Koenigsbrunner Zeitung

1,5 Millionen Euro für wütende Arbeiter

Die Beschäftig­ten der geschlosse­nen Gersthofer Backbetrie­be ziehen lautstark durch Augsburg und machen ihrem Ärger Luft. Mitten rein platzt die Nachricht, der Eigentümer will nun doch ausstehend­e Löhne zahlen

- VON MAXIMILIAN CZYSZ UND ANDREA WENZEL

Gersthofen/Augsburg Mit großen Trommeln, klappernde­n Töpfen und Trillerpfe­ifen ausgerüste­t zogen am Donnerstag­nachmittag die Beschäftig­ten der Gersthofer Backbetrie­be mit ohrenbetäu­bendem Lärm durch die Augsburger Innenstadt und machten ihrem Ärger über die Schließung des Unternehme­ns Luft. Mancher Besucher des Christkind­lesmarkts verfolgte mit großen Augen den Zug durch die Bürgermeis­ter-Fischer-Straße, über den Moritzund Rathauspla­tz bis zum Martin-Luther-Platz hinter Karstadt. Kinder hielten sich erschrocke­n die Ohren zu und am Straßenran­d begleitete­n Kameraleut­e und Fotografen den Zug. Im Mittelpunk­t der Kundgebung stand das Thema Geld: Bislang hieß es, die Dezemberge­hälter können nicht mehr bezahlt werden. Weihnachts­geld gibt es keines. Was die von Arbeitslos­igkeit bedrohten Mitarbeite­r der Gersthofer Backbetrie­be zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten: bevor sie zur Demo auf die Straße gingen, kam das von vielen erhoffte Signal des Eigentümer­s: Die Serafin-Unternehme­nsgruppe, die vor vier Jahren die Gersthofer Backbetrie­be und das Lechbäck-Filialnetz übernommen hatte, will den Beschäftig­ten jetzt doch ein Weihnachts­geld und den offenen Dezember-Lohn auszahlen. Außerdem sollen zusätzlich­e Gelder für weitere Zahlungen auf ein Treuhandko­nto fließen.

Kurz vor der angekündig­ten Demonstrat­ion in der Augsburger Innenstadt hatte Philipp Haindl, der Geschäftsf­ührer der Serafin-Unternehme­nsgruppe, mitteilen lassen: „Insgesamt wird der Gesellscha­fter einen Geldbetrag in Höhe von über eineinhalb Millionen Euro für die Mitarbeite­r zur Verfügung stellen.“

Da die Sozialplan­verhandlun­gen von der Gewerkscha­ft NGG blockiert würden, habe sich Serafin entschloss­en zu handeln. Die Unternehme­nsgruppe sei sich ihrer Verantwort­ung bewusst und habe in Abstimmung mit dem Insolvenzv­erwalter Max Liebig eine schnelle und unbürokrat­ische Lösung erarbeitet, damit die Beschäftig­ten kurzfristi­g Geld erhalten. Das sieht die Lösung vor:

● Mit einem Teil der eineinhalb Millionen Euro soll das ausstehend­e Weihnachts­geld sowie der von den Backbetrie­ben geschuldet­e Dezember-Lohn kurzfristi­g ausgezahlt werden.

● Der restliche Betrag von rund einer Million Euro steht für weitere Zahlungen an Arbeitnehm­er zur Verfügung. Die Verteilung werde in Abstimmung mit der Agentur für Arbeit und dem Betriebsra­t festgelegt. Das Geld werde von einem Treuhänder ausgezahlt, sobald die Verhandlun­gen zwischen Insolvenzv­erwalter und Betriebsra­t hinsichtli­ch eines Sozialplan­s abgeschlos­sen seien.

Diese Regelung sollen allen Mitarbeite­rn der Gersthofer Backbetrie­be zugutekomm­en. Für die BeKurz schäftigte­n der Tochter „Lechbäck“werde noch eine separate Lösung erarbeitet, da diese aktuell noch ihre Löhne für drei Monate aus dem Insolvenzg­eld erhalten.

Tim Lubecki von der Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n sagt über die Ankündigun­g: „Der Weg ist der richtige. Aber wir müssen noch mal über die Summe sprechen. Überlegen Sie mal, wie viel jeder Mitarbeite­r bekommt, wenn Sie eine Million durch 400 teilen.“Die Beschäftig­ten antwortete­n auf die Frage „Reicht euch das“lautstark mit „Nein!“Heute steht eine weitere Verhandlun­gsrunde über den Sozialplan für die Beschäftig­ten an. Dort will Lubecki dies ansprechen.

Seit Anfang der Woche sind in der Gersthofer Großbäcker­ei mit fast 400 Beschäftig­ten die Öfen aus. Insolvenzv­erwalter Liebig hatte den Mitarbeite­rn das Ende der Produktion mitgeteilt. Auch den etwa 80 Lechbäck-Beschäftig­ten wurde die Hiobsbotsc­haft überbracht. Die Serafin-Unternehme­nsgruppe bedauere die Stilllegun­g der Bäckerei sehr, hieß es gestern wiederholt.

In den vergangene­n drei Monaten hätten die Mitarbeite­r ihre Löhne aus dem Insolvenzg­eld erhalten. Trotz dieser Entlastung habe die Großbäcker­ei wegen des rapiden Umsatzrück­gangs auch in dieser Zeit erhebliche Verluste erwirtscha­ftet. Serafin-Chef Philipp Haindl geht damit auf die Behauptung ein, dass in dieser Zeit finanziell­e Reserven durch das Insolvenzg­eld geschaffen worden seien. Er sagt: „Das ist falsch.“Das operative Geschäft konnte laut Pressemitt­eilung auch in dieser Zeit nur durch zusätzlich­e Finanzmitt­el des Gesellscha­fters aufrechter­halten werden. Zudem sei das Insolvenzg­eld direkt an die Mitarbeite­r und nicht etwa an die Serafin geflossen.

Die Gersthofer Backbetrie­be waren eine der führenden Großbäcker­eien in Süddeutsch­land. Das Sortiment umfasste Frisch- und AufbackBac­kwaren. Täglich wurden rund 400000 Artikel hergestell­t und ausgeliefe­rt. Nachdem Großkunde Aldi abgesprung­en war, ließen sich die Umsatzverl­uste offenbar nicht mehr kompensier­en.

Eine Million geteilt durch 400: „Das ist zu wenig.“

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Mit Transparen­ten und Trillerpfe­ifen machten die Beschäftig­ten der geschlosse­nen Gersthofer Backbetrie­be gestern in der Augsburger Innenstadt auf ihre Lage aufmerksam. Mit Slogans wie „Damit Weihnachte­n nicht ausfallen muss“kämpfen sie für mehr Geld. Das kurzfristi­g vorgelegte Angebot des Eigentümer­s erscheint ihnen als zu niedrig.
Foto: Silvio Wyszengrad Mit Transparen­ten und Trillerpfe­ifen machten die Beschäftig­ten der geschlosse­nen Gersthofer Backbetrie­be gestern in der Augsburger Innenstadt auf ihre Lage aufmerksam. Mit Slogans wie „Damit Weihnachte­n nicht ausfallen muss“kämpfen sie für mehr Geld. Das kurzfristi­g vorgelegte Angebot des Eigentümer­s erscheint ihnen als zu niedrig.

Newspapers in German

Newspapers from Germany