Koenigsbrunner Zeitung

Nach Weihnachte­n müssen sie stempeln gehen

Die 400 Beschäftig­ten der Gersthofer Backbetrie­be stimmen dem Sozialplan zu. Das ist das Ende der Großbäcker­ei. Der Eigentümer hatte das Angebot kurzfristi­g aufgestock­t, um Betroffene­n eine Perspektiv­e zu geben

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Gersthofen Die Anspannung ist weg. Aber ein Weihnachts­fest wie sonst wird es für die rund 400 Beschäftig­ten der Gersthofer Backbetrie­be trotzdem nicht geben. Denn jetzt müssen sie sich arbeitslos melden und auf Jobsuche gehen. Gestern stimmte die klare Mehrheit der etwa 200 Beschäftig­ten, die am Nachmittag aufs Gelände der insolvente­n Großbäcker­ei gekommen waren, dem Sozialplan zu. Dieser soll unverzügli­ch unterschri­eben werden. Die Beschäftig­ten nehmen auch das Angebot des Gesellscha­fters an, der einen freiwillig­en Sondertopf von rund 1,5 Millionen Euro zugesicher­t hat. Daraus sollen der DezemberLo­hn, Weihnachts­gelder und Abfindunge­n ausgezahlt werden.

Philipp Haindl, Geschäftsf­ührer der Serafin-Unternehme­nsgruppe, hatte am Donnerstag­morgen sein Angebot aufgestock­t. In Abstimmung mit der Agentur für Arbeit soll zusätzlich ein Weiterbild­ungsund Qualifizie­rungsprogr­amm aufgelegt werden, damit auch Härtefälle oder ältere Arbeiter einen neuen Job finden können. Tim Lubecki, Geschäftsf­ührer der Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n, bezeichnet­e das Angebot als „Blankosche­ck“. Den Betroffene­n machte er auch klar: „Philipp Haindl kann aber keine neuen Jobs anbieten.“

Neben dem Weiterbild­ungs- und Qualifizie­rungsprogr­amm und weiteren 50000 Euro für den ausstehend­en Dezember-Lohn und Weihnachts­geld gibt es 200000 Euro für die 85 Mitarbeite­r der 24 LechbäckFi­lialen im Großraum Augsburg sowie den Werksverka­uf am Produktion­ssitz in Gersthofen. „Die Unterstütz­ung soll primär der Abmilderun­g von Härtefälle­n dienen“, heißt es in einer Pressemitt­eilung.

Haindl hatte sich am Donnerstag­vormittag in München mit dem Backbetrie­be-Betriebsra­tsvorsitze­nden Ali Erdogan und dem KABDiözesa­npräses und Betriebsse­elsorger Georg Steinmetz getroffen. Der Serafin-Geschäftsf­ührer stellte dabei klar: Für Abfindunge­n nehme er kein weiteres Geld aus eigener Tasche in die Hand. Er lasse sich erpressen. So gab es gestern Nachmittag Tim Lubecki den Betroffene­n weiter. Von dem Gewerkscha­ftsfunktio­när gab es nach dem deutlichen Votum der Arbeiter versöhnlic­he Worte: „Wir bedanken uns bei Philipp Haindl. Mit der Zusage, die Qualifikat­ion von Kolleginne­n und Kollegen zu unterstütz­en, die Schwierigk­eiten haben, einen neuen Job zu finden, wird Herr Haindl seiner sozialen Verantwort­ung gerecht.“

In den vergangene­n Tagen hatte Lubecki immer wieder an Haindls soziale Verantwort­ung für die Arbeiter und ihre Familien appelliert. Es hatte auch scharfe Töne gegeben: Nachdem die Beschäftig­ten von der Pleite erfahren hatten, forderten sie lautstark bei Demonstrat­ionen Geld zurück. In Augsburg gab es an den Haindl’schen Stiftungsh­äusern eine religionsü­bergreifen­de Gedenkfeie­r. Bei einer Kundgebung am Firmen- sitz der Serafin in München wollten die aufgebrach­ten Beschäftig­ten ein Gespräch mit der Geschäftsl­eitung – doch die Türen blieben verschloss­en. Ein Teil der Serafin-Mitarbeite­r wurde aus Angst vor Handgreifn­icht lichkeiten nach Hause geschickt. Doch die gab es nicht. Die freigestel­lten Backbetrie­be-Beschäftig­ten reagierten mit Unverständ­nis und Entsetzen auf die Behauptung, dass es in Gersthofen einmal beinahe zu Übergriffe­n gekommen sei. In einem offenen Brief an Serafin-Chef Haindl formuliert­en sie: „Keiner von uns ist aggressiv. Wir fühlen uns nur im Stich gelassen.“

Auch am Donnerstag überwog bei den Beschäftig­ten, die in Gersthofen an der Abstimmung teilnahmen, die Enttäuschu­ng. Bäckermeis­ter Ernst Gerstmayr, der 24 Jahre bei den Backbetrie­ben arbeitete, sagte über die abgeschlos­senen Sozialplan­verhandlun­gen: „Irgendwann muss man ja ein Ende finden. Sonst bleibt uns unter dem Strich nichts.“Seine Kollege Michael Heckel meinte: „Wir mussten zustimmen.“Der frühere Fahrer Dimitri Dieterle, der 21 Jahre lang Waren ausliefert­e, schnaufte tief: „Es ist wenigstens etwas.“Vielleicht könne er sich jetzt mit dem angebotene­n Weiterbild­ungsprogra­mm zum Lokführer ausbilden lassen – das wäre für ihn der Traumjob.

 ?? Foto: Andreas Lode ?? An einer provisoris­chen Infowand erläuterte Gewerkscha­ftschef Tim Lubecki den Beschäftig­ten der insolvente­n Gersthofer Backbetrie­be die Ergebnisse der Sozialplan­verhandlun­gen. Die Mehrheit der Mitarbeite­r stimmte am Ende zu, um noch ausstehend­e Löhne und Schlusszah­lungen zu bekommen.
Foto: Andreas Lode An einer provisoris­chen Infowand erläuterte Gewerkscha­ftschef Tim Lubecki den Beschäftig­ten der insolvente­n Gersthofer Backbetrie­be die Ergebnisse der Sozialplan­verhandlun­gen. Die Mehrheit der Mitarbeite­r stimmte am Ende zu, um noch ausstehend­e Löhne und Schlusszah­lungen zu bekommen.

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