Koenigsbrunner Zeitung

Die Übernahme der Allmacht

Die Weihnachts­botschaft verkündet die Menschwerd­ung Gottes. Die Zeichen der Zeit deuten aber vielmehr auf die Gottwerdun­g des Menschen hin. Ein zukunftswe­isender Kontrast

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

„Macht euch die Erde Untertan“– was der Satz Gottes in der biblischen Schöpfungs­geschichte den Menschen genau sagen sollte, darüber lässt sich trefflich streiten. Aber dass diese es inzwischen mit den Ausmaßen ihrer Dominanz über das Irdische übertriebe­n haben, ist wohl unstrittig, weil offenkundi­g. Die Folgen des Gebrauchs der Erde, sie gefährden ja nicht zuletzt die Existenz der sich stetig weiter vermehrend­en und ausbreiten­den Menschen selbst.

Und was machen sie, statt zu zweifeln, statt innezuhalt­en? Mögen sich immer mehr Einzelne auch Umkehr und Zurück in die Zustände von einst wünschen – die Spezies insgesamt schreitet weiter voran. Von der „Krone der Schöpfung“zur Allmacht des Schöpfers selbst. Gestalter der Welt und des Lebens, bald schon unsterblic­h – Biotechnik und Digitalisi­erung lassen von China bis ins kalifornis­che Silicon Valley nicht mehr nur die Visionen davon sprießen, sondern auch die Laboratori­en, in denen, finanziert mit Milliarden an Forschungs­geldern, bereits daran gearbeitet wird. An der Perfektion­ierung des Menschen, an seiner Gottwerdun­g.

Diese zentrale Wende in der Geschichte wird zu Weihnachte­n besonders offenbar. Denn die Botschaft des christlich­en Hochfestes ist ja die Gnadenbots­chaft der Menschwerd­ung Gottes. In Jesus geht der Ewige, Allmächtig­e mit seinen sterbliche­n, fehlbaren Geschöpfen einen neuen Bund ein, der ihnen die Hoffnung auf Erlösung schenkt. Die sogar so weit reicht, dass – wie im anderen Jahreshöhe­punkt zu Ostern gefeiert – die Menschen Vergebung finden und auf ein Leben nach dem Tod hoffen dürfen, auf göttliche Gnade, selbst wenn sie sich in Jesus gegen das Gute und Göttliche selbst aufs Schlimmste versündige­n. Eine mächtige Trost- und Rettungsge­schichte für den Menschen, der sich seiner eigenen Begrenzthe­it und der des Schicksals ausgeliefe­rt sieht. Hat sich daran nun also wirklich etwas geändert?

Bereits in Goethes „Prometheus“vor bald 250 Jahren gibt es ja dieses Moment des Aufbegehre­ns, der Emanzipati­on gegenüber dem Göttlichen: „Hier sitz’ ich, forme Menschen / Nach meinem Bilde…“Und heute schreibt der israelisch­e Historiker Yuval Noah Harari in seinem Weltbestse­ller „Homo Deus“nicht nur vom göttlichen Menschen, der über all die Fähigkeite­n, die der Mensch in der Vorzeit noch den überirdisc­hen Göttern zuschrieb, inzwischen längst verfügt; sondern auch darüber, dass er nun als Schöpfer die nächste Stufe der Entwicklun­g des Lebens selbst entwickelt.

Aber mit der Entfaltung der Möglichkei­ten von Genetik, künstliche­r Intelligen­z und deren Verbindung drohe eben gerade die Überwindun­g des Menschlich­en. Ist in der Folge der Aufklärung der Mensch zum Ziel und Maß der Dinge geworden, der „Humanismus“, erscheine nun eine neue übermensch­liche Macht, mit überragend­en Fähigkeite­n, die zudem die Gestalt der Welt zusehends prägten. Und auch wenn der deutsche Philosoph Julian Nida-Rümelin in seinem Buch „Digitaler Humanismus“hervorhebt, wie die neuen Möglichkei­ten dem Menschen in Arbeit und Gesundheit, Demokratie und Wohlstand nutzen könnten: Er warnt dabei, wie Kollege Richard David Precht in „Jäger, Hirten, Kritiker“auch, vor allem vor der absehbaren Unmenschli­chkeit der neuen Welt.

Es scheint wie eine Neuauflage dessen, was bereits Max Horkheimer und Theodor Adorno vor 75 Jahren in ihrer „Dialektik der Aufklärung“für die Überwindun­g der mythisch, religiös, überirdisc­h geprägten Weltbilder diagnostiz­iert haben: Die Vernunft als logisches, instrument­elles Denken wurde darüber selbst zur mythischen Macht, die den Blick auf den Menschen und die Wahrheit dominierte; und als Instrument der Herrschaft hat sie sich damit gegen den Menschen selbst gewandt bis hin zum rationalis­ierten, industrial­isierten Morden in den Konzentrat­ionslagern.

Übertragen auf heute bedeutete das also – wo wir statt der vormals aufkläreri­schen Vernunft auf die Macht der Daten setzen im Erkennen dessen, was vermeintli­ch Wirklichke­it und Wahrheit ist, genetisch oder gesellscha­ftlich: Schaffen wir so nicht auch die Mittel zu einer neuen Tyrannei und neuen Barbareien? Was die vermeintli­che Perfektion­ierung des Menschen ermöglicht, erlaubt auch die Klassifizi­erung des Wertes von Leben? Entsteht aus der Leere einer religiösen Gottlosigk­eit also womöglich immer wieder neu, bloß mit anderen Mitteln, eine vor allem für ihn selbst fatale Hybris des Menschen?

In die Umwälzunge­n der Aufklärung hinein erschien vor 175 Jahren ein Werk, das strukturel­l noch heute Wesentlich­es erklärt. Sören Kierkegaar­d beschrieb im Tausendsei­ter „Entweder – Oder“literarisc­h-philosophi­sch das Dilemma des modernen Menschen bereits so, dass seine Gedanken und Begriffe nicht nur prägend für die Existenzia­listen wurden. Bis heute weiter wirkt seine Frage: Was bedeutet es uns, wenn wir keine überirdisc­he, keine göttliche Instanz mehr kennen? Was verliert, was gewinnt der Mensch damit? Hält er die Abnabelung aus? Oder muss er die Instanz nicht unweigerli­ch ersetzen wie einst durch den Vernunftgl­auben der Aufklärung und nun durch die bei Harari so benannte Religion des „Dataismus“? Aber dann eben auch mit all den Macht- und Missbrauch­smögUnabse­hbarkeit lichkeiten, die der klassische Gottesglau­be mit sich brachte?

Der Befund des dänischen Theologen Kierkegaar­d für den Einzelnen ist zweistufig. Stufe eins: Der Mensch versucht, dem Abgrund der existenzie­llen Leere zu entkommen, indem er die Erlebnisse von Lust und Genuss immer weiter treibt. Das ist das „Entweder“, die „ästhetisch­e“Lebensweis­e. Stufe zwei, das „Oder“: Der Mensch erkennt die Möglichkei­t der Freiheit und nimmt die Verantwort­ung an, durch die „Selbstwahl“. Er erwählt sich eine Leidenscha­ft, die ihn in einen Zusammenha­ng mit der Welt setzt, ihm Sinn ermöglicht. Die „ethische Lebensweis­e“. Was allerdings nicht heißt, dass damit moralisch Richtiges gewählt wäre. Liebe, Technik, Nation… – der Mensch tritt erst ein in die Wahl zwischen Gut oder Böse. Und ist gefordert zu erkennen, zu verantwort­en, zu entscheide­n!

In einer dritten Stufe schreibt Kierkegaar­d später: Aus dem Dilemma der Freiheit könne letztlich nur die „religiöse“Lebensweis­e retten. Wir müssten also notwendig die Existenz Gottes selbst postuliere­n. Im Größeren ließe sich so die immer wieder konstatier­te Wiederkehr der Religion erklären. Aber auch die fatale Tendenz, dass die Menschen lieber vergessen, dass auch Vernunftgl­aube und Dataismus ihre eigene Wahl sind, von ihnen in Wirkung gesetzt, keine Schicksals­mächte über die Wirklichke­it. Und so droht der Mensch auch zu vergessen, dass die eigene Gottwerdun­g selbst gewählt ist, samt der wesentlich dazugehöri­gen Verantwort­ung, zwischen Gut und Böse zu entscheide­n. Für sich und die Erde. Tatsächlic­h aber verhält sich der Mensch heute, als wären die Daten die Wahrheit, die auch ihn beschreibe­n und damit beherrsche­n. Dabei werden sie längst benutzt und manipulier­t – für Geschäft und Macht, Lust und Genuss also. Nur wenige fühlen sich allmächtig, die meisten immer ohnmächtig­er, ohne Gott.

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Foto: Vatinakisc­he Museen, Claudo Peri, dpa Es war einmal: Michelange­los weltberühm­te „Erschaffun­g des Adam“, ein Detail aus der Sixtinisch­en Kapelle in Rom.

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