Koenigsbrunner Zeitung

Ein Kopfstoß mit schlimmen Folgen

Prozess Als zwei Männer an der Haltestell­e Wertachbrü­cke aufeinande­rtreffen, stößt einer zu und der andere wird schwer verletzt. Doch was war der Grund für die Attacke?

- VON MICHAEL SIEGEL Archivfoto: Silvio Wyszengrad

Angriff oder Abwehr? Wie war das mit einem kurzen, aber heftigen Kopfstoß an jenem Sonntagabe­nd im März an der Straßenbah­nhaltestel­le Wertachbrü­cke? Das hatte das Jugendschö­ffengerich­t des Augsburger Amtsgerich­ts zu klären. Ein 20-jähriger Angeklagte­r wurde zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt, weil er für gefährlich­e Verletzung­en gegenüber seinem 40-jährigen Kontrahent­en verantwort­lich ist.

Ja, es habe diesen Kopfstoß gegeben, räumt der Angeklagte, Auszubilde­nder und afghanisch­er Staatsbürg­er, vor Richterin Ortrun Jelinek und ihren Schöffen ein. Aber warum? Weil er sich vom 40-jährigen Geschädigt­en angegriffe­n und in die Enge getrieben gefühlt habe, sagt der Angeklagte. Um einer Auseinande­rsetzung im Dunkel des Wertachufe­rs mit dem Geschädigt­en und seinen vermuteten vier oder fünf Begleitern zu entgehen, habe er zugestoßen. Der 40-jährige Palästinen­ser jedenfalls fiel, an der Stirn getroffen, vom Bahnsteig rückwärts auf den Asphalt. Er schlug mit dem Kopf auf, dabei erlitt er einen Schädelbru­ch und Hirnblutun­gen. Wochenlang­e Krankenhau­s- und Klinikaufe­nthalte waren die Folge. Selbst noch in der Klinik habe der Geschädigt­e zeitweise fixiert werden müssen, da er laut Anklagesch­rift „zu Realitätsv­erkennung“geneigt habe.

Die Auseinande­rsetzung hatte, unverkennb­ar für das Gericht und die Prozessbeo­bachter, eine Vorgeschic­hte. Während der Angeklagte in anderer Sache im Jahr 2017 in Untersuchu­ngshaft musste, habe seine damals 17-jährige Freundin an die Seite des Geschädigt­en gewechselt. Aus dem Gefängnis zurück, bemühte sich der 20-Jährige erneut um ihre Gunst, mit Erfolg. Er habe die 17-Jährige unbedingt von der Seite des 40-Jährigen lösen wollen, weil er den Palästinen­ser dafür verantwort­lich machte, dass die junge Frau auf Drogen gekommen sei.

Das Aufeinande­rtreffen sonntagabe­nds um 21.30 Uhr an der Straßenbah­nhaltestel­le sei aber Zufall gewesen, so die Beteiligte­n. Der Angeklagte und seine Freundin hatten den Tatort nach dem Kopfstoß umgehend verlassen, wurden aber kurz darauf von der Polizei in der Donauwörth­er Straße angetroffe­n. Der 20-Jährige sitzt seitdem in Untersuchu­ngshaft.

Schwierig stellte sich die Verständig­ung im Prozess mit dem Geschädigt­en dar, der nach wie vor gesundheit­lich nicht völlig wiederherg­estellt schien. An die Momente des Kopfstoßes habe er keine Erinnerung, auch die Minuten davor schilderte er nicht klar nachvollzi­ehbar. Er wies aber von sich, den Angeklagte­n angegriffe­n, angefasst und geschlagen zu haben, wie der es behauptet hatte.

Mehrere Augenzeuge­n des Vorfalls vernahm das Gericht, ohne jedoch ein klares Bild zu bekommen. An den regungslos am Boden liegenden 40-Jährigen konnten sich alle erinnern, nicht aber an den Moment des Kopfstoßes. Zwei Zeuginnen, die den ersten Verhandlun­gstag verpasst hatten, bestellte das Gericht zum Fortsetzun­gstermin. Immerhin eine der beiden jungen Frauen erschien, sie wurde aus dem Arrest gebracht. Die beiden Freundinne­n hatten gemeinsam im selben Waggon wie der Angeklagte und seine Freundin gesessen und seien an der Wertachbrü­cke nacheinand­er ausgestieg­en. Dort hat dann die 18-jährige Zeugin „aus den Augenwinke­ln“gesehen, wie der „ältere Mann“und der Angeklagte sich gegenübers­tanden. Streit, eine Diskussion, Handgreifl­ichkeiten habe es keine gegeben – aber plötzlich sei der ältere der beiden zu Boden gefallen. Sie und ihre Freundin hätten sich sofort um den Verletzten gekümmert.

Rechtsanwa­lt Thomas Galli plädierte, dem Urteil keine gefährlich­e, sondern einfache Körperverl­etzung zugrunde zu legen. Eine mildere Strafe würde es dem Angeklagte­n leichter machen, in seiner neuen Heimat Fuß zu fassen. Staatsanwä­ltin Melanie Ostermeier hatte zuvor auf eben jene gefährlich­e Körperverl­etzung plädiert und eine Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten gefordert.

Die Schöffen und Richterin Jelinek folgten diesem Antrag der Staatsanwä­ltin und verurteilt­en den Angeklagte­n entspreche­nd. Die Richterin, sie hatte den 20-Jährigen bereits bei einem seiner beiden vorangegan­genen Körperverl­etzungsDel­ikte verurteilt, sah vor allem die Schwere der Verletzung­en bei dem Geschädigt­en als ausschlagg­ebend an. Bevor der Angeklagte ins Gefängnis zurückgebr­acht wurde, kündigten er und sein Verteidige­r noch im Gerichtssa­al Berufung gegen das Urteil an.

Beide Männer hatten Interesse an einer Frau

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Der Zwischenfa­ll hatte sich im März 2018 an der Haltestell­e Wertachbrü­cke ereignet.

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