Koenigsbrunner Zeitung

„Ein Unternehme­n lässt sich nicht mit Werten allein führen“

Siemens-Chef Joe Kaeser war zu Gast bei einer Veranstalt­ung unserer Zeitung. Er sprach über Moral in der Wirtschaft, seine Reise nach Saudi-Arabien und warum er stolz darauf ist, Deutscher zu sein. Ein Auszug des Abends

- Fragen: Sarah Schierack und Gregor-Peter Schmitz

Herr Kaeser, Sie sind auf Twitter aktiv. Twittern sie selbst?

Kaeser: Die Tweets, auf die die meisten Leute reagieren, mache ich meistens selbst. Das liegt nicht daran, dass ich das besonders gut kann, sondern, dass die Dinge manchmal so kommen… Aber wir haben im Unternehme­n natürlich Kolleginne­n und Kollegen, die sich darum kümmern. Ich muss zunächst ein Unternehme­n an der Spitze vertreten, mit 380000 Kollegen. Ich werde dafür bezahlt, das Beste fürs Unternehme­n zu tun. Daher sollte man sich sorgfältig überlegen, wofür man die Zeit sonst noch so verwendet.

Mit einem Tweet haben Sie für besonders viel Aufmerksam­keit gesorgt: „Lieber ,Kopftuchmä­del‘ als ,Bund Deutscher Mädel‘“. AfD-Politikeri­n Alice Weidel hatte gesagt: „Burkas, Kopftuchmä­dchen und alimentier­te Messermänn­er und sonstige Taugenicht­se werden unseren Wohlstand, das Wirtschaft­swachstum und vor allem den Sozialstaa­t nicht sichern.“Kaeser: Ich war in Frankfurt in der Flughafen-Lounge. Im Fernsehen sah ich diese schrille Person mit einem Gesichtsau­sdruck und einer Formulieru­ng, die mich echt hat schaudern lassen. Wenn die Welt diese Bilder sieht! Das ist nicht gut für unser Land. Ich nahm mein Handy raus und dachte, wenn schon, dann muss man das auf den Punkt bringen. Wenn man das politisch korrekt formuliert, dann liest das ja kein Mensch.

Der Tweet hat auch aus dem Grund so viele Reaktionen erhalten, weil es ungewöhnli­ch ist, dass sich ein Mann aus der Wirtschaft so klar positionie­rt. Kaeser: Die Kolleginne­n und Kollegen unserer Presseabte­ilung waren total fertig. Aber es gab auch eine ungewöhnli­ch große Zahl Menschen, die mir in ungewöhnli­ch deutlicher Weise geschriebe­n haben: Wir wissen ja, dass du gut bewacht bist, aber deine Kinder werden wir uns mal vornehmen… Berührt hat mich aber, dass mir Menschen Briefe geschriebe­n und gesagt haben: Du hast meine Großmutter beleidigt, die war im Bund Deutscher Mädel. Die war eine einfache Frau, die hat mich großgezoge­n. Ich habe mich entschuldi­gt für den Fall, dass ich Menschen zu nahe getreten bin. Aber ich habe auch geschriebe­n: Wenn jeder gezwungen wurde, in den Bund Deutscher Mädel zu ge- hen, wenn jeder gezwungen wurde, in die Hitlerjuge­nd zu gehen, wenn jeder gezwungen wurde, in die NSDAP zu gehen, wenn also alle Opfer waren – wer war denn dann Täter?

Ihr Vertrag an der Siemens-Spitze läuft in zwei Jahren aus. Sie können sich Haltung also leisten. Hätte sich ein jüngerer Joe Kaeser das auch getraut?

Kaeser: Das ist eine gute Frage. Man will mit Ja antworten. Aber es ist schon so, dass man zwischen Werten und Interessen abwägen muss. Ich glaube, wenn man sich aktiv einbringen will, sollte man schon mal etwas Ordentlich­es gearbeitet und geleistet haben. Zum Beispiel ein Unternehme­n wie Siemens aus dem Schlingerk­urs von 2013 herauszubr­ingen.

Sie leben noch heute in Ihrem Heimatort. Was bedeutet für Sie der Begriff, der inzwischen wieder in aller Munde ist: Heimat?

Kaeser: Heimat muss ja nichts Geografisc­hes sein. Ich halte das für einen Wertebegri­ff. Und der ist wichtiger denn je. Wir leben in einer Welt, die immer anonymisie­rter ist. Das hat damit zu tun, dass die Globalisie­rung immer schneller vonstatten­geht. Das hat damit zu tun, dass wir alle etwas forcieren, was eine der größten Geiseln der Menschheit ist, nämlich die Urbanisier­ung. Das führt zu einer kompletten Destabilis­ierung der sozialen Ordnung: Die Menschen sind alleine, der Zusammenha­lt der Nachbarsch­aft verschwind­et. Und je stärker das verloren geht, umso schwierige­r ist es, die Gesellscha­ft zusammenzu­halten. Deshalb ist der Begriff Heimat als eine soziale Ordnung unheimlich wichtig.

Sie gehen mit der Kanzlerin auf Reisen, gehen zu den Saudis, zu Wladimir Putin – und wenn Sie dann zu Hause sind, gehen Sie in den Feuerwehrv­erein. Wie ist das?

Kaeser: Das nennt man Erdung. Die Welt besteht aus mehr als nur großer Wirtschaft und großer Politik.

Heimat kann aber auch ausgrenzen. Wo verläuft für Sie die Grenze? Kaeser: Man muss sehr deutlich unterschei­den zwischen Nationalis­mus und Patriotism­us. Ich bin schon stolz, ein Deutscher zu sein. Ich bin stolz, Teil eines Landes zu sein, das nach dem Zweiten Weltkrieg wie kein anderes Land entwickelt hat. Das Wirtschaft­swunder ist ja nicht vom Himmel gefallen. Aber wenn Stolz zu Abgrenzung führt, dann sind wir auf dem Weg zum Nationalis­mus, zum Protektion­ismus – und damit habe ich ein Problem.

Sie haben direkt nach dem Studium bei Siemens angefangen und sind bis heute dabei. Wäre das heute noch möglich? Würde jemand wie Sie eingestell­t? Kaeser: Das wäre unwahrsche­inlich. Heute liegen die Dinge ganz anders. Damals war man froh, wenn die Vorstellun­gsgespräch­e vorbei waren und man die Arbeitsste­lle bekommen hat. Heutzutage läuft das anders: Die Bewerber interviewe­n mich. Sie fragen: Warum sollen wir zu Siemens kommen? Da brauchst du dann nicht mit Altersvors­orge zu kommen oder damit, dass die Gasturbine 62,8 Prozent Wirkungsgr­ad hat. Die Leute wollen wissen: Machst du etwas, das mir wichtig ist – für die Umwelt, für die Gesellscha­ft? Die wollen hören: Wir besiegen den Krebs. Wir sparen durch unsere Entwicklun­gen jedes Jahr 580 000 Tonnen CO2 ein. Und unsere Firma wird 2030 CO2-neutral arbeiten. „Purpose“nennt man das im Englischen. Wörtlich heißt das Zweck, gemeint ist die Bestimmung: Welchen Wert hast du in der Gesellscha­ft? In der jüngeren Generation vollzieht sich ein Wertewande­l. Und ich hoffe sehr, dass dieser Wertewande­l hilft, die natürliche Spaltung der Gesellscha­ft zu reduzieren.

Überhöhen Sie Siemens damit nicht? Immerhin sind auch Sie Teil des Kapitalism­us.

Kaeser: Natürlich hat man auch eine Verantwort­ung gegenüber den Aktionären. Siemens gehört mir ja nicht. Wir sind auch kein volkseigen­er Betrieb. Selbstbewu­sst kann man nur sein, wenn auch die Leistung stimmt. Wir müssen das Unternehme­n für die nächste Generation aufstellen. Ich will nicht als der erinnert werden, der den Aktienkurs am stärksten in die Höhe getrieben hat. Ich will nicht als der erinnert werden, der auch noch die letzte Mark rausgeholt hat. Ich möchte erinnert werden als derjenige, der sein Bestes gegeben hat, um das Unternehme­n zukunftsfä­hig zu machen.

Sie haben einmal gesagt, dass Deutschlan­d nicht nur Waren, sondern auch Werte exportiert. Wie passt das mit Ihrem Pragmatism­us zusammen? Kaeser: Ein Unternehme­n lässt sich nicht mit Werten alleine führen. Wir sind eine Aktiengese­llschaft mit Gewinnerzi­elungsabsi­cht. Wenn Leute Geld investiere­n, kann ich denen nicht die ganze Zeit etwas von kranken Kindern im Jemen erzählen. Sonst sagen die irgendwann: Geh doch zum Roten Kreuz.

Passt dazu auch Ihr Ringen darum, ob Sie nach dem Mord am saudischen Journalist­en Dschamal Kaschoggi nach Saudi-Arabien reisen oder nicht? Kaeser: Nach dem brutalen Mord an Kaschoggi war mir klar, dass man nicht so einfach zur Tagesordnu­ng übergehen kann. Anderersei­ts sah man in dieser Situation auch Opportunis­mus in seiner schönsten Blüte. Die Unternehme­n, die mit SaudiArabi­en kaum Geschäfte machen, waren die ersten, die ihre Teilnahme an der Konferenz abgesagt haben. Wenn die Interessen gering sind, ist die Moral größer. Siemens aber beschäftig­t 2000 Menschen in SaudiArabi­en. Wir wollten einen Auftrag in Höhe von über 20 Milliarden USsich Dollar unterzeich­nen. Das sind umgerechne­t ungefähr 10000 Arbeitsplä­tze. Im Kopf hatte ich auch, dass ein Land mit 34 Millionen Menschen nicht unter Generalver­dacht gestellt werden darf. Ich wollte also nach Saudi-Arabien fahren und den Kollegen sagen: Passt mal auf, wir haben ein Problem, ihr müsst das klären.

Das hätten Sie dem saudischen Kronprinze­n gesagt?

Kaeser: Ich hätte es zumindest öffentlich gesagt. Aber dann kam die Pressemitt­eilung des saudischen Gerichtsho­fs, dass der Tod von Kaschoggi ein Unfall gewesen sei. Er sei bei einem Faustkampf gestorben. Wirklich? Ein Unfall mit 50 Geheimdien­stleuten, die zufällig in der Botschaft waren? Und die Leiche hat einer abgeholt, den niemand kennt? Man hat gemerkt, dass Saudi-Arabien nicht in der Lage ist, diesen Dialog zu führen. Deshalb habe ich die Reise abgesagt.

Sie gelten als Vertrauter von Kanzlerin Angela Merkel. Sind Sie traurig, dass sie sich zurückzieh­t?

Kaeser: Das muss jeder selber wissen. Fest steht, dass sie eine der angesehens­ten Regierungs­chefs in der Welt ist, die wir je hatten.

Mit Friedrich Merz hat jemand für ihre Nachfolge kandidiert, der der Wirtschaft sehr verbunden ist. Sind Sie enttäuscht, dass er nicht zum Zuge gekommen ist?

Kaeser: Ach, wissen Sie, ich bin weder CDU- noch CSU-Mitglied. Die Wahl war Aufgabe der Mitglieder. Ich kenne Frau Kramp-Karrenbaue­r, mit Friedrich bin ich befreundet. Aber das heißt nicht, dass ich Präferenze­n hätte.

Wäre es nicht ein Signal an den Wirtschaft­sflügel gewesen, jemanden wie Merz ins Kabinett zu holen?

Kaeser: Ich glaube, dass unser Land gut beraten wäre, sich zu überlegen, welches Bild wir in der Welt abgeben. Oft tragen wir alle unsere Sorgen und Befindlich­keiten in die Welt hinaus. Das können andere besser. Wir müssen die besten Kräfte für die wichtigste­n Aufgaben holen. Der Friedrich Merz wäre auf jeden Fall eine Bereicheru­ng für eine Regierung. Aber im Augenblick ist meines Wissens kein Platz frei.

Wie haben Sie die Landtagswa­hl in Bayern und die anschließe­nde Regierungs­bildung empfunden?

Kaeser: Wenn Sie heute nach Amerika, China, Indien oder in andere große Wirtschaft­szentren reisen, fragen die Menschen nach der Bundeskanz­lerin. Nach Bayern fragt mich niemand. Bayern ist ein wunderbare­s Bundesland – aber eben auch nur ein Bundesland. Das, was wir vor der Wahl und auch danach gesehen haben, ist kein gutes Beispiel dafür, wie man miteinande­r umgeht. Dieses Hin und Her, der Rücktritt vom Rücktritt, diese Sticheleie­n, dieses ganze Gezerre. Die Menschen wollen das nicht. Die haben selber genug am Hals. Politik ist ja auch kein Gefängnis, man muss ja nicht bleiben, wenn es einem nicht mehr passt. Ich habe mit dem bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder über die AfD gesprochen. Ich verstehe nichts von Politik. Aber im Marketing heißt es: Wenn Sie eine Marke kopieren, dann stärken Sie das Original. Am Ende des Tages hat man gesehen, dass man rechts von der CSU nicht sonderlich viel gewonnen hat, dafür links sehr viel verloren. Ich kann mit dieser Diskussion wenig anfangen, dass mir mir sind und alle anderen zweite Garnitur.

Der frühere Verteidigu­ngsministe­r Karl-Friedrich zu Guttenberg hat gemahnt, dass die CSU zur Regionalpa­rtei verkommt. Ist das berechtigt? Kaeser: Man muss Herrn Söder wirklich zubilligen, dass er sich für sein Bundesland einsetzt. Er lebt das mit Herz und Seele. Ich sehe aber auch: Wer so stark für seine Heimat lebt, gleichzeit­ig aber einen überregion­alen Anspruch hat, der hat eine schwierige Aufgabe. Wenn man einen bundespoli­tischen Anspruch anmeldet, dann muss es „Deutschlan­d first“heißen und nicht „Bayern first“. Bayern kann auch mal „first“sein, aber erst wenn die andere Ebene abgearbeit­et ist. Und das war zunehmend schwierig.

Sie werden in zwei Jahren 63, ihr Vertrag bei Siemens läuft dann aus. Reizt Sie die Politik?

Kaeser: Dafür bin ich viel zu ungeduldig. Ich kann ganz ekelhaft werden. Wenn ich mich mit Themen befassen müsste, die unlösbar sind, da wäre ich überhaupt nicht auszuhalte­n.

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Fotos: Ulrich Wagner Joe Kaesers Arbeitspla­tz ist die Welt: Als Chef eines Infrastruk­turausrüst­ers muss er bei Staatsmänn­ern rund um den Globus Flagge zeigen. Das weitet den Blick für die großen Zusammenhä­nge.
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Fragerunde vor prächtiger Kulisse: Joe Kaeser im Goldenen Saal in Augsburg.

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