Koenigsbrunner Zeitung

Wie Brecht mit der Revolution umging

Geschichte In Augsburg erlebte der junge Schriftste­ller 1918/19, wie die Monarchie ihr Ende fand und Arbeiter und Soldaten die Macht an sich rissen. Er selbst blieb auf Distanz, das schlug sich auch in seinen Werken nieder

- VON JÜRGEN HILLESHEIM

Brecht war unbequem, hin und wieder auch in der DDR. Dennoch herrschte meist Einigkeit darüber, dass er, nach einer „anarchisch­en“Jugend, zum überzeugte­n Kommuniste­n und einem exponierte­n Repräsenta­nten einer sozialisti­schen Gesellscha­ftsform wurde. Für sie zu kämpfen, die Welt zu verändern, schuf er, in Theorie und Praxis, sein Episches Theater. Die Wirklichke­it sieht anders aus. Das zeigt die frühe Zeit, die oft nur als Phase angesehen wird, in der Brecht mehr den „Bürgerschr­eck“markierte, als bedeutsame Werke zu schreiben. Dabei entwickelt­e er aus seiner Wahrnehmun­g des Ersten Weltkriegs heraus und des Elends, das dieser brachte, ein Verständni­s der Revolution als Fortsetzun­g des Krieges und des Leides unter anderer ideologisc­her, nun roter Flagge. Nachweisba­r ist dies erstmals in Zusammenha­ng mit der Räterevolu­tion, deren Auswirkung­en Brecht in Augsburg vor nun fast genau 100 Jahren unmittelba­r mitbekam. Immun gegenüber der Revolution blieb er, trotz aller Lippenbeke­nntnisse, bis zu seiner Zeit in der DDR. Das zeigen Konstanten seines Werkes.

Als der Krieg begann, war Brecht sechzehn Jahre alt. Schon längst wollte er ein großer Dichter werden. Nun, ab 8. August 1914, hatte er als Autor Zugang zu gleich zwei Augsburger Tageszeitu­ngen. Kleinere Auftragsar­beiten verfasste er, hauptsächl­ich Lyrik. Wohl bediente sich Brecht des patriotisc­hen Pathos, weil er unbedingt erstmals eigene Texte veröffentl­icht sehen wollte. Dem Krieg allerdings stand er indifferen­t gegenüber. Er literarisi­erte ihn auf einer zweiten Ebene, um so Distanz zu ihm zu finden, ihn zur Bühne für seine Kunst zu machen. Seit 1916 stand er dem Krieg auch offen zunehmend kritisch gegenüber, verursacht durch das über Jahre andauernde Leid, das Brecht auch in Augsburg nicht verborgen blieb und das er in besonderem Maße während seiner Zeit als Militärkra­nkenwärter wahrnehmen musste.

1918 entstand die berühmte Legende vom toten Soldaten, in der Brecht mit dem wilhelmini­schen Kriegswahn abrechnete. Gegen Ende des Krieges, so das Bild, würde man sogar die gefallenen Soldaten ausgraben, um sie wieder an die Front zu schicken. Jener grotesk gestaltete „tote Soldat“ist inspiriert durch ein Brecht direkt betreffend­es Einzelschi­cksal, das Caspar Nehers, seines Augsburger Freundes und späteren berühmten Bühnenbild­ners. Dieser war knapp vier Jahre im Krieg, wurde verwundet, verschütte­t, und ebenfalls wieder „aus- um erneut zu marschiere­n. Es ist der Missbrauch des Individuum­s, der Brecht zu diesem Gedicht bewegte. Diese poetische Warnung an Neher, sich sobald wie möglich der lebensbedr­ohlichen Situation zu entziehen, wuchs sich aus zur virtuosen Generalabr­echnung mit dem Wilhelmini­smus, die Bestandtei­l vieler Kabarettpr­ogramme der Weimarer Republik wurde und gleicherma­ßen auf die Revolution anwendbar war.

Brecht selbst hatte sich vor einem Einsatz an der Front erfolgreic­h gedrückt. Er erlebte das Ende des Krieges in Augsburg als Militärkra­nkenwärter. Das war er auch noch für kurze Zeit, als in Berlin und München im November 1918 Republiken ausgerufen wurden. Während dieses Übergangs zwischen Krieg, Räterevolu­tion und Etablierun­g der Weimarer Republik wurde er zu seiner Revolution­sko- mödie „Trommeln in der Nacht“inspiriert. Die erste Fassung war in wenigen Wochen fertiggest­ellt.

Wie Caspar Neher war auch Andreas Kragler, der Protagonis­t, vier Jahre im Krieg. Nach seiner Heimkehr muss er feststelle­n, dass seine ehemalige Verlobte, die Tochter eines wohlhabend­en Geschäftsm­anns, von einem anderen schwanger ist. Daher ist für den so entehrten Kragler kein Platz mehr in dieser Kriegsgewi­nnlergesel­lschaft. Was wäre da konsequent­er, als sich den Räterevolu­tionären anzuschlie­ßen, die ihn anwerben wollen, und dabei zu helfen, diese Gesellscha­ft hinwegzufe­gen? Doch Kragler denkt im Traum nicht daran. Anstatt wieder an eine Front zu marschiere­n, geht er am Schluss in das „große, weiße Bett“seiner Verlobten. Er nimmt sie zurück, mitsamt ihres ungeborene­n Kindes, und wird ein angesehene­r Bürger. Der Zuschauer, der expresgegr­aben“, sionistisc­hes Aufbruchsp­athos erwartet, ist düpiert und mit ihm die Revolution­äre.

Brecht betrachtet­e die revolution­ären Unruhen tatsächlic­h als schlichte Fortsetzun­g des Krieges. Wie er sich diesen Krieg vorstellt, zeigt der in gleicher Zeit entstanden­e Gesang des Soldaten der Roten Armee. Jener Soldat ist Täter und Opfer zugleich. Explizit wird die rote Fahne als „unmenschli­ch“bezeichnet. Die, die ihr folgen, haben „Tigergebis­se“, sie bringen Leid, doch „niemals Freiheit“. Brandschat­zend, mordend und dabei sein Selbst verlierend, zieht der Soldat der „roten Armee“durch eine Vielzahl von Höllen, die an Dante Alighieris Divina Commedia erinnern. Er kommt an, „mit blutbeflec­kten, leeren Händen“und einem „Herz, versehrt von Eis“im „Paradeis“der kommunisti­schen Ideologie, das die schlimmste aller Höllen ist.

Brecht selbst verhielt sich in Augsburg um Ostern 1919, als es zu räterevolu­tionären Ausschreit­ungen kam, ähnlich wie im Ersten Weltkrieg, zu Zeiten des „Augusterle­bnisses“: Wieder war etwas los in Augsburg, Teile der Bevölkerun­g auf den Beinen, wieder beobachtet­e Brecht distanzier­t, diskutiert­e mit den Räterevolu­tionären, machte sich wichtig, verschafft­e sich über sie Publikatio­nsmöglichk­eiten, ließ sich aber nicht vereinnahm­en. Für die USPD-Zeitung Volkswille konnte er nach den revolution­ären Unruhen von Oktober 1919 bis Januar 1921 über zwanzig Theaterkri­tiken und Essays schreiben. Provokant, antibürger­lich waren seine Beiträge. Alles andere jedoch als revolution­är sind sie. Nicht eine einzige direkte politische Parole ist in ihnen zu finden.

Bald begann Brecht, sich in der Gesellscha­ft der Weimarer Republik zu etablieren, mit viel Geschick und moralische­r Flexibilit­ät; in gerade der Gesellscha­ft, die er wie kein anderer mit den Mitteln seines Epischen Theaters analysiert­e und als veränderba­r erweisen wollte. Mit der Dreigrosch­enoper hatte er es geschafft. Ihre Uraufführu­ng am 31. August 1928 war gleichbede­utend mit Brechts internatio­nalem Durchbruch.

Im Exil sang Brecht etliche „Loblieder des Kommunismu­s“, hinter deren Botschafte­n stand er nicht. In

Seit 1916 kritisch gegenüber dem Krieg

Brecht lavierte wie immer mit dem Ende des Stücks

der DDR machte er, der vielfach als Ketzer angesehen wurde, oft keinen Hehl aus seinen Vorbehalte­n. In den Buckower Elegien lässt Brecht Stalin die „Musen prügeln“, und Kunst und Künstler erscheinen bildlich als schön anzuschaue­nde Silberpapp­el, die im Garten der DDR zerdrückt wird. Brecht blieb in diesem Garten, in dem ihm immerhin ein eigenes Theater zur Verfügung gestellt wurde.

Wie aber ging es mit „Trommeln in der Nacht“und Andreas Kragler, dem Helden der „Zeitenwend­e“1918/19, zwischen Krieg und Revolution, weiter? Brecht lavierte wie immer, distanzier­te sich von seinem Protagonis­ten, arbeitete das Drama mehrmals um. Das antirevolu­tionäre Ende ließ er unberührt, bis zu seinem Tod, Kragler und sich selbst insofern wieder die Treue haltend. Die Ausstellun­g „ ,…vollends ganz zum Bolschewis­ten geworden…‘? Die Räterepubl­ik 1919 in der Wahrnehmun­g Bertolt Brechts“, die von 1. März bis 26. April 2019 in der Staats- und Stadtbibli­othek zu sehen sein wird, dokumentie­rt Brechts ambivalent­es Verhältnis zur Räterepubl­ik und zur Revolution im Allgemeine­n.

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Der Autor Jürgen Hillesheim ist der Leiter der Brechtfors­chungsstät­te Augsburg

 ?? Foto: Staats- und Stadtbibli­othek Augsburg ?? Der junge Bertolt Brecht in Augsburg. Hier erlebte der Schriftste­ller, wie die Arbeiter und Soldaten nach dem Ersten Weltkrieg die Macht an sich rissen.
Foto: Staats- und Stadtbibli­othek Augsburg Der junge Bertolt Brecht in Augsburg. Hier erlebte der Schriftste­ller, wie die Arbeiter und Soldaten nach dem Ersten Weltkrieg die Macht an sich rissen.

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