Er half dem Münchner Amokläufer
Ein Gericht verurteilt den Betreiber der Internetplattform, über die sich der Todesschütze seine Tatwaffe besorgt hatte. Das Verfahren sei juristisches Neuland, räumt der Richter ein
Karlsruhe/münchen Rund zweieinhalb Jahre nach dem Münchner Amoklauf ist ein 31 Jahre alter Mann verurteilt worden, der nach Ansicht des Landgerichts Karlsruhe einen wesentlichen Beitrag zur Tat des Todesschützen David S. geleistet hat. Dieser hatte am 22. Juli 2016 am Münchner Olympiaeinkaufszentrum neun Menschen getötet, fünf weitere verletzt und schließlich sich selbst erschossen. Die Tatwaffe, eine Pistole des Typs Glock 17, hatte sich der 18-Jährige auf einer Plattform im Darknet besorgt – die der nun Verurteilte betrieben hatte. Das Landgericht Karlsruhe sprach den 31-Jährigen am Mittwoch der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung sowie der Beihilfe zu Waffenund Drogendelikten schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren.
Die auf Cyber-kriminalität spezialisierte Staatsanwaltschaft Mannheim hatte eine Gesamtstrafe von neun Jahren und fünf Monaten gefordert. Die beiden Verteidiger des Angeklagten verzichteten auf eine konkrete Forderung zum Strafmaß.
Der Fall sei nicht ohne Tragik, sagte der Vorsitzende Richter Holger Radke zum Abschluss des Prozesses, an dem Angehörige der Opfer des Münchner Amoklaufs als Nebenkläger teilnahmen. Diese Tat vor fast zweieinhalb Jahren gehöre zu den schrecklichsten Verbrechen in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.
Der Angeklagte habe einen Bachelor-abschluss in Informatik und hätte damit Sinnvolles anfangen können. Stattdessen habe er eine Plattform mit Namen „Deutschland im Deep Web“(DIDW) im verborgenen Teil des Internets geschaffen, das zahlreiche Straftaten wie Rauschgift- und Waffengeschäfte abgewickelt wurden.
Der Angeklagte – ein gepflegt wirkender junger Mann mit weißem Hemd und kurzem dunklen Haar – hörte dem Urteil konzentriert zu. Er hatte in der Verhandlung behauptet, angenommen zu haben, dass im Bereich Waffenhandel seiner Plattform nur Betrüger unterwegs seien. Er sei nicht von funktionsfähigen Waffen ausgegangen. „Wir glauben, dass mit Waffen gehandelt wurde, war ihm egal“, sagte Richter Radke dagegen. Für den Bereich des Drogenüber handels hatte der Informatiker selbst gesagt, es sei ihm gleichgültig.
„Der Amokläufer hätte die Waffe nicht kaufen können, hätte den Amoklauf nicht begehen können“, resümierte Radke – wenn der Angeklagte Verkäufer und Käufer nicht in seinem Forum hätte zusammenkommen lassen. Den eigentlichen Waffenhändler im Fall des Münchner Amoklaufs hat das Landgericht München I im Januar 2018 zu sieben Jahren Haft verurteilt. Dieser Mann hatte Pistole und Munition an den jugendlichen Amokläufer verkauft.
Radke hielt dem nun verurteilten 31-Jährigen zwar zugute, dass er „DIDW“2013 in der an sich nicht verwerflichen Absicht eingerichtet habe, ein Forum für anonyme Kommunikation zu schaffen. „Für jedes auch schlichte Gemüt“hätte aber klar sein müssen, welche Gefahr von so einer Plattform ausgeht. Mit einer Wohnungsdurchsuchung beim Angeklagten in Karlsruhe im Juni 2017 wurde „DIDW“abgeschaltet. Die Verteidigung hatte die Rechtmäßigkeit eines Cyberangriffs auf die Plattform zur Ablenkung durch die Polizei angezweifelt. Das wies das Gericht zurück.
Das Verfahren sei zum Teil juristisches Neuland, sagte der Vorsitzende Richter und stimmte dabei dem Staatsanwalt zu. Mit der Frage der Haftung eines Plattformbetreibers für Straftaten habe sich die Justiz noch nicht häufig auseinandergesetzt. Solche neuen Fragen müssten heute noch mit Paragrafen aus der Kaiserzeit beantwortet werden. Allerdings gebe es beim Gesetzgeber inzwischen Bestrebungen, den Betrieb von krimineller Cyber-infrastruktur strafbar zu machen, sagte Radke.