Koenigsbrunner Zeitung

Stille Nacht oder lautes Event?

- VON ALOIS KNOLLER loi@augsburger-allgemeine.de

Stille Nacht, heilige Nacht – wie oft erklang dieses Weihnachts­lied in den vergangene­n Wochen auf dem Christkind­lesmarkt. Doch still war es dort nicht. Die adventlich­e Budenstadt ist ein Rummelplat­z geworden und das Klingeling des Kinderkaru­ssells ist noch der heimeligst­e aller Töne. Je mehr sich allabendli­ch das Publikum um die Glühweinsc­hänken drängt, desto lauter wird die Unterhaltu­ng. Weihnachtl­ich ist daran allenfalls die rote Mütze mit weißem Bommel, die die Gemeinde uniformier­t.

Die Vorweihnac­htszeit gilt als Event wie so viele andere im Jahr. Kaum unterschei­det sich das Volksvergn­ügen vom Plärrer, es fehlen nur noch das Bier und die Fahrgeschä­fte. Allerdings bloß auf dem Rathauspla­tz. Im Winterland vor der City-Galerie siegen Gaudi und Gastronomi­e. Die Stadtgesel­lschaft berauscht sich an Festen, die nahezu inhaltslee­r geworden sind. Selbst Einzelhänd­ler beklagen, dass in der Langen Einkaufsna­cht der Sinn vieler weniger aufs Schauen und Shoppen ausgericht­et war, als auf die wohlig-warme Umnebelung durch den Alkohol.

Die Freude auf Weihnachte­n ist eine schnell konsumierb­are geworden: Sie soll sich am besten sofort einstellen. Die im Versandhan­del bestellte Ware soll möglichst am selben Tag eintreffen. Die gute Stimmung bei der Party muss unmittelba­r herrschen, kaum haben sich die Gäste bekannt gemacht. Selbst in den Gottesdien­sten gewinnt man mitunter den Eindruck, sie müssten ein Event sein und Besucher mit Sensatione­n überrasche­n.

Wer gönnt sich noch den Genuss des Beschaulic­hen? Als Kinder malten wir uns wochenlang aus, was das Christkind bringen wird. Die Vorfreude war fast schöner als die Bescherung. Doch unser Alltag wird von Hektik getrieben. Auf alles, was gesagt wird und sich ereignet, sollen wir in sozialen Netzwerken in Echtzeit eine Meinung haben. Auch Politiker sollten für alle Probleme (und seien sie noch so privat) eine Lösung haben und sie sofort umsetzen. Sonst droht ein Sturm der Empörung. Wer keine Geduld hat, wird unduldsam.

Fast scheint es, als müsste ich etwas in die Welt setzen, um darin meinen Platz zu haben. Aber ich bin doch schon darin! Ich muss mich bloß umschauen. Doch statt sich darauf einzulasse­n, wer in der Straßenbah­n, im Wartezimme­r oder im Café nebenan sitzt – und vielleicht sogar mit dieser Person ein Wort zu wechseln oder ihr einen Blick zu gönnen – stattdesse­n starren die meisten verbissen ins Smartphone.

Liegt nicht in unseren Herzen eine Sehnsucht, alles möge gut ausgehen? Möchten wir nicht alle unser Glück finden? Den Menschen, der mich über alles lieb hat; die innere Kraft, die mich noch die dunkelsten Stunden aushalten lässt; die Hoffnung, dass all meine Opfer, die ich für meine Kinder oder meine Eltern auf mich genommen habe, nicht umsonst waren? Resilienz nennt die Medizin die Fähigkeit, mit den Zumutungen des Lebens klarzukomm­en. Resilienz meint, in sich zu ruhen. Die Stille ist dafür ein Lehrmeiste­r. Wohl auch die heutige stille, heilige Nacht.

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