„Ich will dazugehören“
Gruppenzwang ist vor allem im Jugendalter ein Problem. Eine Expertin erklärt, wie es dazu kommt und wie Jugendliche die schwerwiegenden Folgen frühzeitig verhindern können
Landkreis Augsburg Versammelt in einem Kreis stehen sie in der Pause auf dem Schulhof. Lachen, lästern über Außenseiter. Eine Zigarette in der Hand. „Willst du auch eine?“Du nimmst das Angebot an – nicht, weil du gerne rauchst, sondern um dazuzugehören zu der beliebten Gruppe. Viele Jugendliche kennen ähnliche Situationen und haben sie sogar schon selbst miterlebt: Der Einzelne passt sich an das Verhalten einer größeren Gruppe an, um nicht alleine dazustehen und um dazuzugehören. Auch wenn er sich dabei verstellen muss.
Ira Thon, Fachärztin für Kinderund Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, kennt das Phänomen Gruppenzwang aus ihrer Praxis in Diedorf. Sie erklärt: „Der Wunsch der Zugehörigkeit und die Angst vor Zurückweisung treten vor allem in Zeiträumen der Identitätsfindung auf. Man grenzt sich von den Eltern ab, während man gleichzeitig Kontakt zu Jungen und Mädchen im selben Alter und mit gleichen Interessen sucht.“
Die Expertin ist sich sicher, dass dieses Bedürfnis, in einer Gruppe Sicherheit zu finden, evolutionsbiologisch ist. Die Gruppe sichert das Überleben des Einzelnen. Dies verleiht der Bedeutung einer Gruppe gewisse Macht und führt, vor allem bei unsicheren Personen, zu dem Gefühl, sich anpassen zu müssen. „Ein Teufelskreis“, erklärt Ira Thon: „Selbstunsicheres Verhalten bewirkt oft auch beim Gegenüber Unsicherheit, die von außen wiederum als Ablehnung interpretiert wird.“
Frank Thon, Mediator, Elterncoach und Kinderschutzfachkraft in der Diedorfer Facharztpraxis, in der außerdem Psychologinnen, Psychotherapeutinnen und eine Sozialpädagogin angestellt sind, sieht einen deutlichen Unterschied zum Gruppenzwang, wie man ihn noch vor einigen Jahrzehnten definiert hat: „Die klassischen Mutproben, die es damals gab, sind nicht mehr üblich. Heutzutage besteht Gruppenzwang eher darin, seinen Charakter zu verändern und so zu tun, als wäre man jemand anders.“Durch diesen ständigen Druck der Anpassung entstehen bei den Betroffenen dauerhafte Anspannung und erhöhter Stress. Ira Thon spricht als Folge von einer Veränderung „des Gehirnstoffwechsels und der Gehirnmorphologie“, die zu krankhaften Ängsten und Depressionen führen kann. Um solche schwerwiegenden Folgen zu verhindern, sollte man als Betroffener, aber auch als Angehöriger frühzeitig dafür sorgen, den Teufelskreis, den die Folgen von Gruppen- auslösen können, zu unterbrechen.
Erkenntnis ist dabei oft schon der erste Schritt zur Besserung. „Bin ich ich oder bin ich der, der ich für andere sein soll?“Ira Thon rät Jugendlichen dazu, sich diese Frage selbst zu stellen. „Man sollte sich immer fragen, ob man Dinge auch tun würde, wenn es die Gruppe nicht gäbe.“Nach der Erkenntnis ist der Kontakt zu vertrauensvollen Bezugspersonen sehr wichtig. Man sollte sich mit den Menschen unterhalten, die einem das Gefühl geben, angenommen zu werden. „Wichtig ist es, seine eigene Meinung zu bilden und sich von Meinungen in der Gruppe abgrenzen zu können“, weiß die Fachfrau. Sie empfiehlt außerdem Gespräche mit Beratungsstellen oder Schulpsychologen, um sich über die eigene Situation klar zu werden. In ihrer Praxis stehen ihre Mitarbeiter mit unterschiedlichen Professionen für Gespräche zur Verfügung.
Auch als Angehöriger kann man den Betroffenen helfen. Wichtig ist, das Gefühl herzustellen, genauso angenommen zu werden, wie man eben ist, ohne sich verstellen zu müssen. „Einerseits sollte man als Elternteil oder Bekannter dem Juzwang gendlichen immer genug Autonomie und Selbstverantwortung überlassen. Außerdem sollte man die Person immer wissen lassen, dass man für sie da ist“, sagt Ira Thon.
Das Anbieten vertraulicher Gespräche und das Erzählen von eigenen Erfahrungen können oft schon weiterhelfen. So weiß der Betroffene, dass er nicht alleine ist und keinen Grund hat, sich für eine Gruppe verstellen zu müssen. Dieses Bewusstsein ändere die komplette Wahrnehmung, erklärt die Fachärztin aus Diedorf: „Die Gruppe hat immer nur den Einfluss, den man ihr selbst gibt.“