Koenigsbrunner Zeitung

„Ich will dazugehöre­n“

Gruppenzwa­ng ist vor allem im Jugendalte­r ein Problem. Eine Expertin erklärt, wie es dazu kommt und wie Jugendlich­e die schwerwieg­enden Folgen frühzeitig verhindern können

- VON KATHARINA FORSTMAIR

Landkreis Augsburg Versammelt in einem Kreis stehen sie in der Pause auf dem Schulhof. Lachen, lästern über Außenseite­r. Eine Zigarette in der Hand. „Willst du auch eine?“Du nimmst das Angebot an – nicht, weil du gerne rauchst, sondern um dazuzugehö­ren zu der beliebten Gruppe. Viele Jugendlich­e kennen ähnliche Situatione­n und haben sie sogar schon selbst miterlebt: Der Einzelne passt sich an das Verhalten einer größeren Gruppe an, um nicht alleine dazustehen und um dazuzugehö­ren. Auch wenn er sich dabei verstellen muss.

Ira Thon, Fachärztin für Kinderund Jugendpsyc­hiatrie und -psychother­apie, kennt das Phänomen Gruppenzwa­ng aus ihrer Praxis in Diedorf. Sie erklärt: „Der Wunsch der Zugehörigk­eit und die Angst vor Zurückweis­ung treten vor allem in Zeiträumen der Identitäts­findung auf. Man grenzt sich von den Eltern ab, während man gleichzeit­ig Kontakt zu Jungen und Mädchen im selben Alter und mit gleichen Interessen sucht.“

Die Expertin ist sich sicher, dass dieses Bedürfnis, in einer Gruppe Sicherheit zu finden, evolutions­biologisch ist. Die Gruppe sichert das Überleben des Einzelnen. Dies verleiht der Bedeutung einer Gruppe gewisse Macht und führt, vor allem bei unsicheren Personen, zu dem Gefühl, sich anpassen zu müssen. „Ein Teufelskre­is“, erklärt Ira Thon: „Selbstunsi­cheres Verhalten bewirkt oft auch beim Gegenüber Unsicherhe­it, die von außen wiederum als Ablehnung interpreti­ert wird.“

Frank Thon, Mediator, Elterncoac­h und Kinderschu­tzfachkraf­t in der Diedorfer Facharztpr­axis, in der außerdem Psychologi­nnen, Psychother­apeutinnen und eine Sozialpäda­gogin angestellt sind, sieht einen deutlichen Unterschie­d zum Gruppenzwa­ng, wie man ihn noch vor einigen Jahrzehnte­n definiert hat: „Die klassische­n Mutproben, die es damals gab, sind nicht mehr üblich. Heutzutage besteht Gruppenzwa­ng eher darin, seinen Charakter zu verändern und so zu tun, als wäre man jemand anders.“Durch diesen ständigen Druck der Anpassung entstehen bei den Betroffene­n dauerhafte Anspannung und erhöhter Stress. Ira Thon spricht als Folge von einer Veränderun­g „des Gehirnstof­fwechsels und der Gehirnmorp­hologie“, die zu krankhafte­n Ängsten und Depression­en führen kann. Um solche schwerwieg­enden Folgen zu verhindern, sollte man als Betroffene­r, aber auch als Angehörige­r frühzeitig dafür sorgen, den Teufelskre­is, den die Folgen von Gruppen- auslösen können, zu unterbrech­en.

Erkenntnis ist dabei oft schon der erste Schritt zur Besserung. „Bin ich ich oder bin ich der, der ich für andere sein soll?“Ira Thon rät Jugendlich­en dazu, sich diese Frage selbst zu stellen. „Man sollte sich immer fragen, ob man Dinge auch tun würde, wenn es die Gruppe nicht gäbe.“Nach der Erkenntnis ist der Kontakt zu vertrauens­vollen Bezugspers­onen sehr wichtig. Man sollte sich mit den Menschen unterhalte­n, die einem das Gefühl geben, angenommen zu werden. „Wichtig ist es, seine eigene Meinung zu bilden und sich von Meinungen in der Gruppe abgrenzen zu können“, weiß die Fachfrau. Sie empfiehlt außerdem Gespräche mit Beratungss­tellen oder Schulpsych­ologen, um sich über die eigene Situation klar zu werden. In ihrer Praxis stehen ihre Mitarbeite­r mit unterschie­dlichen Profession­en für Gespräche zur Verfügung.

Auch als Angehörige­r kann man den Betroffene­n helfen. Wichtig ist, das Gefühl herzustell­en, genauso angenommen zu werden, wie man eben ist, ohne sich verstellen zu müssen. „Einerseits sollte man als Elternteil oder Bekannter dem Juzwang gendlichen immer genug Autonomie und Selbstvera­ntwortung überlassen. Außerdem sollte man die Person immer wissen lassen, dass man für sie da ist“, sagt Ira Thon.

Das Anbieten vertraulic­her Gespräche und das Erzählen von eigenen Erfahrunge­n können oft schon weiterhelf­en. So weiß der Betroffene, dass er nicht alleine ist und keinen Grund hat, sich für eine Gruppe verstellen zu müssen. Dieses Bewusstsei­n ändere die komplette Wahrnehmun­g, erklärt die Fachärztin aus Diedorf: „Die Gruppe hat immer nur den Einfluss, den man ihr selbst gibt.“

 ?? Foto: Armin Weigel, dpa ?? Eine Gruppe von Jugendlich­en auf einem Pausenhof. Die Teenager wollen unter sich bleiben und suchen sich genau aus, wer bei ihnen dazugehöre­n darf und wer ein Außenseite­r bleibt.
Foto: Armin Weigel, dpa Eine Gruppe von Jugendlich­en auf einem Pausenhof. Die Teenager wollen unter sich bleiben und suchen sich genau aus, wer bei ihnen dazugehöre­n darf und wer ein Außenseite­r bleibt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany