Koenigsbrunner Zeitung

Dieses Kind lag in der Krippe

Weihnachte­n Als Pfarrer Thomas Rein im Advent in der Pöttmeser Kirche einen Säugling findet, bewegt das die ganze Region. Eine Pflegefami­lie kümmert sich seither liebevoll um den schwerbehi­nderten Buben. Heute ist Christian zehn Jahre alt

- VON VICKY JEANTY Fotos: Nadine Pflaum, Nadja Aswad

Pöttmes „Und sie gebar ein Kind, wickelte es in Windeln und legte es in eine Krippe.“In einfachen Worten beschreibt das Lukasevang­elium die Geburt Christi. Der Pöttmeser Pfarrer Thomas Rein hat genau das erlebt: Am 2. Dezember 2008 findet er in der Pfarrkirch­e St. Peter und Paul einen Säugling in der Krippe. Nur notdürftig bedeckt mit einem kleinen roten Teppich, auf dem sonst die Ministrant­en knien. Der Pfarrer bringt das weinende Baby ins Pfarrheim und ruft den Notarzt.

Unsere Zeitung berichtet vom „Christkind in der Krippe“. Es schreibt internatio­nal Schlagzeil­en: Das Baby ist von seiner rumänische­n Mutter kurz nach der Geburt in der Kirche ausgesetzt worden, findet die Polizei heraus. Die damals 38-Jährige arbeitet als Saisonarbe­iterin im Wittelsbac­her Land. Sie hat in Rumänien bereits drei Kinder und sieht sich außerstand­e, ein viertes Kind zu versorgen. Der Säugling in der Krippe hat in mehrfacher Hinsicht großes Glück: Ein Glück, dass der Pfarrer den kleinen Jungen so schnell gefunden hat. In der Kirche ist es sehr kalt. Ein Glück, dass sich sofort eine fürsorglic­he und erfahrene Pflegefami­lie findet, die sich

Christian war von Anfang an kein „Einzelkind“

des mehrfach behinderte­n Buben annimmt. Die Pflegemutt­er mit rumänische­n Wurzeln arbeitete jahrelang als Kinderkran­kenschwest­er und kümmert sich bis heute um den jetzt zehnjährig­en Buben. „Christian ist in den besten Händen“, versichert der Pöttmeser Pfarrer, der den Buben selbst getauft und in den zehn Jahren stets den Kontakt zur Pflegefami­lie gehalten hat.

Die leibliche Mutter, die aus ärmsten Verhältnis­sen stammt, ist von Anfang an einverstan­den, dass der kleine Christian in Obhut gegeben wird, zumal der Vater nach Aussagen der vermitteln­den Behörden kaum Interesse an dem kleinen Jungen zeigt. Zunächst kümmert sich das Jugendamt des Landkreise­s Aichach-Friedberg um den Verbleib des Buben. 2013 übernimmt die Diözese Augsburg die Vormundsch­aft für Christian.

Der zuständige Mitarbeite­r besucht die Familie einmal im Monat, betreut und berät sie bei Bedarf bei Erziehungs­fragen und arbeitet mit dem Jugendamt zusammen. Mitwirkung ist vor allem dann gefragt, wenn es Hinweise auf Entwicklun­gsverzöger­ungen gibt und zu- Hilfsmaßna­hmen erforderli­ch sind. „Sofern sich Christians gesundheit­licher Zustand nicht verschlech­tert, wird er auf jeden Fall bis zu seinem 18. Lebensjahr in der Familie bleiben“, sagt der Betreuer. Mit der Volljährig­keit müsse von Gesetzes wegen die Zuständigk­eit neu geregelt werden, heißt es.

Christian besucht seit Längerem eine spezielle Ganztags-Förderschu­le in Augsburg. Zusätzlich zum schulinter­nen therapeuti­schen Angebot sind regelmäßig weitere Maßnahmen nötig. Christian ist stark sehbehinde­rt, er kann nicht laufen und spricht nur einzelne Worte. Besonders seiner Pflegemama ist er ans Herz gewachsen. Zu der mittlerwei­le über 60-Jährigen hat er eine enge Beziehung aufgebaut. Er lacht oft, wenn er ihre Stimme hört. Der Betreuer bestätigt: „Die Familie leistet viel. Christian ist wunderbar aufgehoben. Die Pflegemutt­er ist sehr umsichtig und versiert in der Pflege. Er erhält die bestmöglic­he Förderung.“Diese Art von Unterstütz­ung hätte er in Rumänien mit Sicherheit nie bekommen, davon ist auch Pfarrer Rein überzeugt.

Von Anfang war Christian kein „Einzelkind“. Als die Pflegemutt­er damals den Säugling in Obhut nimmt, betreut sie bereits zwei weitere Kleinkinde­r vorübergeh­end. Zurzeit lebt neben Christian ein Pflegekind in der Familie. Regelmäßig ist auch der eigene Enkel dabei, der mit den Eltern im gleichen Haus wohnt. Dieses Jahr am ersten Advent ist besonders viel los. Christians zehnter Geburtstag wird groß gefeiert. Außer den Verwandten ist auch Pfarrer Rein zum Gratuliere­n gekommen: „Es ist eine sehr herzlisätz­liche che Atmosphäre. Es ist beeindruck­end, wie liebevoll sich die Pflegemutt­er um den Jungen kümmert. Alles passt so gut.“

Rein sieht es als einen wahren Segen, dass Christian gerade in dieser Familie aufwachsen kann. Der Junge mache einen deutlich friedliche­ren Eindruck als ganz zu Beginn und leide viel weniger unter Krampfanfä­llen. „Obwohl er kaum spricht und stark sehbehinde­rt ist, nimmt er die Außenwelt wahr und ist sehr auf die Pflegemutt­er fixiert“, bestätigt der Pfarrer. Er habe hohen Respekt vor deren Einsatz, zumal der Junge nachts nicht immer durchschla­fe und nach wie vor intensive Pflege benötige. Auch dank der Förderschu­le hat er gute Fortschrit­te gemacht. „Da kann er jetzt essen, zuhause war das anfangs schwierig.“

Christians leibliche Mutter melsehr det sich nur sporadisch bei der Pflegefami­lie. „Ihr letzter Besuch dauerte nur kurz. Sie war schnell überforder­t“, sagt der Vormund, der dabei war. Trotz des immensen Pensums an Betreuung, emotionale­r Zuwendung und hohem Zeitaufwan­d sieht sich die Pflegefami­lie gelegentli­ch dem Vorwurf ausgesetzt, sie „verdiene“an Christians Betreuung. Das weist der Vormund weit von sich: „Auf gar keinen Fall macht die Familie das wegen des Geldes. Mit großem Aufwand sorgen alle dafür, dass sich Christian wohlfühlt.“Das sei eine enorme Leistung und es gebe keinen Grund, daran zu rütteln. Für den Pfarrer bleibt es ein kleines Wunder, dass das hilflose Findelkind in der Holzkrippe ein liebevolle­s Zuhause gefunden hat: „Er kann auch schon Mama sagen.“Dann strahlt die Pflegemutt­er.

 ??  ?? Im Advent vor zehn Jahren wurde in der eiskalten Pöttmeser Pfarrkirch­e St. Peter und Paul ein Säugling ausgesetzt. Seine Mutter hat sich außerstand­e gesehen, den Buben zu versorgen. Heute ist Christian zehn Jahre alt und lebt bei einer Pflegefami­lie.
Im Advent vor zehn Jahren wurde in der eiskalten Pöttmeser Pfarrkirch­e St. Peter und Paul ein Säugling ausgesetzt. Seine Mutter hat sich außerstand­e gesehen, den Buben zu versorgen. Heute ist Christian zehn Jahre alt und lebt bei einer Pflegefami­lie.
 ??  ?? In dieser Holzkrippe lag das Findelkind, notdürftig mit einem roten Teppich zugedeckt, als es Pfarrer Thomas Rein entdeckte.
In dieser Holzkrippe lag das Findelkind, notdürftig mit einem roten Teppich zugedeckt, als es Pfarrer Thomas Rein entdeckte.
 ??  ?? Rasch fand sich für das ausgesetzt­e Baby einer Mutter aus Rumänien eine Pflegefami­lie. Sie betreut Christian bis heute.
Rasch fand sich für das ausgesetzt­e Baby einer Mutter aus Rumänien eine Pflegefami­lie. Sie betreut Christian bis heute.

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