Kinderarzt widerspricht Verteidigern
Missbrauchsprozess: Gutachter sagen aus
Augsburg Der pädophile Augsburger Kinderarzt Dr. Harry S., 43, will wohl wirklich reinen Tisch machen. In der Neuauflage des Missbrauchsprozesses gegen ihn setzte er sich am Dienstag über den Rat seiner beiden Verteidiger hinweg. Seine Anwälte Ralf Schönauer und Moritz Bode hatten dem Angeklagten empfohlen, einen Psychologen, der ihn ausführlich untersucht hat, nicht von der Schweigepflicht zu entbinden. Doch Harry S. entschied sich anders. Er stimmte der Aussage des Psychologen Helmut Kury vor Gericht zu – obwohl dessen Analyse in einem wichtigen Punkt die Strategie der Verteidigung durchkreuzt.
Zum Hintergrund: In der Neuauflage des Prozesses gegen den Kinderarzt, der rund 20 Jungen missbraucht hat, geht es vor allem um die Frage, ob er bei seinen Taten voll schuldfähig war. Zwei vom Gericht bestellte Gutachter halten ihn für voll schuldfähig. Damit hätte Harry S. keine Chance auf eine entsprechende Strafmilderung. Die Verteidiger haben deshalb zwei weitere Gutachter engagiert – den Psychiater Ralph-Michael Schulte und Helmut Kury. Das Problem: Während Schulte zum Ergebnis kommt, dass Harry S. aufgrund seines sexuellen Dranges nach Kindern wohl nur eingeschränkt schuldfähig war, sieht Kury die volle Schuldfähigkeit.
Weil das Gespräch zwischen dem Psychologen und dem Angeklagten der Schweigepflicht unterliegt, hätte der Kinderarzt die Aussage des Gutachters verhindern können. Er tat dies nach längerer Überlegung aber nicht, gegen den ausdrücklichen Rat seiner Anwälte. Moritz Bode sagte unserer Redaktion, sein Mandant wolle damit zeigen, dass er bereit sei, alle Informationen über sich und seine Taten preiszugeben. Das Vertrauensverhältnis zwischen den Anwälten und Harry S. sei durch diese Entscheidung aber keinesfalls beschädigt worden, sagt Bode.
Zumal Gutachter Helmut Kury auch Positives über den Angeklagten zu sagen hatte. Harry S. sei seiner Einschätzung nach zwar ein sogenannter Kernpädophiler, sagte er. Bei Menschen mit dieser Störung ist eine Heilung nach Stand der Dinge quasi ausgeschlossen. Sie müssen vielmehr in aller Regel lernen, ohne sexuelle Kontakte auszukommen. Zudem liegt die Rückfallquote teils bei 50 Prozent und mehr. Allerdings sieht Kury bei Harry S. zahlreiche Faktoren, die eine Rückfallgefahr senken können. So stehe er zu seinen Taten und sei sehr engagiert dabei, sich therapieren zu lassen.