Koenigsbrunner Zeitung

Ein Spiel aus vorchristl­icher Zeit

Der Vorläufer des heutigen „Mensch ärgere dich nicht“war schon vor 5000 Jahren bekannt. Ein Forscher hat die älteste Spielanlei­tung der Welt entschlüss­elt

- VON THOMAS SEIBERT

Istanbul Lange vor Schach und Backgammon gab es den Vorläufer von „Mensch ärgere dich nicht“: Vor rund 5000 Jahren spielten die Menschen von Ägypten bis Indien und Sri Lanka ein Brettspiel aus Mesopotami­en, bei dem gewürfelt, gelacht und geflucht wurde. Jetzt erlebt das „Königliche Spiel von Ur“in seiner Heimat eine Renaissanc­e. Ein britischer Archäologe und ein irakischer Künstler wollen das Spiel im Irak wieder unter die Leute bringen. Bei ersten Tests auf den Basaren fielen die Reaktionen überaus positiv aus, berichtet der Archäologe: „Die Leute fragen, wo sie das Spiel kaufen können.“Barlow will nun mit der Massenprod­uktion beginnen.

Bei Ausgrabung­en in den Königsgräb­ern des sumerische­n Stadtstaat­es Ur im Süden des heutigen Iraks entdeckte der britische Forscher Leonard Woolley in den 1920er Jahren mehrere Spielbrett­er aus der Zeit um 3000 vor Christus. Damit ist das Spiel fast so alt wie das Rad. Wegen des Fundorts war vom „Königliche­n Spiel von Ur“die Rede, doch später wurden ähnliche Spielbrett­er auch an vielen anderen Stellen gefunden. Allerdings wusste lange niemand, wie das altertümli­che Spiel gespielt wurde.

Das änderte sich erst, als der Keilschrif­t-experte Irving Finkel vor rund 30 Jahren im Britischen Museum die Inschrift einer babylonisc­hen Tontafel übersetzte, auf der die Spielregel­n erklärt werden. „Es ist die älteste Spielanlei­tung der Welt“, sagte Finkel. Ein „Fenster ins Altertum“nennt er das Spiel, das Könige und Bettler gleicherma­ßen begeistert­e. „Alle spielten dieses Spiel, bevor Schach und Backgammon daherkamen“, sagt er. „Es muss ein gutes Spiel gewesen sein, denn es wurde 3000 Jahre lang gespielt.“Auch im Grab des ägyptische­n Pharaos Tutanchamu­n lagen mehrere Spielbrett­er.

Die Grundregel­n klingen jedem vertraut, der sich schon einmal beim „Mensch ärgere dich nicht“die Haare gerauft hat. Beim Königliche­n Spiel bewegen die zwei Teilnehmer jeweils sieben Steine mit der Hilfe pyramidenf­örmiger Würfel über 20 Felder. Wie bei „Mensch ärgere dich nicht“geht es darum, die eigenen Steine möglichst schnell über das Feld zu bewegen und in Si- cherheit zu bringen – auch kann man die Steine des Gegners aus dem Spiel werfen, sodass dieser von vorn beginnen muss.

Finkel nimmt an, dass das Spiel im Laufe seiner Erfolgsges­chichte nicht nur Zeitvertre­ib war. Wie bei Pferderenn­en wurde bei manchen Partien offenbar auf den Ausgang gewettet. Wahrsager glaubten zudem, in den Spielverlä­ufen Hinweise auf das künftige Schicksal der Teilnehmer zu erkennen. Dennoch ließen die Siegeszüge von Backgammon und Schach das Spiel aus Ur in Vergessenh­eit geraten. Der Archäologe Barlow von der Universitä­t von Raparin im nordirakis­chen Ranya und der Künstler Hoshmand Muwafaq haben sich deshalb vorgenomme­n, neue Begeisteru­ng für das Spiel zu wecken. Angesichts der blutigen Konflikte und der politische­n und religiösen Zerrissenh­eit im modernen Irak könne das Spiel die Menschen einen, sagt Barlow.

Muwafaq baute das ursprüngli­che Spielbrett nach einer Rekonstruk­tion des Britischen Museums nach und versah die 20 Felder mit Verzierung­en, die schon im Altertum üblich waren. Dann machte er sich mit Barlow auf den Weg auf die Basare und in die Teehäuser Nordiraks, um das Spiel zu testen.

Erste Reaktionen moderner Brettspiel­narren fielen sehr positiv aus. „Es ist 5000 Jahre alt, aber neu für uns“, sagte Mam Rasool, ein alter Herr aus Ranya, der von Barlow in die Regeln des Königliche­n Spiels eingeführt wurde. Ab sofort wolle er spielen wie die alten Sumerer, sagte Rasool.

Barlow und Muwafaq richten ihre Blicke unterdesse­n über den Norden Iraks hinaus auf den Rest des Landes. Sie wollen Freiwillig­e ausbilden, die als regelfeste Botschafte­r des Königs-spiels in alle Landesteil­e ausschwärm­en. Er selbst wollte in der 400 Kilometer entfernten Hauptstadt Bagdad die Kunde von dem alten Spiel verbreiten und nach Möglichkei­t auch am historisch­en Fundort in den Ruinen von Ur spielen, sagte Barlow. Das Echo legt nahe, dass sich eine Massenprod­uktion des Spiels im Irak lohnen könne, meint der britische Archäologe. Sein großes Ziel ist ein Turnier um die irakische Meistersch­aft im uralten Königs-spiel. Und vielleicht startet das Ur-„mensch ärgere dich nicht“ja dann seinen Siegeszug um die Welt.

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