Koenigsbrunner Zeitung

Die Schulbank mit den Juden blieb leer

Der Schwabmünc­hner Elmar Pfandzelte­r erinnert sich an diesen Tag vor 80 Jahren. Was er in Augsburg auf dem Weg zur Schule erlebt hat

- VON CARMEN JANZEN

Schwabmünc­hen Elmar Pfandzelte­r ist bekannt bei den Alteingese­ssenen in Schwabmünc­hen. Als Altbürgerm­eister, als Ehrenbürge­r und als Autor der „Schwabmünc­hner Geschichte­n“. Aber auch viele Schüler kennen Pfandzelte­r mit seinen 94 Jahren als einen der letzten Zeitzeugen des Zweiten Weltkriege­s, der noch jedes Jahr an der LeonhardWa­gner-Schule den Jugendlich­en Rede und Antwort steht und an die Gräueltate­n erinnert.

Seine Jugendjahr­e waren geprägt vom Krieg. Nach dem Kriegseins­atz in Russland, Skandinavi­en und Frankreich war er drei Jahre lang in französisc­her Gefangensc­haft. Seit seiner Rückkehr im Jahr 1948 bis zu seiner Bürgermeis­terwahl 1980 arbeitete er beim Kalenderwe­rk Zettler.

Schulkinde­rn „und manchmal auch den Lehrern“als Zeitzeuge zu vermitteln, was Krieg, Gefangensc­haft, Tod und Elend bedeuten, um Frieden und Freiheit schätzen zu lernen, sei eine Aufgabe, die ihm besonders am Herzen liege, sagte er anlässlich seines 90. Geburtstag­es in der Stadthalle. So ist es Pfandzelte­r aktuell ein Anliegen, die Öffentlich­keit an die Reichspogr­omnacht zu erinnern, so wird die Nacht vom 9. auf den 10. November vor genau 80 Jahren genannt.

Das nationalso­zialistisc­he Regime organisier­te und lenkte damals Gewaltmaßn­ahmen gegen Juden im gesamten deutschen Reich. Dabei wurden vom 7. bis 13. November 1938 etwa 400 Menschen ermordet oder in den Suizid getrieben. Mehr als 1400 Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlun­gsräume sowie Tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden zerstört. Ab dem 10. November wurden ungefähr 30000 Juden in Kon- zentration­slagern inhaftiert, wo Hunderte ermordet wurden oder an den Haftfolgen starben. Die Pogrome markieren den Übergang von der Diskrimini­erung der deutschen Juden seit 1933 zur systematis­chen Verfolgung, die knapp drei Jahre später in den Holocaust mündete.

Elmar Pfandzelte­r stand nun vor einigen Tagen in unserer Redaktion mit einem beschriebe­nen Blatt Papier und bat uns, den Inhalt zu veröffentl­ichen. Es schreibt darüber, wie er diesen 9. November 1938 als 14-jähriger Schüler erlebt hat.

„Eigentlich war es ein ganz normaler Werktag. Mit einem Schulkamer­aden, Ludwig Schöffel, fuhren wir wie jeden Tag mit dem Zug nach Augsburg, wo wir eine weiterführ­ende Schule besuchten. In unserer Klasse waren auch vier Buben jüdischer Herkunft. Das war der Strauss, der Wassermann und zwei Brüder, deren Namen mir leider entfielen. Die vier hatten ihren Platz auf der hintersten Bank, und es war streng verboten, mit ihnen zu sprechen.

In Augsburg angekommen, fiel uns auf, dass die Luft einen starken Brandgeruc­h hatte. Auch war auf dem Bahnhofspl­atz eine spürbare Hektik. Viele Polizisten und SA-Männer in ihren scheußlich­en Uniformen liefen kreuz und quer vorüber. Da waren wir uns einig, heute nicht den kürzesten Weg zur Schule zu nehmen, sondern über den Königsplat­z zu laufen. Gleich nach den ersten Schritten sahen wir von Süden her, also von der Halderstra­ße, schwarze Wolken aufsteigen. ,Die kommen sicher von der Synagoge her‘, meinte Ludwig. Am Königsplat­z angekommen, sahen wir weder Autos noch eine Straßenbah­n, dafür aber viele nervöse Menschen, die hin und her rannten. Dann kamen wir zum Kaufhaus Landauer, das einem Juden gehörte. Dort waren alle großen Schaufenst­er zerstört und am Eingang standen SA-Leute auf Wache. Wir gingen verunsiche­rt weiter in Richtung Rathaus. Auf dem letzten kurzen Weg gab es ein weiteres jüdisches Kaufhaus namens Schocken. Auch dort war alles zerstört. Dann kamen wir zum Rathaus.

Der große Platz war total voll besetzt. Wir taten uns schwer, durchzukom­men. Wir wollten doch nur zur Schule. Da fiel uns auf, dass alle Leute den Blick auf die Fassade des Blocks an der Platzsüdse­ite gerichtet hatten. Auch wir sahen dort im vierten oder fünften Stock einige SA-Leute, die sich bemühten, ein Möbel aus dem Fenster zu werfen. Es gelang ihnen auch. Es war ein Klavier. Es fiel hinunter und zerschellt­e. Da kam Leben in die Menschenme­nge. Alles schrie und tobte. ,Bravo, Heil, Juden raus‘, riefen sie. Es war widerlich. Wir suchten uns eine Lücke in der Menschenme­nge, um fortzukomm­en. Es war nicht mehr weit zur Schule. Und dort wollten wir uns wegen der Verspätung entschuldi­gen. Aber der Lehrer hatte Verständni­s und winkte ab.

Da sah ich, dass die letzte Bank leer war. Wir haben unsere vier jüdischen Mitschüler nie mehr gesehen und nichts mehr von ihnen gehört.

Diesen Tag habe ich nie vergessen. Mein Kamerad Ludwig ist 1943 im Kaukasus gefallen.“

 ?? Repro: dpa-Archiv ?? SA-Männer kleben hier während des Dritten Reiches ein volksverhe­tzendes Plakat mit der Aufschrift „Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!“an die Schaufenst­erscheibe eines Geschäfts, das in jüdischem Besitz ist.
Repro: dpa-Archiv SA-Männer kleben hier während des Dritten Reiches ein volksverhe­tzendes Plakat mit der Aufschrift „Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!“an die Schaufenst­erscheibe eines Geschäfts, das in jüdischem Besitz ist.
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Elmar Pfandzelte­r

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