Wie weit die Macht der EZB reichen darf
AfD-Gründer Bernd Lucke zählte zu den Klägern genauso wie Hans-Olaf Henkel: Dass die Zentralbank im Kampf gegen die Eurokrise massiv Staatsanleihen kauft, sorgt immer wieder für Streit. Das oberste europäische Gericht hat jetzt entschieden, ob das erlaubt
Luxemburg Zur Rettung des Euro haben Europas Währungshüter alle Register gezogen. Selbst Kritiker bescheinigen der Europäischen Zentralbank (EZB) unter Führung des Italieners Mario Draghi, den Währungsraum stabilisiert zu haben. Dass aber die Notenbank bis heute gewaltige Milliardensummen in den Kauf von Staatsanleihen steckt, ist umstritten. Wieder einmal war das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gefragt. Dieser hat nun für Klarheit gesorgt.
Um welche EZB-Maßnahme geht es?
Um das milliardenschwere Anleihenkaufprogramm der Notenbank – im Fachjargon „Quantitative Easing“(QE) genannt. Seit März 2015 erwirbt die Zentralbank Anleihen von Eurostaaten. Seit Juni 2016 stehen zusätzlich Unternehmensanleihen auf dem Einkaufszettel. Fast 2,6 Billionen Euro hat die EZB bisher investiert. Seit Oktober 2018 liegt das Volumen bei monatlich 15 Milliarden Euro.
Warum kauft die EZB überhaupt Wertpapiere?
Oberstes Ziel der EZB sind stabile Preise und damit eine stabile Währung für die gut 340 Millionen Men- in den 19 Eurostaaten. Mittelfristig strebt die Notenbank eine Teuerungsrate von knapp unter 2,0 Prozent an. Weil die Inflation lange Zeit sehr niedrig war, half die EZB nach, indem sie die Zinsen drastisch senkte und zugleich über den Kauf von Staats- und Unternehmensanleihen gewaltige Summen frisches Geld in Umlauf brachte. Die Theorie: Wenn mehr Geld in Umlauf ist, steigen die Preise, und damit zieht auch die Inflationsrate an.
Was haben Staaten davon, dass die Notenbank ihre Anleihen erwirbt? Staaten kommen so günstiger an frisches Geld. Denn sie müssen nicht so hohe Zinsen für neue Wertpapiere bieten, weil die EZB große Bestände kauft.
Darf die Notenbank überhaupt Anleihen kaufen?
Kritiker halten dies für Staatsfinanzierung mit der Notenpresse. Ein Vorwurf: Deutschland bezahle indirekt die Rettung überschuldeter Staaten und maroder Banken in Südeuropa. Zudem animiere das Anleihenkaufprogramm Staaten zum Schuldenmachen und bremse notwendige Reformen. Der EuGH hatte jedoch bereits im Sommer 2015 entschieden: Grundsätzlich darf die EZB zur Euro-Rettung Staatsanleihen kaufen.
Wie argumentierten die Kläger vor dem EuGH?
Die Klage geht unter anderem von den Euro-Kritikern Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel aus, einst führende Vertreter der Alternative für Deutschland (AfD). „Das Resultat des Staatsanleihekaufprogramms ist doch, dass die EZB derzeit der mit Abstand größte Gläubiger der Eurostaaten ist“, sagt Lucke. „Also finanziert die EZB die Staatsverschuldung in ungeheurem Ausmaß.“Das Bundesverfassungsgeschen richt hatte den Fall mit einigen Fragen versehen nach Luxemburg verwiesen.
Was hat der EuGH jetzt geurteilt? Die Luxemburger Richter haben die Klage klar abgeschmettert. Die EZB betreibe keine unerlaubte Staatsfinanzierung und verstoße nicht gegen ihr Mandat, urteilten sie. Um ihr erklärtes Ziel der Preisstabilität zu erreichen, müsse die Euro-Notenbank zwangsläufig Maßnahmen ergreifen, die Auswirkungen auf die Realwirtschaft hätten. Dabei bevorzuge sie einzelne Staaten aber nicht, sondern kaufe Anleihen nach einem fest vorgegebenen Schlüssel, erklärten die Richter weiter. Die EZB kaufe die Anleihen zudem am Sekundärmarkt – das heißt, sie erwirbt Papiere, die bereits im Umlauf sind, von Investoren. Dies habe nicht die gleiche Wirkung wie Käufe direkt bei den Wertpapiere ausgebenden Staaten. Ihnen werde dadurch nicht der Anreiz genommen, eine solide Haushaltspolitik zu verfolgen.
Wie geht es mit dem Kaufprogramm weiter?
Europas Währungshüter haben den Ausstieg aus ihrer Anti-Krisen-Politik eingeläutet. An diesem Donnerstag dürfte der EZB-Rat formal das Ende neuer Anleihenkäufe zum Jahresende 2018 beschließen. Schlagartig schließen wird die EZB die Geldschleusen aber nicht: Gelder aus auslaufenden Staats- und Unternehmensanleihen will die Notenbank vorerst erneut investieren.
Wer kontrolliert die EZB überhaupt?
Die Notenbank ist dem Gesetz nach unabhängig. Das war insbesondere den Deutschen bei der Gründung der gemeinsamen Notenbank zum 1. Juni 1998 wichtig, denn sie hatten mit der Deutschen Bundesbank gute Erfahrungen gemacht.
Darf die Notenbank also machen, was sie will?
Die EZB steht nicht außerhalb jeder Kontrolle, wie der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, im Juni 2016 anlässlich eines anderen Verfahrens betonte: „Die Europäische Zentralbank unterliegt wie jede europäische Institution kompetenzbeschränkenden Regeln, deren Einhaltung von Gerichten kontrolliert werden kann.“Allerdings hat die EZB in der Regel schon lange Fakten geschaffen, bevor Gerichte urteilen. Jörn Bender
und Alkimos Sartoros, dpa