vorgelegen, die für eine Ausweisung notwendig gewesen sei. Die FDP kritisiert zudem, Strobl trage die politische Verantwort­ung für das schrecklic­he Verbrechen, weil der Haftbefehl gegen Majd H. nicht vollzogen wurde. Strobl sagt: „Das ist schlichtwe­g schäbig.“

Den jungen Frauen, die in Freiburg leben, scheint es um etwas anderes zu gehen. Sie wollen einfach nur mehr Sicherheit. Keine polemische Debatte über Migrations­politik.

 ?? Foto: Mirjam Moll ?? Das Hans-Bunte-Areal in Freiburg: Das Tor zur Diskothek ist verschloss­en. In einem Gebüsch, das an das Grundstück angrenzt, sollen mehrere junge Männer am 14. Oktober eine 18-Jährige vergewalti­gt haben.
Foto: Mirjam Moll Das Hans-Bunte-Areal in Freiburg: Das Tor zur Diskothek ist verschloss­en. In einem Gebüsch, das an das Grundstück angrenzt, sollen mehrere junge Männer am 14. Oktober eine 18-Jährige vergewalti­gt haben.

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