So zauberhaft wie damals?
Nach über 50 Jahren gibt es jetzt eine Fortsetzung des Musical-film-klassikers. Fabelhaft in dieser zuckersüßen Inszenierungsorgie ist allein die Hauptdarstellerin Emily Blunt. Aber das ist viel wert
Wer sich mehr als ein halbes Jahrhundert mit einer Fortsetzung an dem populären Musical-klassiker „Mary Poppins“(1964) messen will, muss einen Weg zwischen Nostalgie und Innovation finden. Diesbezüglich geht Regisseur Rob Marshall in „Mary Poppins’ Rückkehr“kein Risiko ein und hält sich eng umschlungen ans geliebte Original. Das gilt nicht nur für das Handlungsgerüst und das bekennende Retro-design, sondern auch für die musikalische Gestaltung, in der jeder Song der Vorlage eine neu komponierte Entsprechung zu finden scheint.
Über so viel Ergebenheit kann man die Nase rümpfen, aber letztlich ist es genau dieses offene Bekenntnis zum nostalgischen Vergnügen, die den beträchtlichen Unterhaltungswert dieses Spät-sequels bestimmt. Die Handlung springt eine Generation weiter ins London der 30er Jahre zur Zeit der Weltwirtschaftskrise. Michael Banks (Ben Whishaw) hat vor wenigen Jahren seine geliebte Ehefrau verloren und kümmert sich mit Schwester Jane (Emily Mortimer) um die Erziehung der drei Kinder. Am Morgen klopfen die Gerichtsvollzieher an der Tür. Die Raten für die Hypothek wurden nicht rechtzeitig bezahlt und nun droht die Räumung. Mitten in dieses Sorgenszenario schwebt Mary Poppins (Emily Blunt) mit dem aufgeklappten Regenschirm vom grauen Londoner Himmel herab und landet auf der Wiese so selbstverständlich, als wäre sie gerade aus einem Bus gestiegen. Vater und Tante wundern sich, dass ihre frühere Nanny nach all den Jahren vollkommen unverändert vor ihnen steht. „Über das Alter einer Dame spricht man nicht“, ermahnt Poppins ihre früheren Zöglinge und nimmt sich der drei Kinder an. Gegen die triste, scheinbar ausweglose Realität setzt die Gouvernante die Kraft der Illusion und nimmt die Geschwister zusammen mit dem sangesfreudigen Lampenputzer Jack (Lin-manuel Miranda) mit auf fantastische Reisen. Durch den Badewannenabfluss geht es hinaus aufs Meer und über die Scherben einer zerbrochenen Vase hinein in einen Jahrmarkt, wo realistische Welt und Zeichentrick verfließen. Gestärkt durch diese Ausflüge in die Traumwelten finden die Kinder Hoffnung und Kraft, um gegen die Pläne des finsteren Bankiers Wilkins (Colin Firth) anzugehen.
Regisseur Marshall („Chicago“) schöpft das luxuriöse Disney-budget in vollen Zügen aus und weiß vor allem in den Großchoreografien zu überzeugen. Wenn sich die gesamte Londoner Lampenputzer-innung auf die Fahrräder schwingt und die Leitern im Takt der Musik übereinanderstellt, um hoch oben im Big Ben die Zeit zurückzudrehen, setzen die genau ineinandergreifenden Bewegungen cineastische Glückshormone frei. Die Song- und Tanzeinlagen – samt eines Gastauftritts von Meryl Streep als exzentrische, russische Reparatur-expertin – sind zahlreich und ausufernd.
Wer mit dem Genre nichts anfangen kann und nach tragfähigen Handlungsbögen sucht, ist hier so gut wie verloren. Das Herz der zuckersüßen Inszenierungsorgie ist und bleibt die stets fabelhafte Emily Blunt, die in die Rolle der legendären Nanny hineingeboren scheint. Sie verleiht ihrer Mary Poppins eine wunderbare Strahlkraft, unterlegt mit einer sanften Ironie, durch die die Eitelkeit, zickige Dominanz und britische Akzentuiertheit der Figur genussvoll herausgearbeitet wird.