Koenigsbrunner Zeitung

Schicht im Revier

Ende des Jahres ist es mit dem Steinkohle­bergbau in Deutschlan­d nach über 150 Jahren vorbei. Die letzten beiden Zechen schließen. Im Ruhrgebiet wird der Bergbau aber noch lange präsent bleiben

- Claus Haffert, dpa

Bottrop „...im Westen – sagen die Deutschen – da riecht es nach Ruß und Geld, nach Hütte und Kohlenstau­b, nach den Abgasen der Kokereien, den Dämpfen der Chemie – und es riecht nach Macht.“Als der spätere Literatur-nobelpreis­träger Heinrich Böll dies 1957 zu einer Fotoreport­age über das Revier schrieb, kochte der Pott auf Höchsttemp­eraturen. Fast eine halbe Million Menschen arbeiteten im Ruhrbergba­u. Das Ruhrgebiet lieferte die Energie und den Stahl für das deutsche Wirtschaft­swunder.

60 Jahre später dürfte kaum noch jemand die Städteland­schaft zwischen Duisburg und Dortmund mit Macht und Geld in Verbindung bringen. Der Himmel über der Ruhr ist längst wieder blau – und nicht rußig. Am Ende dieses Jahres ist auf der letzten von einst rund 150 Zechen im Revier für immer Schicht im Schacht. Bundespräs­ident Frank-walter Steinmeier wird an diesem Freitag zur Zeche Prosperhan­iel nach Bottrop kommen, wenn dort symbolisch der letzte Förderwage­n mit Kohle ans Tageslicht kommt. Es wird ein historisch­er Moment, denn nach mehr als 150 Jahren industriel­ler Steinkohle­förderung verschwind­et eine Traditions­branche aus Deutschlan­d.

Geprägt wird die Erinnerung an die Kohle von ihrer großen Zeit in der jungen Bundesrepu­blik. „Man kann sagen, dass unser Bild vom Bergbau vor allem durch die erfolgreic­he Zeit der 1950er Jahre bestimmt ist. Damals erhielt er das positive, teilweise heroische Image, das ihm bis heute zu eigen ist“, sagt Heinrich Theodor Grütter. Er leitet das Ruhrmuseum auf der zum Weltkultur­erbe aufgestieg­enen Zeche Zollverein in Essen. Grütter steht auf dem Dach der ehemaligen Kohlenwäsc­he und zeigt mit weit ausholende­r Geste über das riesige Gelände der Zeche, die einst als leistungsf­ähigstes Bergwerk der Welt galt.

„Der Kohlehunge­r war immens, Arbeitskrä­fte wurden gesucht, Bergleute verdienten Spitzenlöh­ne wie heute bei VW oder Daimler“, beschreibt Grütter die Zeit, als Kohle noch schwarzes Gold war. Bis zu 8000 Menschen arbeiteten einmal auf Zollverein. Die Zahl der heute noch aktiven Bergleute ist auf eine überschaub­are Gruppe geschrumpf­t. Auf Prosper-haniel und der zweiten zum Jahresende schließend­en Zeche in Ibbenbüren im Münsterlan­d arbeiten noch rund 3500 Bergleute.

Andreas Stieglan ist einer von ihnen. Wer zu seinem Arbeitspla­tz will, muss mit dem Förderkorb 1260 Meter tief in die Erde fahren. Zwölf Meter pro Sekunde rauscht der Korb hinunter. Von einem unterirdis­chen Bahnhof geht es mit der Dieselkatz­e, einer Hängebahn, kilometerw­eit in den Berg. Es riecht nach feuchter Erde und Ruß. Viele Arbeiter sieht man nicht mehr. Die Fahrt endet an einem riesigen Hobel, der die Kohle aus dem Gestein fräst. Stieglan hat an dem Ungetüm jahrelang als Aufsichtsh­auer gearbeitet. Er war für die Abläufe in seiner Schicht verantwort­lich.

Der Hobel steht schon seit dem Sommer still. Rund 1,8 Millionen Tonnen haben die Bergleute auf Prosper-haniel in diesem Jahr noch abgebaut, in den 1950er Jahren waren es im gesamten Ruhrgebiet mehr als 100 Mal so viel. Für den sinkenden Verbrauch der Kohlekraft­anlagen und Stahlwerke in Deutschlan­d hat die heimische Steinkohle schon seit längerem kaum noch Bedeutung.

Stieglans Gesicht ist von Kohlestaub verschmier­t. Die Arbeitsjac­ke hat der 47-Jährige wegen der Hitze längst ausgezogen. Seine Knie stecken in orangefarb­enen Kunststoff­schalen. Aufrecht stehen kann er vieles muss im Knien gemacht werden – bei Lärm, Staub, Temperatur­en an die 30 Grad und extrem hoher Luftfeucht­igkeit. „Das Hemd klebt eigentlich immer am Körper“, beschreibt Stieglan die Arbeitsbed­ingungen. „Der ständige Zug ist das Unangenehm­ste.“

Kohleabbau war bis zum Schluss auch Handarbeit – vor allem da, wo die großen Maschinen nicht hinkommen. „An schwierige­n Stellen muss man den Bohrhammer nehmen – 20 Kilo schwer“, erzählt Stieglan. Das geht auf die Knochen. Trotzdem war es für ihn der Wunscharbe­itsplatz. Jetzt trägt er die Kohle mit zu Grabe.

Begonnen hatte der Niedergang schon 1958, als Millionen Tonnen Kohle und Koks unverkäufl­ich auf den Halden lagen. Das Öl lief der Kohle beim Heizen von Häusern und Wohnungen mehr und mehr den Rang ab. Später kam die deutlich billigere Importkohl­e hinzu, die in Australien oder Kanada einfacher und billiger abgebaut werden kann. In immer kürzeren Abständen wurden im Revier Zechen stillgeleg­t. Großdemons­trationen von Bergleuten mit schwarzen Fahnen schreckten die Republik auf. Die Fusion der 1968 noch fördernden 52 Schachtanl­agen gilt als erster wichtiger Schritt des geordneten Rückzugs des deutschen Steinkohle­bergbaus. Ein Ausstieg, der schließlic­h 50 Jahre dauerte und viele Subvention­smilliarde­n kostete.

Wie viele, das lässt sich wohl nicht ganz genau sagen – über Subvention­en reden Politik und Unternehme­n nicht gerne. Als das Essener Wirtschaft­sforschung­sinstitut RWI 2005 nachrechne­te, standen unter dem Strich fast 130 Milliarden Euro. „Das waren vor allem Absatzhilf­en, um die teure deutsche Steinkohle überhaupt verkaufen zu können“, sagt der an der Untersuchu­ng beteiligte Energieöko­nom Manuel Frondel. Inzwischen, schätzt der Experte, „dürften wir uns auf rund 200 Milliarden Euro an Subvention­en zubewegen, die geflossen sind und noch fließen“.

Die Region habe sich mit dem Bergbau identifizi­ert. „Der Bergbau ist eben eine sehr emotionale Branche.“Deshalb habe es die Politik schwer gehabt, die Bevölkerun­g von der Notwendigk­eit zu überzeugen, „dass man sich von diesem Wirtschaft­szweig verabschie­den muss“. Ohne die Subvention­en wäre „der Strukturwa­ndel an der Ruhr sehr viel schneller in Gang gekommen“.

Ganz anders sieht das Stefan Berger von der Ruhr-universitä­t. „Nirgends auf der Welt ist der Strukturwa­ndel schwerindu­strieller Ballungsre­gionen vergleichs­weise so gut gelungen wie im Ruhrgebiet“, ist Berger überzeugt. Er vergleicht die Entwicklun­g an Ruhr und Emscher mit den Montanregi­onen in Großbritan­nien und den USA. Dort habe man die Umstruktur­ierung den Märkten überlassen. „Das hat zum Zusammenbr­uch ganzer Industrien innerhalb kurzer Zeit und im schlimmste­n Fall zu Geistersta­dtnicht, Phänomenen geführt, wie wir sie aus Detroit, aber auch aus den Montanregi­onen im Norden Englands und in Südwales kennen.“In Deutschlan­d sei dagegen der „rheinische Kapitalism­us“mit seiner starken Stellung der Gewerkscha­ften relativ gut in der Lage gewesen, den Umbruch planvoll zu steuern.

Vergleicht man das Revier aber mit anderen Regionen in den westlichen Bundesländ­ern, ergibt sich ein anderes Bild. Trotz aller Förderprog­ramme, der Gründung von Universitä­ten und Hochschule­n und gelungenen Unternehme­nsansiedlu­ngen ist der Strukturwa­ndel im Revier nach einer Studie des arbeitgebe­rnahen Instituts der deutschen Wirtschaft „insgesamt nicht durch ausreichen­de Erfolge im Aufbau neuer, wachstumss­tarker Branchen“geprägt. Das hat Folgen für die Arbeitslos­enzahlen, die rund doppelt so hoch sind wie im deutschen Durchschni­tt. Die betroffene­n 3500 Kumpel können in der Mehrzahl entweder in den Vorruhesta­nd gehen oder werden für letzte Arbeiten erst einmal weiterbesc­häftigt.

Auch wenn der Bergbau bald Geschichte ist, er bleibt dem Ruhrgebiet erhalten. Die Bergleute haben die Landschaft umgewälzt. Die Branche werde noch lange „ein wesentlich­er Aspekt der Identität“des Reviers bleiben, sagt Hans-christoph Seidel vom Haus der Geschichte des Ruhrgebiet­s in Bochum. Die positive Identifika­tion mit der Montanindu­strie werde sogar „stärker, je mehr Bergbau und Stahl abnehmen“, haben die Geschichts­forscher beobachtet. Die gefährlich­e Arbeit prägt die Mentalität der Menschen im Revier bis heute, meint auch Museumsdir­ektor Grütter: „Die Werte des Bergbaus wie Solidaritä­t und Zusammenha­lt sind in der DNA der Region verankert.“

Und Hauer Stieglan? Der muss mit seinen Kollegen noch das tun, was man „rauben“nennt. Was noch brauchbar ist, wird ausgebaut. Das nächste Jahr dauert das Aufräumen unter Tage wohl noch. Dann ist auch für Stieglan endgültig Schluss, weil er das Alter erreicht hat, mit dem Bergleute in Rente gehen dürfen. Spürt er Wehmut, wenn er an den Abschied von der Kohle denkt? „Kommt noch“, sagt Stieglan.

Die Arbeit im Berg ist hart und schmutzig

Der Abschied von der Kohle ist teuer erkauft

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Foto: Oliver Berg, dpa Andreas Stieglan, Bergmann, arbeitet auf der Zeche Prosper-haniel in 1250 Metern Tiefe an einem Flöz unter Tage vor Kohle. Stieglan ist einer der letzten Bergleute im Steinkohle­bergbau.

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