1,5 Millionen Euro für wütende Arbeiter
Die Beschäftigten der geschlossenen Gersthofer Backbetriebe ziehen lautstark durch Augsburg und machen ihrem Ärger Luft. Mitten rein platzt die Nachricht, der Eigentümer will nun doch ausstehende Löhne zahlen
Gersthofen/Augsburg Mit großen Trommeln, klappernden Töpfen und Trillerpfeifen ausgerüstet zogen am Donnerstagnachmittag die Beschäftigten der Gersthofer Backbetriebe mit ohrenbetäubendem Lärm durch die Augsburger Innenstadt und machten ihrem Ärger über die Schließung des Unternehmens Luft. Mancher Besucher des Christkindlesmarkts verfolgte mit großen Augen den Zug durch die Bürgermeister-Fischer-Straße, über den Moritzund Rathausplatz bis zum Martin-Luther-Platz hinter Karstadt. Kinder hielten sich erschrocken die Ohren zu und am Straßenrand begleiteten Kameraleute und Fotografen den Zug. Im Mittelpunkt der Kundgebung stand das Thema Geld: Bislang hieß es, die Dezembergehälter können nicht mehr bezahlt werden. Weihnachtsgeld gibt es keines. Was die von Arbeitslosigkeit bedrohten Mitarbeiter der Gersthofer Backbetriebe zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten: bevor sie zur Demo auf die Straße gingen, kam das von vielen erhoffte Signal des Eigentümers: Die Serafin-Unternehmensgruppe, die vor vier Jahren die Gersthofer Backbetriebe und das Lechbäck-Filialnetz übernommen hatte, will den Beschäftigten jetzt doch ein Weihnachtsgeld und den offenen Dezember-Lohn auszahlen. Außerdem sollen zusätzliche Gelder für weitere Zahlungen auf ein Treuhandkonto fließen.
Kurz vor der angekündigten Demonstration in der Augsburger Innenstadt hatte Philipp Haindl, der Geschäftsführer der Serafin-Unternehmensgruppe, mitteilen lassen: „Insgesamt wird der Gesellschafter einen Geldbetrag in Höhe von über eineinhalb Millionen Euro für die Mitarbeiter zur Verfügung stellen.“
Da die Sozialplanverhandlungen von der Gewerkschaft NGG blockiert würden, habe sich Serafin entschlossen zu handeln. Die Unternehmensgruppe sei sich ihrer Verantwortung bewusst und habe in Abstimmung mit dem Insolvenzverwalter Max Liebig eine schnelle und unbürokratische Lösung erarbeitet, damit die Beschäftigten kurzfristig Geld erhalten. Das sieht die Lösung vor:
● Mit einem Teil der eineinhalb Millionen Euro soll das ausstehende Weihnachtsgeld sowie der von den Backbetrieben geschuldete Dezember-Lohn kurzfristig ausgezahlt werden.
● Der restliche Betrag von rund einer Million Euro steht für weitere Zahlungen an Arbeitnehmer zur Verfügung. Die Verteilung werde in Abstimmung mit der Agentur für Arbeit und dem Betriebsrat festgelegt. Das Geld werde von einem Treuhänder ausgezahlt, sobald die Verhandlungen zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat hinsichtlich eines Sozialplans abgeschlossen seien.
Diese Regelung sollen allen Mitarbeitern der Gersthofer Backbetriebe zugutekommen. Für die BeKurz schäftigten der Tochter „Lechbäck“werde noch eine separate Lösung erarbeitet, da diese aktuell noch ihre Löhne für drei Monate aus dem Insolvenzgeld erhalten.
Tim Lubecki von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten sagt über die Ankündigung: „Der Weg ist der richtige. Aber wir müssen noch mal über die Summe sprechen. Überlegen Sie mal, wie viel jeder Mitarbeiter bekommt, wenn Sie eine Million durch 400 teilen.“Die Beschäftigten antworteten auf die Frage „Reicht euch das“lautstark mit „Nein!“Heute steht eine weitere Verhandlungsrunde über den Sozialplan für die Beschäftigten an. Dort will Lubecki dies ansprechen.
Seit Anfang der Woche sind in der Gersthofer Großbäckerei mit fast 400 Beschäftigten die Öfen aus. Insolvenzverwalter Liebig hatte den Mitarbeitern das Ende der Produktion mitgeteilt. Auch den etwa 80 Lechbäck-Beschäftigten wurde die Hiobsbotschaft überbracht. Die Serafin-Unternehmensgruppe bedauere die Stilllegung der Bäckerei sehr, hieß es gestern wiederholt.
In den vergangenen drei Monaten hätten die Mitarbeiter ihre Löhne aus dem Insolvenzgeld erhalten. Trotz dieser Entlastung habe die Großbäckerei wegen des rapiden Umsatzrückgangs auch in dieser Zeit erhebliche Verluste erwirtschaftet. Serafin-Chef Philipp Haindl geht damit auf die Behauptung ein, dass in dieser Zeit finanzielle Reserven durch das Insolvenzgeld geschaffen worden seien. Er sagt: „Das ist falsch.“Das operative Geschäft konnte laut Pressemitteilung auch in dieser Zeit nur durch zusätzliche Finanzmittel des Gesellschafters aufrechterhalten werden. Zudem sei das Insolvenzgeld direkt an die Mitarbeiter und nicht etwa an die Serafin geflossen.
Die Gersthofer Backbetriebe waren eine der führenden Großbäckereien in Süddeutschland. Das Sortiment umfasste Frisch- und AufbackBackwaren. Täglich wurden rund 400000 Artikel hergestellt und ausgeliefert. Nachdem Großkunde Aldi abgesprungen war, ließen sich die Umsatzverluste offenbar nicht mehr kompensieren.
Eine Million geteilt durch 400: „Das ist zu wenig.“