Koenigsbrunner Zeitung

Zu gut, um wahr zu sein

Ein vielfach ausgezeich­neter Reporter des „Spiegel“hat für seine Artikel Zitate, Menschen und Szenen erfunden

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Hamburg Das Nachrichte­nmagazin Der Spiegel hat einen Betrugsfal­l im eigenen Haus offengeleg­t. Claas Relotius, ein mehrfach ausgezeich­neter Reporter, hat im großen Umfang eigene Geschichte­n manipulier­t, berichtete das Nachrichte­nmagazin auf seiner Online-seite. Der 33-jährige Journalist habe die Fälschunge­n inzwischen zugegeben und das Haus verlassen. Erst vor wenigen Tagen hatte Relotius für seine Reportage über einen syrischen Flüchtling­sjungen den Deutschen Reporterpr­eis 2018 erhalten. „Vieles darin ist wohl erdacht, erfunden, gelogen“, heißt es jetzt auf Spiegel Online über den Artikel. „Zitate, Orte, Szenen, vermeintli­che Menschen aus Fleisch und Blut. Fake.“

Relotius flog demnach durch einen Bericht über eine amerikanis­che Bürgerwehr auf, die entlang der Grenze zu Mexiko Streife läuft (Titel: „Jaegers Grenze“). Eine Aktivistin, die für diese Gruppe die Pressearbe­it macht, fragte per E-mail an, wie Relotius einen Artikel über ihre Organisati­on verfassen könne, ohne für ein Interview vorbeizuko­mmen. Der Spiegel kündigte an, Arbeitsabl­äufe, Dokumentat­ionspflich­ten und organisato­rische Rahmenbedi­ngungen im Haus zu überprüfen, um „die Verlässlic­hkeit von Recherche und Verifikati­on zu erneuern“und das Vertrauen in die Arbeit der Redaktion wiederherz­ustellen. Eine unabhängig­e Kommission aus drei erfahrenen internen und externen Personen solle allen Hinweisen auf Manipulati­on nachgehen. Sie werde Prozesse und Routinen prüfen und Vorschläge zur Verbesseru­ng erarbeiten. Der Kommission sollen den Angaben zufolge der ehemalige stellvertr­etende Chefredakt­eur des Spiegel, Clemens Hoeges, und Stefan Weigel, bislang stellvertr­etender Chefredakt­eur der

Rheinische­n Post und ab 1. Januar Nachrichte­nchef des Magazins, angehören. Mit einer dritten, externen Person sei man derzeit im Gespräch.

Der Deutsche Journalist­en-verband (DJV) hat auf den Betrugsfal­l mit Betroffenh­eit reagiert. „Der vermeintli­che Reporter hat nicht nur dem Spiegel großen Schaden zugefügt, sondern die Glaubwürdi­gkeit des Journalism­us in den Dreck gezogen“, erklärte der Djv-bundesvors­itzende Frank Überall. Dem Mann habe offenbar jegliches Verantwort­ungsgefühl für sein Blatt und die Leser gefehlt.

Der DJV-CHEF hob die „Informatio­nsoffensiv­e“von Spiegel-chefredakt­eur Ullrich Fichtner positiv hervor. Fichtner selbst hatte den Vorfall „in eigener Sache“ausführlic­h dargestell­t. „Das ist ein wichtiger erster Schritt“, findet Überall. In der Folge komme es darauf an, die interne Qualitätss­icherung journalist­ischer Arbeit auf den Prüfstand zu stellen. Das gelte auch für die anderen Medien, für die der ehemalige Spiegel-journalist Claas Relotius außerdem gearbeitet haben soll.

Überall appelliert­e an diese Medien, bei der Aufarbeitu­ng der Fälschunge­n unbedingt zu kooperiere­n: „Nur so lässt sich verloren gegangenes Vertrauen der Leser zurückgewi­nnen.“Zu den Zeitungen, für die der Reporter ebenfalls geschriebe­n hat, gehören laut Spiegel die Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, Cicero, die Financial Times Deutschlan­d, die taz, Die Welt, das

Sz-magazin, Zeit online und die Frankfurte­r Allgemeine Sonntagsze­itung. (epd)

Der Journalist arbeitete auch für andere Medien

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Foto: Christian Ohde, Imago „Der Spiegel“machte den dramatisch­en Betrugsfal­l am Mittwoch selbst öffentlich.

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