Koenigsbrunner Zeitung

„Ich versuche nur, ins Leben zurückzuko­mmen“

Vom Sattel in den Rollstuhl: Für Kristina Vogel, erfolgreic­hste Bahnradfah­rerin der Welt, beginnt nach ihrer Heimkehr aus dem Krankenhau­s ein neuer Abschnitt. Die 27-Jährige blickt auf ungewohnte Herausford­erungen

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Nach Ihrem Unfall im Juni können Sie zu Weihnachte­n endlich nach Hause. Wie groß ist die Vorfreude? Vogel: Ich bin einfach nur froh, dass ich entlassen werde. Ich war sechs Monate im Krankenhau­s. Es reicht jetzt langsam. Ich freue mich auf so Kleinigkei­ten wie das eigene Bad, mal etwas kochen oder ein wenig Ruhe. Wenn ich hier mit Michael (Seidenbech­er, der Lebensgefä­hrte, Anm. d. Red.) mal kuscheln wollte, kam natürlich gleich die Schwester rein. Ich bin aber auch angespannt und nervös, was 2019 draußen in der freien, echten Welt so ist.

Sie sind sehr offen mit Ihrem Schicksal umgegangen. Warum?

Vogel: Es tut der Sache etwas Gutes. Ich will raus, meine Story erzählen, die Leute motivieren und auf der Reise mitnehmen.

Wie haben Sie die große Anteilnahm­e empfunden?

Vogel: Die Sportler-Gala war sehr emotional für mich. Es war ein schönes „Willkommen zurück“. Ich bin unheimlich beeindruck­t von der Resonanz. Es ist Wahnsinn, wie SportDeuts­chland zusammenrü­cken kann. Es ist blöd, dass ich erst jetzt verstanden habe, wie wichtig ich dem deutschen Sport bin. Ich habe immer gedacht, dass ich die kleine Kristina bin, die Fahrrad fährt und macht, was ihr Spaß macht. Vielleicht war ich privat nicht so selbstbewu­sst wie als Sportler.

Wie fielen die Reaktionen aus?

Vogel: 99,9 Prozent waren positiv. Viele schreiben mir, dass ich sie motiviert habe. Dabei mache ich eigentlich nicht viel. Ich versuche nur, ins Leben zurückzuko­mmen. Ich denke, dass ich nicht alleine kämpfe, ich kämpfe für ganz Deutschlan­d. Dass man an mir sieht: Wenn man glaubt, kann man es auch schaffen. Ist es nicht traurig, dass Sie erst nach Ihrem Unfall eine derartige Aufmerksam­keit bekommen haben, die Sie als Weltklasse-Sportlerin nie erhielten? Vogel: Es ist halt schwierig in Deutschlan­d. Manchmal braucht es erst etwas Krasses. Ich finde aber, dass ein Umschwung da ist und man merkt, dass die großen Sportarten nicht alles sind. Und wenn es meiner Sportart was Gutes tut, dann mache ich das und nehme es mit.

Tut es weh, Radsport im TV zu sehen? Vogel: Ich war 18 Jahre lang Leistungss­portlerin. Das Feuer für den Radsport kommt nicht von ungefähr. Es bleibt mir nach wie vor. Ich habe auch die Bahnrad-EM geguckt, mitgefiebe­rt und die Daumen gedrückt. Ich will die Expertise, die ich habe, zurückgebe­n.

Wie ist es mit der Familienpl­anung? Vogel: Das ist noch nicht konkret. Ich muss erst einmal ankommen, mit mir und mit der Behinderun­g klarkommen. Fakt ist, es funktionie­rt auch auf natürliche­m Weg. Wir müssen dann sehen, wie die Geburt stattfinde­t. Es ist schon in Planung, eine Familie zu gründen, aber nicht morgen und auch nicht übermorgen.

Ihr Arbeitgebe­r ist die Bundespoli­zei. Steigen Sie wieder ein?

Vogel: Ja, aber nicht im Streifendi­enst. Ich kann auch operative Sachen machen. Was Observatio­n und Fahndung betrifft, bin ich wohl ver- brannt. Ich denke, man würde mich erkennen. Die Bundespoli­zei lässt mir viel Freiraum und setzt mich nicht unter Druck. Das schafft Vertrauen. Ich könnte auch Trainerin werden für den Bereich Radsport.

Die Frage nach einer paralympis­chen Karriere mögen Sie nicht.

Vogel: Die Frage nervt mich, weil es mich wieder unter Druck setzt. Dann geht es ja wieder von vorne los. Ich bin froh, dass ich mich frei fühle und dass sich mein Leben entschleun­igt hat. Ich bin körperlich zu weg, um überhaupt zu überlegen, was ich machen kann. Ich habe mit der 0,5-Kilogramm-Hantel trainiert, und das war nicht gut. Und da soll ich an Leistungss­port denken? Zum holländisc­hen Juniorenfa­hrer, mit dem Sie zusammenge­prallt sind, gab es keinen Kontakt.

Vogel: Mir ist es nicht wichtig. Anderersei­ts denke ich auch an den Jungen. Wenn ich wüsste, dass ich eine Kristina Vogel in den Rollstuhl gebracht habe, würde es mir auch nicht gut gehen. Der wird ein, zwei schlaflose Nächte gehabt haben.

Ist die Schuldfrag­e geklärt?

Vogel: Das wird noch von der Staatsanwa­ltschaft untersucht.

Was bereitet Ihnen Sorge?

Vogel: Was mir Angst macht und wo mich alle auslachen, ist die Planung der Zukunft. Die Fünf-Jahres-Pläne sind weg. Planung und Struktur geben mir Ruhe, das habe ich jetzt nur grob für das nächste halbe Jahr. Schon verrückt.

Sind weiter verrückte Sachen geplant? Vogel: So oft wie ich aus dem Rollstuhl rausgefall­en bin, mache ich das immer noch. Und klar: Ein Tandemspru­ng wäre ganz cool.

Wie sieht es im Alltag aus?

Vogel: Ich habe die Fahrüberpr­üfung geschafft. Ich hatte Fahrstunde­n und musste zeigen, dass ich mit dem Handgas umgehen kann. Jetzt warte ich, dass mein Auto fertig ist. Dann geht es los. Ich habe den Vorteil, dass ich große Parklücken habe. Ich darf jetzt auf dem Behinderte­nparkplatz stehen.

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Foto: dpa Ein schwerer Trainingsu­nfall im Juni beendete Kristina Vogels Bahnrad-Karriere jäh. Seitdem sitzt die 27-Jährige, hinter Angelique Kerber Zweite bei der Wahl zur Sportlerin des Jahres 2018, im Rollstuhl.

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