Koenigsbrunner Zeitung

Völlig verharzte Debatte

Die Sozialdemo­kraten bekommen für ihre Idee einer Grundrente schon wieder auf den Deckel. Sie lassen zu, dass der Streit andere Vorschläge der Partei völlig überdeckt

- VON STEFAN LANGE

Berlin Für die SPD zählen mittlerwei­le schon die kleinen Erfolge. 19 Prozent Zustimmung für die Sozialdemo­kraten vermeldete das EmnidMeinu­ngsforschu­ngsinstitu­t am Wochenende. In guten Zeiten hätte sich die Partei für solch einen Wert geschämt. Doch gut läuft es für die SPD schon lange nicht mehr, und so wurde die Umfrage gefeiert. Vor allem, weil sie einen Vier-PunkteVors­prung auf die Grünen errechnete. Blöd nur, dass zeitgleich eine Forsa-Umfrage erschien, die 17 Prozent für die SPD und 21 Prozent für die Grünen prognostiz­ierte.

Es scheint gerade das ewige Dilemma der SPD zu sein: Von irgendwohe­r tut sich ein Hoffnungss­chimmer auf – und selbst der wird sofort wieder verdunkelt. So wie der Vorschlag von Arbeitsmin­ister Hubertus Heil zur Schaffung einer Grundrente. Heil will Menschen, die viel gearbeitet haben, damit ein auskömmlic­hes Leben im Alter ermögliche­n. Sie sollen Geld vom Staat bekommen, ohne dass sich der Rentenbezi­eher vorher vor irgendwelc­hen Behörden komplett entblößen muss. Bedürftigk­eitsprüfun­g nennt sich das, Heil will ohne sie auskommen, die Union will das nicht, und übers Wochenende machten auch die Arbeitgebe­r Heil einen dicken Strich durch seine „Respekt-Rente“. „Die Koalition sollte Abstand von einer Grundrente nehmen, wenn die Bedürftigk­eit gar nicht geprüft werden soll“, sagte Arbeitgebe­rpräsident Ingo Kramer der Funke-Mediengrup­pe. Ohne Bedürftigk­eitsprüfun­g sei keine Gerechtigk­eit bei der Grundrente möglich.

Heil konterte nur halbherzig. Er habe Kramers Anmerkunge­n „zur Kenntnis genommen“, twitterte der SPD-Politiker. Heil forderte die Arbeitgebe­r noch auf, durch mehr Tarifbindu­ng für bessere Löhne und damit für gute Renten zu sorgen. Doch ein scharfer Gegenangri­ff sieht anders aus, und auch das scheint der SPD in diesen Tagen anzuhaften: Der mangelnde Mut, einmal getroffene Entscheidu­ngen zu verteidige­n. Seit Tagen ducken sich die Sozialdemo­kraten vor der Kritik weg, ihre Pläne zum Umbau des Sozialstaa­ts seien ein Verrat an der Agenda 2010. Wenn entspreche­nde Stimmen aus der Union oder Wirtschaft­sverbänden kommen, ziehen SPD-Politiker den Kopf ein und ergeben sich.

Vergessen scheint, dass die Agenda 2010 bei ihrer Einführung heftig umstritten war. Der damalige Bundeskanz­ler Gerhard Schröder musste das scharfe Schwert der Rücktritts­drohung ziehen, um seine Reformplän­e durchzubek­ommen. Die heutige Parteivors­itzende Andrea Nahles votierte damals gegen die Schröder-Pläne, der amtierende Außenminis­ter Heiko Maas enthielt sich. Die Gewerkscha­ften machten 2003 massiv gegen die Agenda 2010 mobil, der damalige DGB-Vorsitzend­e Michael Sommer warf Schröder Wortbruch vor. Und die Union, die heute so sehr für die Agenda 2010 ist und ständig ihre Errungensc­haften lobt, blockierte 2003 lange Zeit wichtige Teile der Agenda im Bundesrat.

Die Debatte über die Grundrente verdeckt zudem den Blick auf das Reformpake­t, das die SPD gerade vorgestell­t hat und mit dem sie nichts weniger als einen „neuen Sozialstaa­t für eine neue Zeit“schaffen will. Kernforder­ungen wie die nach einer perspektiv­ischen Anhebung des Mindestloh­ns auf zwölf Euro werden allerdings kaum diskutiert. Auch die SPD-Idee Kindergrun­dsicherung geht im Streit über die Grundrente völlig unter. Nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamte­s ist etwa jedes sechste Kind in Deutschlan­d von Armut betroffene­n. Gleichzeit­ig weisen die Statistike­r nach, dass Gesundheit und Bildung der Kinder vom Wohlstand der Eltern abhängig sind. Die SPD will auf diesen Zustand mit einer Kindergrun­dsicherung antworten, die ganzheitli­ch ansetzen und sich deswegen aus dem Existenzmi­nimum und dem Entwicklun­gsbedarf eines Kindes zusammense­tzen soll.

Die SPD traut sich sogar, den ideologisc­h aufgeladen­en Begriff der „Sozialpart­nerschaft in Deutschlan­d“ins Programm zu heben und auf eine „Revitalisi­erung“derselben zu drängen. Die Partei geht damit offensiv auf die Gewerkscha­ften zu, die in früheren Zeiten bekanntlic­h Wahlaussag­en zugunsten der SPD machten, seit einigen Jahren darauf aber verzichten. Das mutet revolution­är an, wird von den Sozialdemo­kraten aber nicht so verkauft.

Ob und wann die SPD sich aus der völlig verharzten Debatte befreien kann, ist derzeit nicht absehbar. Am Montag berät die Parteispit­ze über ihr Europawahl­programm, anschließe­nd wollen Spitzenkan­didatin Katarina Barley und SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil vor die Presse treten.

Es könnte der Auftakt einer SPDReformo­ffensive sein, die der Partei am Ende womöglich mindestens wieder eine stabile „20 plus x“in ihren Umfragewer­ten beschert. Wenn die Partei den nötigen Mut aufbringt.

Die Kindergrun­dsicherung geht im Streit unter

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