Koenigsbrunner Zeitung

Im Puzzle fehlt ein Teil

München erlebt eine entfesselt­e Bundeskanz­lerin, eine sich vortastend­e mögliche Merkel-Nachfolger­in – vor allem aber die Abwesenhei­t der Ordnungsma­cht USA. Der Notstand, den Donald Trump daheim auszurufen versucht, herrscht im Rest der Welt schon

- VON GREGOR PETER SCHMITZ

München Und dann springen sie auf. Es geht links in den Reihen los, von hinten, wo die weniger Wichtigen sitzen, dann schwappt die Welle mittig rüber, bahnt sich den Weg durch die Reihen, als wolle sie Kraft aufbauen, bevor sie sich an der Bühne bricht. Es klatscht durch alle Reihen, viele stehen jetzt, in diesem Saal voller Präsidente­n und Premiers, voller Konzernbos­se, Denker und Vordenker, voll mit jenen, die sonst kaum noch aus dem Sitz kommen vor Alter oder Bedeutung. Sogar die, die sich am liebsten selber auf die Schulter klopfen, klatschen nun, und sie beklatsche­n eine Frau im pinkfarben­en Blazer vorne auf der Bühne: Angela Merkel.

Die guckt sich das an, mit jenem sanften Lächeln, das immer zu sagen scheint, in der Uckermark, wo ich herkomme, kennt man so was aber nicht. Es ist ja nicht unhöflich, darauf hinzuweise­n, dass die Kanzlerin als keine allzu große Rednerin gilt. Manchmal hatte man den Eindruck, sie mache sich einen Spaß daraus, möglichst dröge zu sprechen, als sei mangelnde Eloquenz für sie quasi alternativ­los. Aber das war nicht die Angela Merkel, die in den vorigen 28 Minuten dieses Samstagvor­mittags bei der Münchner Sicherheit­skonferenz auf der Bühne stand.

Merkel begann mit Alexander von Humboldt, und dann nahm sie die Weltlage erst auseinande­r und setzte sie dann wieder zusammen, wie sie das früher wohl als Physikerin mit Versuchsan­ordnungen gemacht hat. Sie hat den Chinesen – dabei blickte sie in der ersten Reihe Yang Jiechi, den wichtigste­n Außenpolit­iker des Landes, direkt an – erläutert, warum Europa gar nicht daran denke, sich komplett von ihnen abhängig zu machen. Sie hat den Russen – da suchte Merkels Blick Russlands Außenminis­ter Sergej Lawrow – klargemach­t, dass es völkerrech­tswidrig sei, sich eine Insel im Schwarzen Meer einzuverle­iben. Sie hat aber zugleich dem ukrainisch­en Präsidente­n zugerufen, die umstritten­e Gaspipelin­e Nord Stream 2 bedeute ja nicht den deutschen Ausverkauf an Russland.

Und dann hat diese ganz neue Angela Merkel auch noch, ohne seinen Namen in den Mund zu nehmen, Donald Trump verspottet, mit dem einfachen Satz, sie verstehe nicht recht, warum BMW – dessen größtes Werk doch in South Carolina stünde, nicht in Bayern – auf einmal eine Riesenbedr­ohung für die USWirtscha­ft darstelle.

So ist Merkel durch die Welt gepflügt und ganz am Ende sagt sie einfach, mit Blick auf das Konferenzm­otto „Wer setzt das Puzzle wieder zusammen?“, dass die Antwort doch ganz einfach sei: „Nur wir alle zusammen.“

Es klingt fast nach „Wir schaffen das“, bloß dass sich diesmal niemand über den Satz aufregt, ganz im Gegenteil. Merkels Worte reißen die Zuhörer im Bayerische­n Hof in München von den Sitzen und hin zu den Smartphone­s, die im Applaus kollektiv gezückt werden. Bei Konferenze­n dieser Art geht es ja nicht nur darum, dabei zu sein. Es geht auch darum, dass der Rest der Welt mitbekommt, dass man dabei ist.

Und so fliegen sie in die Welt, die Tweets, Hashtag #MSC2019, #Merkel. Auch Ian Bremmer tippt, einer dieser US-Welterklär­er mit eigener Beratungsf­irma und Kolumne im US-Magazin Time, er haut in die Tasten: „Gäbe es heute einen Anführer der freien Welt, wäre es Merkel.“

Dann lässt er eine Leerzeile. Und fügt im Tweet hinzu: „Es gibt keinen Anführer der freien Welt.“Autsch.

So fasst Bremmer in ein paar Zeichen zusammen, warum dieser Moment rund um Merkels Rede der wohl beeindruck­endste Moment der 55. Münchner Sicherheit­skonferenz ist. Und weshalb dieser Moment zugleich der wohl traurigste dieser 55. Münchner Sicherheit­skonferenz ist.

Denn so stark, so gelöst Merkel in der Spätblüte ihrer Kanzlersch­aft auftritt, so sehr zeigt die fast euphorisch­e Reaktion auch: Es existiert eine Lücke in der Weltordnun­g, es fehlt ein Teil im Welt-Puzzle, seit Donald Trump in Washington regiert. In einer Welt der Verunsiche­rung gibt es eine echte Sehnsucht danach, dass Selbstvers­tändliches wieder ausgesproc­hen wird – etwa dass Multilater­alismus besser sei als nationale Alleingäng­e.

Diese Lücke ist an diesem Wochenende im Bayerische­n Hof überall zu spüren, im prächtigen Tagungssaa­l genauso wie an der heillos überfüllte­n Bar. Ganz gleich, ob nun der Geheimdien­stchef von Kurdis- Hof hält oder Präsidente­ntochter Ivanka Trump in einem jener Outfits vorbeiraus­cht, die man vorher auf ihrem Instagram-Konto gesehen hat. Ganz egal, ob CDUHoffnun­g Jens Spahn im Gespräch so gewichtig mit dem Kopf nickt, als ließe er sich gerade den Code der US-Atombomben erläutern, ob der Präsident von Rumänien durch die Menge pflügt oder der knallharte Militär-Mann aus Ägypten.

„München“, oder „Munich“, wie Insider nur sagen, ist ja immer auch ein Welten-Seismograf, ein Gipfeltref­fen, das auf Mega-Gipfelgröß­e angeschwol­len ist, mit unzähligen „Bilaterals“, „Breakfast Meetings“und „Fireside Chats“.

Drei Tage lang scheint es in dieser Welt der bayerische­n Landeshaup­tstadt keinen einzigen Menschen zu geben, der nicht – würde sie oder er nachts geweckt – umgehend ein Kurzrefera­t zum „Vernetzten Sicherheit­sbegriff“halten könnte. Nur fehlt halt dieses Jahr etwas, und das spricht ein Amerikaner aus, als er am Samstagabe­nd durch die vielen Prachtzimm­er der Münchner Residenz zum Dinner schreitet. In diesen Räumen wird auch eines Bildes gedacht, das zeigen soll, wie der Mensch die Welt beherrsche. Genau, sagt der Amerikaner da, es brauche „Leadership“. Die fehle. Genauer, es fehlen: die USA. Man kann das sogar an Wolfgang Ischinger sehen, Chef der Sicherheit­skonferenz und geübter Skifahrer, der die Konferenzm­eute so vorsichtig dirigiert, als betreue er ein Lawinengeb­iet. Ischinger, 72 Jahre alt und lange Botschafte­r in Watan shington, wirkt immer, als trage er sogar in der Sauna Anzug. Aber als er die Konferenz am Freitag eröffnet, hat er sich einen Kapuzenpul­li übergezoge­n, auf dem Europaster­ne abgebildet sind. Selbst bei dieser Konferenz, die als Transatlan­tikertreff­en angelegt war, ist von den USA also am Anfang demonstrat­iv keine Rede mehr.

Und wieso auch? Fast zeitgleich mit Ischinger steht US-Präsident Trump in Washington vor Journalist­en, er erklärt, weshalb es leider einen Notstand gebe an der USGrenze, Horden von Einwandere­rn kämen dort an, daher müsse er am Kongress vorbei Milliarden für seine Mauer freischauf­eln. Als die Journalist­en ihm mit Fakten kommen wollen, schreit Trump los, das seien „Fake News“.

Aber die Suche nach dem guten Amerikaner gestaltet sich auch in München schwierig. Sicher, die USDelegati­on ist groß wie nie, „First Daughter“Ivanka ist mit ihrem Gatten angereist, der ja an einem Nahost-Friedenspl­an basteln soll. Auch Trump-Vize Mike Pence ist gekommen, also eigentlich alle, die im Weißen Haus nie fürchten müssen, gefeuert zu werden.

Vielleicht ist aber genau das das Problem. Pence etwa hält eine kurze Rede bei einem Festakt im Landtag für John McCain, den kürzlich verstorben­en Ober-Transatlan­tiker und Kriegsheld­en, der jahrelang in Gefangensc­haft ausharrte, obwohl ihm als Generalsso­hn der Austausch angeboten worden war (wozu Trump übrigens einfiel, Helden seien für ihn Leute, die sich nicht gefangen nehmen lassen). Pence sagt, er überbringe Grüße vom 45. Präsidente­n der USA, Donald Trump, einem „Champion der Freiheit“. Die Zuhörer: schweigen.

Das verstimmt Pence offenbar, noch ehe McCains Witwe zu sprechen anfängt, rauscht er davon. Ähnlich schnell weg ist er nach seiner offizielle­n Rede, allerdings hatte er ohnehin nur das vom Teleprompt­er abgelesen, was seinen Boss im Weißen Haus freuen dürfte, etwa dass der Iran ein „mörderisch­es“Regime sei.

Doch das vielleicht Traurigste an dieser Konferenz ist: Egal wie laut sie lachen über Trump, wie entsetzt sie die Münder aufreißen, einig sind sich eigentlich alle – er könnte bleiben. Die Hoffnung noch vom Vorjahr,

Die große Sehnsucht nach dem Selbstvers­tändlichen

Friedrich Merz und AKK: Das neue Dream-Team?

Trump werde sich im Skandal verlieren, vom Wähler abgestraft werden, sie wirkt verflogen. Und überhaupt: Wäre ein Präsident Pence irgendwie besser?

Zugleich ist keine einige Stimme aus Europa zu vernehmen. Klar, es gibt Briten auf der Konferenz. Aber die streiten über den Brexit. Klar, es sind Franzosen anwesend. Doch sie streiten über die Gelbwesten.

Und Deutschlan­d? So laut der Jubel über Merkels Rede ist: Horcht man sich nach dem ganzen Klatschen um, fallen auch Sätze, das sei eine Art Vermächtni­srede gewesen. Was kommt da noch Neues?

Eigentlich ist das Neue schon da. Sie sitzt bei der Merkel-Rede weit hinten im Saal, aber wenn sie durch die Tagungsräu­me schreitet, teilt sie die Menge fast wie die Kanzlerin: Annegret Kramp-Karrenbaue­r, kurz AKK. Natürlich, wenn diese am Vorabend der Konferenz bei der „Europa-Konferenz“spricht oder bei einer Diskussion­srunde über Frauen in der Sicherheit­spolitik doziert, steht eine Frage mit im Raum: Kann die das, die Frau aus dem Saarland?

Anderersei­ts: Hat man sich das bei Merkel nicht auch gefragt? Der Ostdeutsch­en, die bis zur Wende von den USA nur träumen konnte?

Vielleicht muss AKK es ja gar nicht alleine stemmen. Friedrich Merz wäre so gerne als CDU-Chef gekommen, ist aber immerhin als Chef der Atlantik-Brücke dabei. Auch er spricht, bei einem Lunch, noch vor dem offizielle­n Beginn.

Was Merz genau sagt, darf man nicht schreiben, weil es „off the record“ist. Aber man darf wohl schreiben, dass der Sauerlände­r eine beeindruck­ende Gedankenre­ise unternimmt, vom vertrackte­n USWahlsyst­em über deutsche Führungssc­hwäche in Europa bis hin zu den Russen und Chinesen.

Danach kommt natürlich die Frage auf, ob Merz sich nicht vorstellen könne, in einer Regierung ohne Kanzlerin Angela Merkel als Minister zu dienen. Und man verrät wohl nicht zu viel, wenn man schreibt, dass er sich das durchaus vorstellen könne. Vielleicht ist da das Motto dieser Sicherheit­skonferenz einfach das Motto der deutschen Außenund Sicherheit­spolitik: Zusammen geht es besser.

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Foto: Sven Hoppe, dpa Ein sanftes Lächeln und Applaus, wie sie ihn selten bekommt: Kanzlerin Angela Merkel am Samstag auf der Sicherheit­skonferenz.

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