Stille Nacht oder lautes Event?
Stille Nacht, heilige Nacht – wie oft erklang dieses Weihnachtslied in den vergangenen Wochen auf dem Christkindlesmarkt. Doch still war es dort nicht. Die adventliche Budenstadt ist ein Rummelplatz geworden und das Klingeling des Kinderkarussells ist noch der heimeligste aller Töne. Je mehr sich allabendlich das Publikum um die Glühweinschänken drängt, desto lauter wird die Unterhaltung. Weihnachtlich ist daran allenfalls die rote Mütze mit weißem Bommel, die die Gemeinde uniformiert.
Die Vorweihnachtszeit gilt als Event wie so viele andere im Jahr. Kaum unterscheidet sich das Volksvergnügen vom Plärrer, es fehlen nur noch das Bier und die Fahrgeschäfte. Allerdings bloß auf dem Rathausplatz. Im Winterland vor der City-Galerie siegen Gaudi und Gastronomie. Die Stadtgesellschaft berauscht sich an Festen, die nahezu inhaltsleer geworden sind. Selbst Einzelhändler beklagen, dass in der Langen Einkaufsnacht der Sinn vieler weniger aufs Schauen und Shoppen ausgerichtet war, als auf die wohlig-warme Umnebelung durch den Alkohol.
Die Freude auf Weihnachten ist eine schnell konsumierbare geworden: Sie soll sich am besten sofort einstellen. Die im Versandhandel bestellte Ware soll möglichst am selben Tag eintreffen. Die gute Stimmung bei der Party muss unmittelbar herrschen, kaum haben sich die Gäste bekannt gemacht. Selbst in den Gottesdiensten gewinnt man mitunter den Eindruck, sie müssten ein Event sein und Besucher mit Sensationen überraschen.
Wer gönnt sich noch den Genuss des Beschaulichen? Als Kinder malten wir uns wochenlang aus, was das Christkind bringen wird. Die Vorfreude war fast schöner als die Bescherung. Doch unser Alltag wird von Hektik getrieben. Auf alles, was gesagt wird und sich ereignet, sollen wir in sozialen Netzwerken in Echtzeit eine Meinung haben. Auch Politiker sollten für alle Probleme (und seien sie noch so privat) eine Lösung haben und sie sofort umsetzen. Sonst droht ein Sturm der Empörung. Wer keine Geduld hat, wird unduldsam.
Fast scheint es, als müsste ich etwas in die Welt setzen, um darin meinen Platz zu haben. Aber ich bin doch schon darin! Ich muss mich bloß umschauen. Doch statt sich darauf einzulassen, wer in der Straßenbahn, im Wartezimmer oder im Café nebenan sitzt – und vielleicht sogar mit dieser Person ein Wort zu wechseln oder ihr einen Blick zu gönnen – stattdessen starren die meisten verbissen ins Smartphone.
Liegt nicht in unseren Herzen eine Sehnsucht, alles möge gut ausgehen? Möchten wir nicht alle unser Glück finden? Den Menschen, der mich über alles lieb hat; die innere Kraft, die mich noch die dunkelsten Stunden aushalten lässt; die Hoffnung, dass all meine Opfer, die ich für meine Kinder oder meine Eltern auf mich genommen habe, nicht umsonst waren? Resilienz nennt die Medizin die Fähigkeit, mit den Zumutungen des Lebens klarzukommen. Resilienz meint, in sich zu ruhen. Die Stille ist dafür ein Lehrmeister. Wohl auch die heutige stille, heilige Nacht.