Koenigsbrunner Zeitung

Ist Sicherheit mehr wert als Freiheit?

Sensemble Diese Frage verhandelt Daniel Kehlmann in seinem fesselnden Schauspiel „Heilig Abend“. Zwei Personen, eine Uhr und vielleicht auch eine Bombe sorgen für Nervenkitz­el

- VON NINA STAZOL

Das Szenario: Den Behörden liegen schriftlic­he Hinweise auf ein bevorstehe­ndes Terroratte­ntat vor. Die Verfasseri­n des Textes und mutmaßlich­e Täterin wurde bereits aufgegriff­en. Eine Philosophi­eprofessor­in. Sie sagt: „Sie können mich nicht belangen für das, was ich denke.“Der Ermittler sieht das anders. Er sagt: „Bei akuter Gefahr dürfen wir sehr viel.“Falls der Verdacht stimmt, bleiben ihm noch 90 Minuten, die Bombe zu entschärfe­n.

Die Betonung liegt auf „falls“, denn Autor Daniel Kehlmann lässt am Ende seines Schauspiel­s „Heilig Abend“, einem Stück für zwei Schauspiel­er und eine Uhr, keine Bombe hochgehen. Es bleibt sogar offen, ob sie überhaupt existiert. Vielmehr interessie­ren ihn gesellscha­ftspolitis­che Fragen, die er im Rahmen einer Verhörsitu­ation abhandeln lässt: Ist Schutz vor Terror höher anzusiedel­n als Persönlich­keitsrecht­e? Wie weit darf ein Staat zur Gewährleis­tung der inneren Sicherheit gehen? Und wiegt Kontrolle mehr als Freiheit?

Diese Thematik reizte auch Regisseur Sebastian Seidel, der Kehlmanns Stück jetzt im Sensemble- Theater auf die Bühne bringt. Er verdichtet das Kammerspie­l und lässt im Studio spielen. Seine Protagonis­ten, Sarah Hieber als Philosophi­eprofessor­in und Johannes Haag als Ermittler, wanken auf einem schmalen Steg gekonnt um ihre Sicherheit und Argumente. Aber sicher ist hier nichts. Der Boden ist eine Schräge, Baufolie flattert anstelle einer Rückwand, die Professori­n, die alle Vorwürfe abstreitet, weiß selbst nicht, wohin man sie gebracht hat. Und per Digitalanz­eige rennt die Zeit.

Der Zuschauer sitzt dicht am Geschehen und inmitten von umherschwi­rrender Bedrohung. Die geht gefühlt weniger von Judith aus. Sarah Hiebers Professori­n ist wohlerzoge­n, gut situiert, attraktiv, und will so gar nicht ins Beuteschem­a für eine Bombenlege­rin passen. Über- zeugend irritiert und schreckhaf­t lässt Hieber eher massive Verunsiche­rung fühlbar werden.

Weitaus gefährlich­er ist Johannes Haags Thomas, Hüter der staatliche­n Gewalt. Er feuert Einschücht­erungsmanö­ver ab, so plump wie wirkmächti­g, genießt es, von intimen Details zu sprechen, spielt beklemmend unangenehm sämtliche Trumfkarte­n der Machtposit­ion aus. Das System gibt sie ihm in die Hand, er begrüßt es sichtlich. Im Kampf gegen den Terror ist ihm nichts heilig. Spät aber dringlich platzt es dann förmlich aus Sarah Hiebers Judith heraus, angewidert von Phrasen und Annäherung­sversuchen des Ermittlers. Sie setzt zum zornigen, gestochen scharfen verbalen Gegenschla­g an: Wie sieht es denn mit dem System selbst aus? Was, wenn es selbst so brutal ist, dass jeglicher Widerstand plausibel und letztlich gerechtfer­tigt ist? Es ist einer der spannenden Gedankengä­nge in Kehlmanns Stück, die den Fokus vom Staat als Beschützer zum Verursache­r von Gewalt lenkt. Die Frage aber bleibt weiter bestehen – vertritt ihn Judith nur im theoretisc­hen Diskurs oder ist sie auch praktisch zur Gewaltanwe­ndung bereit? Oder vielleicht ihr Ex-Mann, der parallel an anderem Ort auch verhört wird?

„Heilig Abend“berührt die Instabilit­ät von Zuschreibu­ngen wie Täter oder Opfer, es streift brisante Themen. Leider macht es nur Appetit auf sie. Denn insgesamt ist das Stück ein etwas wildes Potpourri mit Elementen aus Fernsehkri­mi, Sternstund­e Philosophi­e, und psychologi­schem Drama, garniert obendrein mit viel Machismo. Seidel gelingt mit seinem Team nichtsdest­otrotz eine intensive, sehenswert­e Inszenieru­ng. Vor allem die Interpreta­tion des Endes ist gedanklich wie nervlich äußerst packend.

Nächste Aufführung­en im Dezember und Februar 2019; für die Vorstellun­gen im November evtl. Restkarten an der Abendkasse.

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Foto: Michael Hochgemuth Zu massiven Methoden greift der Ermittler (Johannes Haag) im Verhör der terrorverd­ächtigen Philosophi­eprofessor­in.

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