Wenn alle Spieler gewinnen
Winterzeit, Spielezeit: Bei einem gut gemachten Spiel sind Glück und gute Laune ansteckend. Doch nicht jeder ist ein guter Verlierer. Bei vielen neuen Spielen geht es deshalb um Spaß und Zusammenhalt
Studien zum Thema Gemeinschaft, Zugehörigkeit und Vertrauen belegen es: Selbst einfache Gruppenerlebnisse bereichern und machen glücklich. Sänger zum Beispiel, die regelmäßig in einen Chor gehen, spüren diesen Effekt: Beim Singen mit anderen fällt der Ärger und Stress des Alltags ab, man fühlt sich wohl, integriert, geborgen. Ähnlich geht es Menschen, die sich regelmäßig zu Spieleabenden treffen und dort gemeinsam mit Freunden und Bekannten ihrem Hobby frönen. Doch macht es wirklich glücklich, eine Partie „Mensch ärgere dich nicht“zu verlieren?
Tatsache ist, dass es Siegern am Ende einer Partie sichtlich besser geht als Verlierern. Manche Spieler fühlen sich durch ihre Niederlage gar von der Gruppe ausgeschlossen. Obwohl sie es faktisch nicht sind, sehen sie sich plötzlich isoliert und abgekoppelt von der Gemeinschaft. Kinder und Spieleanfänger haben besonders große Mühe, den Frust des Verlierens aushalten zu können.
Eine ideale Lösung für sie sind sogenannte kooperative Spiele. Hier spielen die Leute nicht gegeneinander, sondern miteinander gegen das Spiel oder gegen einen imaginären Gegner. Sprich: Bei kooperativen Spielen verliert niemand alleine, denn alle Spieler spielen als Team und wenn das Team verliert, verlieren alle Spieler gemeinsam. Andersrum stehen die Spieler natürlich auch bei einem Sieg nicht alleine da. Wenn am Tisch alle jubeln und sich begeistert abklatschen, weil die Gruppe einen fulminanten Sieg errungen hat, wird Freude vielfach potenziert. Glück und gute Laune sind schließlich ansteckend.
Beim Blick auf die Liste der aktuellen Spiele, die in diesem Jahr erschienen sind, zeigt sich, dass kooperative Spiele hoch im Kurs stehen. Rund die Hälfte der Highlights, die die Verlage unlängst auf der weltweit größten Spielemesse in Essen präsentiert haben, waren kooperative Spiele. Dominique Metzler, die Organisatorin der Messe, sieht darin zwar keinen neuen Trend, denn Spiele, die auf die Leistung der ganzen Gruppe abzielen, gibt es schon lange. Trotzdem fällt Metzler auf: „Teamgeist ist aktuell besonders oft gefragt.“
Woran das liegt? Vielleicht an den schlechten Verlierern, denen ko- operative Spiele gut zupasskommen. Vielleicht aber auch am Bedürfnis der Menschen, angesichts der vielen Ungewissheiten auf dieser Welt das Zusammengehörigkeitsgefühl mit anderen spüren zu wollen. „Die Gesellschaft rückt näher zusammen“, vermutet Spieleexpertin Metzler und ergänzt, vielen Menschen gefalle das Miteinander und die unmittelbare Kommunikation, die bei Teamspielen automatisch noch verstärkt werde. „Kooperative Spiele, die gut gemacht sind, vermitteln ein Wirgefühl, das man sonst kaum wo erleben kann“, sagt die Branchenkennerin.
Ein Vorteil ist zudem, dass sich bei kooperativen Spielen niemand eine Blöße geben müsse, weil er bei- spielsweise als eher ungeübter Spieler im Gegensatz zu Vielspielern nicht so viele clevere Ideen parat hat. Denn die Spielzüge bei Teamspielen werden gemeinschaftlich besprochen, vermeintlich „schwächere“Spieler würden einfach mitgerissen und könnten in kooperativen Partien sehr viel lernen. „Wenn das Team gewinnt, ist das Hochgefühl enorm“, sagt Metzler. „Es ist irre, wie damit das Wirgefühl noch verstärkt werden kann.“
Kooperative Spiele gibt es sowohl im Kinder- als auch im Erwachsenenund Familienspielbereich. Seit fünf Jahren werden diese Art Spiele immer populärer. Der Durchbruch war, als 2013 auf den Siegerlisten des Vereins Spiel des Jahres gleich drei kooperative Spiele standen: Das Kartenspiel „Hanabi“von Abacusspiele wurde „Spiel des Jahres“, das Merkspiel „Der verzauberte Turm“(Drei Magier Spiele/schmidt) wurde „Kinderspiel des Jahres“und das Fantasy-spiel „Die Legenden von Andor“von Kosmos wurde „Kennerspiel des Jahres“.
Derzeit begeistern vor allem viele Rätselspiele, die nach einer Idee der sogenannten „Escape Rooms“ihren Platz auf den Spieletischen fanden. Bei der „Deckscape“-reihe (Abacusspiele je 10 bis 12 Euro) schlüpfen die Spieler zum Beispiel in die Rolle von „Eingesperrten“, die mit jeder gelösten Aufgabe ihrem Ziel – der Flucht – ein Stück näherkommen. Karte um Karte werden die anfangs leichten und dann immer schwieriger werdenden Rätsel aufgedeckt, sich auszutauschen und gemeinsam Ideen zu generieren macht besonders viel Spaß.
Ein toller Einstieg in die faszinierende Welt der kooperativen Spiele, besonders auch für Familien, ist „Space Escape“(Game Factory, 18 Euro). Die Sogwirkung ist enorm, obwohl dabei zu verlieren auf mehrere Arten möglich ist. Doch egal wie die Spieler scheitern: Danach geht es weiter, denn gewinnen ist möglich und das Streben danach wird zur Sucht. In Kürze erklärt, geht es bei dem spannenden Laufspiel darum, mit den Figuren bestimmte Stellen auf dem Spielplan zu erreichen. Welche Figuren wie weit bewegt werden dürfen, geben eine Runde im Voraus zufällig gezogene Karten vor. Wichtig ist es, dass die Spieler ihre Züge gut vorausplanen und untereinander absprechen.
Für Würfelfreunde ist „Roll for Adventure“(Kosmos, 30 Euro) ein Spiel mit vielen Varianten. Für abwechslungsreiche Würfel-partien sorgen etwa die unterschiedlich kniffeligen Aufgabentafeln und die Feind-karten, die sich zusätzlich untermischen lassen. Auch ist es möglich, über die Wahl der Spielplanteilseiten und Charaktertafeln neue Herausforderungen zu schaffen. So oder so: Einfach ist es nie, rechtzeitig so viele Steine zu sammeln, dass die gegnerischen Armeen machtlos bleiben. Wichtig fürs Gewinnen ist, dass die Spieler sich austauschen, mehrere Dinge im Blick behalten und aus Würfelergebnissen clevere Aktionen machen.
Aufregend, euphorisierend, süchtig machend ist „X-code“(Amigo, 30 Euro), ein kooperatives Echtzeitspiel, bei dem die Spieler unter Zeitdruck bestimmte Kartenkombinationen schaffen müssen. Alle spielen gleichzeitig und sollten viel miteinander reden, denn nur so ist es möglich, passende Karten zu tauschen und abzulegen. Kniffelig ist, dass pro Runde ein Handkartenlimit das Nachziehen beschränkt und Pfeile auf den Karten die Tauschrichtung vorgeben. Mein linker Nachbar braucht eine Neun, um ein Trio und damit die Neunerablage zu schaffen? Blöd, wenn ich die Neun habe, der Pfeil aber zu meinem rechten Nachbarn zeigt. Nur wenn die Absprache der Teammitglieder gut ist, gelingt die Ablage trotzdem.
Man spielt gemeinsam gegen einen imaginären Gegner
Viele der neuen Spiele machen regelrecht süchtig