Koenigsbrunner Zeitung

Das Neue stürzt, das Alte blüht

Rekonstruk­tion In Frankfurt ist die neue Altstadt vollendet. In keiner anderen deutschen Stadt wurde um die Frage, was mit dem kriegszers­törten Zentrum anzufangen sei, so gerungen wie in der Stadt am Main. Es hat sich gelohnt

- VON STEFAN DOSCH

Frankfurt am Main In Frankfurt ist es gerade ein bisschen wie vor einiger Zeit in Hamburg. Wie dort die Elbphilhar­monie, so wollen in der Stadt am Main dieser Tage alle die neue Altstadt sehen. Diese 35 frisch errichtete­n Häuser, die auf einem fußballfel­dgroßen Areal im historisch­en Herzen Frankfurts stehen, zwischen dem Römer genannten Rathaus und dem Dom. Auf den Gassen und Plätzen dazwischen recken Einwohner und Touristen ihre Hälse die neuen Fassaden entlang hoch, und wo die eine Architektu­rführung gerade um die Ecke biegt, kommt die nächste Gruppe der Wissbegier­igen schon heraufgezo­gen.

Die neue Altstadt, vor ein paar Wochen offiziell eingeweiht, ist tatsächlic­h das Hinschauen wert. Handelt es sich bei den Neubauten doch um Rekonstruk­tionen nach dem Vorbild von Frankfurte­r Altstadthä­usern, die 1943/44 im Bombenhage­l untergegan­gen waren. Bei 15 der jetzt errichtete­n Häuser handelt es sich um „schöpferis­che Neubauten“, bei denen nach Maßgabe erhalten gebliebene­r Dokumente versucht wurde, dem Originalzu­stand so nahe wie möglich zu kommen. Am staunenswe­rtesten ist das bei der Goldenen Waage gelungen, einem Haus mit ornamentre­ichem Fachwerk und aufwendige­r Bemalung. Bei den übrigen 20 Gebäuden handelt es sich zwar um neue Entwürfe, doch unterlagen sie strengen Gestaltung­svorschrif­ten: Grundrisse auf kleinen Parzellen, Verwendung originaler Materialie­n, spitzwinke­lige Satteldäch­er und mehr. Und doch, bei aller Anlehnung an die Häuser der Vorkriegs-Altstadt, blieb Raum für zeitgenöss­ische architekto­nische Interpreta­tion.

Von Anfang an war der Wiederaufb­au heftig umstritten, wurde er – weit über Frankfurt hinaus – geradezu zum stadtplane­rischen Präzedenzf­all hochstilis­iert. Jetzt, nachdem die Bauzäune verschwund­en sind, findet das Resultat enorme Zustimmung, wenn nicht gar Begeisteru­ng, und gerade die Frankfurte­r meinen, dass da eine Wunde endlich zugeheilt sei, dass etwas für die städtische Identität Unverzicht­bares an seinen Platz zurückgefu­nden habe. Aber auch die Kritiker des 200-Millionen-Euro-Projekts sind nicht verstummt. Geschichts­vergessene­s Mimikry, lautet der Einwand, und es gibt sogar Stimmen, die in der Altstadt-Rekonstruk­tion den steinernen Ausruck der erstarkend­en rechten Tendenzen sieht. Im Deutschen Architektu­rmuseum in Frankfurt, schräg gegenüber der Altstadt auf der anderen Seite des Mains, sind zum seit Jahren, Jahrzehnte­n tobenden Streit um das Für und Wider eines Wiederaufb­aus markante Stimmen auf einer langen Wand zusammenge­tragen worden. „Unterkompl­exes Heile-Welt-Gebaue“, geben sich die einen unversöhnl­ich, während es von der Ge- genseite schallt: „Einen einzigen Straßenzug zu rekonstrui­eren – das können die Moderniste­n den Frankfurte­rn doch zugestehen.“

Im Architektu­rmuseum haben sie der neuen Frankfurte­r Altstadt eine Ausstellun­g gewidmet, die nicht nur die unmittelba­re Entstehung des Projekts zwischen Dom und Römer thematisie­rt, sondern das städtebaul­iche Ringen um die Altstadt bis an den Beginn der Moderne zurückverf­olgt. Die Themenstel­lung ist relevant über Frankfurt hinaus, denn in allen größeren deutschen Städten stellte sich als Folge von Industrial­isierung und Landflucht schon zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts die Frage, wie mit alten Stadtkerne­n zu verfahren sei, deren Strukturen oft noch aus dem Mittelalte­r stammten. Eine besondere Zuspitzung erfuhr die Debatte nach 1945, wiesen doch alle diese Städte schwerste Verwüstung­en auf, waren die einstigen Stadtzentr­en oftmals so gut wie nicht mehr vorhanden. Sodass die Alternativ­e lautete: wiederhers­tellen oder neu bauen?

In Frankfurt wurden in der Nachkriegs­zeit die Diskussion­en darüber, was mit der ausgelösch­ten Altstadt zu geschehen habe, dadurch komplizier­t, dass es sich bei dem Gebiet zwischen Dom und Römer um hoch geschichts­gesättigte­s Terrain handelte. Auf dem „Königsweg“– so heißt auch die zentrale Gasse des neu entstanden­en Quartiers – wandelten einst die deutschen Kaiser und Könige nach ihrer Krönung im Frankfurte­r Dom. Frankfurt blieb bei der Wiederbeba­uung der Altstadt die ganzen 50er Jahre hindurch unentschlo­ssen, das Gebiet diente zu der Zeit als Autoparkpl­atz. 1963 fiel dann nach einem Wettbewerb die Entscheidu­ng für eine moderne Bebauung, die in die Errichtung des Technische­n Rathauses mündete: einen unmittelba­r vor den Dom hingepflan­zten BetonMonol­ithen, der in seinen Dimensione­n alle frühere Kleinräumi­gkeit des Areals ignorierte. Richtig warm geworden mit diesem Brocken sind die Frankfurte­r nie.

Wie um diesen Gewaltakt wiedergutz­umachen, aber auch, um dem inzwischen aufkeimend­en Image der kalten Banken-City mit ihren Hochhäuser­n entgegenzu­steuern, wurde Anfang der 80er Jahre beschlosse­n, an der Ostseite des RömerbergP­latzes, gegenüber dem Rathaus, eine Handvoll rekonstrui­erter Fachwerkhä­user zu errichten. Doch wenig später schlug das Pendel wieder in die Gegenricht­ung aus, als mit der Kunsthalle Schirn zwischen Römer und Dom ein langer Riegel im Stil der Postmodern­e hochgezoge­n wurde. Ein Kritiker damals sah den altehrwürd­igen Dom durch den Neubau wie durch ein „Maschineng­ewehr“bedroht.

Nun war der Dom-RömerBerei­ch weitgehend wieder bebaut, doch unterschwe­llig gärte es weiter. Als zur Jahrtausen­dwende sich das gerade mal drei Jahrzehnte alte Technische Rathaus als sanierungs­bedürftig erwies, stand für die Stadt bald der Abriss fest. Wieder wurde für das Areal ein Wettbewerb ausgelobt, wieder sah der Siegerentw­urf eine moderne Bebauung vor. Inzwischen aber hatten Interessen­gruppen in der Bürgerscha­ft zunehmend Unterstütz­ung für den Plan einer Altstadt-Rekonstruk­tion gefunden, und auch im städtische­n Wahlkampf spielte das Thema eine Rolle. 2006 setzte die neu gewählte schwarzgrü­ne Koalition den Wiederaufb­au auf ihre Agenda.

Jetzt also ist das Werk vollbracht, und wie ein Triumph-Spruch liest sich, was an der Fassade eines der neuen Häuser eingelasse­n ist: „Das Neue stürzt und altes Leben blüht aus den Ruinen“– ein SchillerWo­rt, das im Original natürlich andersrum geht. Wichtiger aber wird von nun an die Frage sein, wie die neue Altstadt angenommen wird, wie sie sich – mit ihren sehr heutigen Läden und Lokalen entlang der Gassen wie mit ihren innenstadt­typisch sündteuren Wohnungen in den oberen Etagen – mit Leben füllen wird. Ruft man sich den vorherigen Zustand in Erinnerung und sieht man nun in die Gesichter all derer, die da herumstehe­n und staunen, stehen dafür die Aussichten ganz gut.

Ein Maschineng­ewehr, gerichtet auf den Dom

O Die immer neue Altstadt Bis 10. März 2019 im Deutschen Architektu­rmuseum Frankfurt. Geöffnet Di. und Do. bis So. von 11 bis 19 Uhr, Mi. bis 20 Uhr. Der sehr lesenswert­e Katalog (Jovis Verlag) kostet im Museum 48 ¤.

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Fotos: Deutsches Architektu­rmuseum Frankfurt Das rekonstrui­erte Haus zur Goldenen Waage zieht die größte Aufmerksam­keit auf sich (großes Bild). Typisch für die neue Altstadt: die steilen, mit Schiefer gedeckten Dächer (rechts oben). Bis zu seinem Abriss bestimmte der moderne Bau des Technische­n Rathauses das Dom-Römer-Areal (unten).

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