Der Zeit gehört die Zukunft
Museumsleiterin Sabine Sünwoldt und Kulturpreisträger Markus Friesenegger lassen in zahlreichen Texten die Zeit sprichwörtlich vergehen. Was Goethe und Loriot zum Thema sagen
Schwabmünchen Sabine Sünwoldt setzt sich ruhig, als hätte sie alle Zeit der Welt, an ihren Platz auf der kleinen Bühne. Sie streift sich mit Bedacht ihr Mikrofon über, richtet sich noch einmal ihre zeitlose Frisur, atmet durch, ein innerliches „So, jetzt kann es losgehen“ist in ihrem mittlerweile entspannten Gesicht zu lesen. Markus Friesenegger kommt schnell auf die Bühne, soweit dies im mit gut 100 Menschen voll besetzten Vortragsraum des Museums möglich ist.
Er wirkt etwas hektischer, er hat keine Zeit. Indirekt bewegen sich beide, noch bevor die Veranstaltung „Fünf vor zwölf – Von Zeit, der Eile, der Geduld und das Zuspätkommen“beginnt, mitten im Thema. An zwei Abenden, die restlos ausverkauft sind, reflektieren mehr als 30 Texte von Ovid bis Loriot den Umgang mit dieser nahezu alle Menschen regierenden Dimension. Die thematische Vielschichtigkeit wird durch die Schlag auf Schlag vorgetragenen Aphorismen und Zitate quer durch die Historie schnell deutlich und erzeugt eine Spannung, die bis zum Ende der Lesung anhalten soll. Abgerundet werden die Texte einmal von den Musikern der Gruppe Tandarei sowie Karlheinz Hornung (Gitarre) und Silke Mei (Cello).
Scheinbar nüchterne Betrachtungen zur Entstehung der Sekunde prallten unmittelbar auf Rainer Maria Rilkes lyrische Beschreibung der Sonnenuhr, Rainhard Fendrichs zeitbeschreibender Liedertext „Wie Honig“dringt genauso ins Ohr der Zuhörer wie der Loriot-Sketch vom „Lottogewinner Erwin Lindemann, der mit dem Papst eine Herrenboutique in Wuppertal eröffnet“. Diese Interpretation der in die Zukunft weisenden Geschehnisse erzeugt mehr als nur Lacher und wird mit tosendem Applaus belohnt, so per- fekt rezitieren Sünwoldt und Friesenegger diese äußerst komische Situation.
Sobald die Zeit für mehrere Personen eine Rolle spielt, gewinnt die Pünktlichkeit an Bedeutung; so Sünwoldt in einer ihrer geschickten Überleitungen zwischen den zum Teil konträren Textstilen. „Pünktlichkeit ist was Großartiges“, sagt die Museumsleiterin, kurz bevor Markus Friesenegger mit „Die letzten Minuten einer Beziehung“erneut einen Text des Berliner Geschichtenerzählers Horst Evers gekonnt vorträgt. Der „Theaterbesuch“nach Karl Valentin reißt die Besucher erneut zu Lachsalven und Applaus hin. Der bunte Reigen der zeitlosen, lyrischen, faktischen, träumerischen und visionären Texte beinhaltet jedoch auch Skurriles.
„Eineinhalb Bassets und ein Lamm – welche fatale Auswirkungen die Zukunft auf die Gegenwart haben kann“, von Rezitator Markus Friesenegger selbst verfasst, ist dafür ein Paradebeispiel und steht der „Zeitmaschine“des H. G. Wells in Irritationen über die Zeitverläufe in nichts nach. Still, als ob die Zeit stehe, ist es im Raum, als Wolfgang Borcherts „Küchenuhr“nicht mehr tickt oder der Vater in Goethes „Erlkönig“den Ritt gegen die Zeit verliert.
Die Veranstaltung hebt die Zuhörer aus der hektischen Adventszeit in humorvoller sowie gleichzeitig tiefsinniger bis betroffen machender Weise in einen scheinbar anderen Zeitkorridor, in dem der Sekundenzeiger keine Macht hat.
Überrascht wirken die Gäste, als die Ansage von Sabine Sünwoldt das Ende der fast zweistündigen Lesung verkündet, so schnell ist die Zeit vergangen. Der kräftige Applaus an alle Akteure beweist, dass das Format der Lesungen ankommt und zeitlos ist.