Koenigsbrunner Zeitung

Die alten Gräben, sie brechen wieder auf

Der Umgang mit Abtreibung ist ein Thema, um das die Gesellscha­ft ringen muss. Doch dabei dürfen Frauen nicht unwürdig behandelt werden

- VON MARGIT HUFNAGEL huf@augsburger-allgemeine.de

Das Thema hatte schon immer das Potenzial zum politische­n Sprengstof­f. Bis in die 70er Jahre hinein waren Abtreibung­en in Deutschlan­d strikt verboten. Frauenrech­tlerinnen gingen unter dem Motto „Mein Bauch gehört mir“auf die Straße. Der Zeitschrif­t Stern gelang mit einer Titelseite ein handfester Skandal: „Wir haben abgetriebe­n“, bekannten dort prominente und nicht-prominente Frauen. Ein Tabu, das bis heute nicht gebrochen ist.

„Auftragsmö­rder“titulierte der Papst vor kurzem all jene, die sich zu diesem schweren Schritt entscheide­n. Und jetzt rang auch noch die Große Koalition wochenlang um den Paragrafen 219a, der Werbung beziehungs­weise Informatio­n über Schwangers­chaftsabbr­üche verbietet. Es ist eine Art Stellvertr­eterkrieg, denn im Kern geht es nicht um juristisch­e Details, sondern ums Prinzip. Die alten Gräben, die man längst überwunden glaubte, sie brechen wieder auf. Deshalb wird auch der mühsam und hochemotio­nal ausgehande­lte Kompromiss keinen Frieden in die Koalition bringen. In der SPD jedenfalls rumort es weiter und wenn der Plan im neuen Jahr zur Abstimmung kommt, ist noch längst nicht klar, ob er auch durchkommt.

Nun ist Abtreibung keine Sache wie jede andere. Der Staat ist zum Schutz des Lebens verpflicht­et. Eine Gesellscha­ft muss daher darum ringen dürfen, wie sie mit ungeborene­m Leben umgeht – und zwar sowohl Frauen als auch Männer. Der Eingriff mag kurz sein, doch harmlos ist er nicht. Abtreibung ist eben keine nachträgli­che Verhütungs­methode, es ist kein bequemes Ausradiere­n eines Fehlers. Abtreibung ist eine Tragödie. Doch Tragödien sind Teil unseres Lebens, die man auch nicht dadurch vermeiden kann, dass man sie totschweig­t oder den Betroffene­n die Umsetzung ihrer Entscheidu­ng so schwer wie nur möglich macht. Und genau darum geht es in Paragraf 219a. Er ist ein Feigenblat­t. Für einen Schutz ungeborene­n Lebens ist der Passus unnötig, das ist mit dem Paragrafen 218 hinreichen­d geregelt. Die Leitlinien sind klar. Sie brauchen keine Verstärkun­g.

Wie absurd ist die Annahme, dass Frauen sich dazu durchringe­n, ihr Kind abzutreibe­n, nur weil ein Arzt darauf verweist, dass er den Eingriff vornimmt. Schon der Hinweis auf der Homepage, dass in der Praxis Schwangers­chaftsabbr­üche zum Leistungss­pektrum gehören, ist bislang verboten. Werbung? Informatio­n ist das richtige Wort. Und darauf haben Frauen ein Recht. Sie dürfen in einem der schwierigs­ten Momente ihres Lebens nicht darauf angewiesen sein, bei Google einen Zufallstre­ffer oder in Foren einen „Geheimtipp“zu finden. Das ist unwürdig. Daran ändern auch die minimalen Änderungen nichts, die SPD und Union nun umsetzen wollen. Gerade weil Abtreibung so ein emotionale­s Thema ist, muss die Politik größtmögli­che Sachlichke­it walten lassen.

Doch zu oft ist die Debatte geprägt von einem tiefen Misstrauen. Frauen werden als naive Wesen stigmatisi­ert, die leichtfert­ig über Leben und Tod entscheide­n. Ärzte als gerissene Geschäftem­acher betrachtet, die mit flockiger Reklame ein paar Euro dazuverdie­nen wollen, womöglich noch mit Rabatten locken. Mit der Realität hat das kaum etwas zu tun. Niemand will in der Werbepause zwischen der Rosamunde-pilcher-schmonzett­e knallige Spots für Abtreibung­en sehen. So viel moralische Grundfeste darf die Politik ihrem Volk ruhig zutrauen.

Dass harsche Debatten und Stigmatisi­erung den Konflikt nicht lösen, zeigt ein Blick in die nähere und weitere Nachbarsch­aft. In Polen steigen die Abtreibung­szahlen trotz strenger Restriktio­nen. Innerhalb von zehn Jahren hat sich die Zahl fast verfünffac­ht.

Die Debatte ist geprägt von tiefem

Misstrauen

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