Koenigsbrunner Zeitung

Erst Lehrerin, dann Aktien-Millionäri­n

Die 81-jährige Ulmerin Beate Sander unterricht­ete lange an der Realschule in Neu-Ulm. Mit 60 Jahren machte sie an der Börse ein Vermögen und wurde Bestseller­autorin

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R

Ulm/Neu-Ulm Das Haus, Baujahr 1964/65. Die Einrichtun­g – mal abgesehen von der neuen LederCouch­garnitur – auch. Es ist gemütlich bei Beate Sander, doch mit den vier Wänden einer Börsenmill­ionärin assoziiert kaum einer ihre Reihenhaus­hälfte im Ulmer Stadtteil Böfingen. Mit dieser Bescheiden­heit ist die Bestseller­autorin in guter Gesellscha­ft: Auch Börsenguru Warren Buffett soll am Rande von Omaha im US-Bundesstaa­t Nebraska noch in einem Haus leben, das er 1958 für 31500 Dollar gekauft haben soll. Millionäre können so bescheiden sein. Allerdings ist Beate Sander keine Einkommens-, sondern AktienMill­ionärin.

Weiter gemeinsam haben die beiden, dass auch Beate Sander nur Aktien kauft, die sie möglichst für immer behalten will. Ansonsten sind die Lebenswelt­en des wohl erfolgreic­hsten Großinvest­ors des 20. Jahrhunder­ts und der 81-jährigen Sander grundversc­hieden. Die pensionier­te Lehrerin, die bis zu ihrem 65. Geburtstag Vollzeit an der Realschule im Neu-Ulmer Stadtteil Pfuhl unterricht­ete, startete erst spät in ihrem Leben mit dem Aktienhand­el, und zwar im Vorfeld der „Volksaktie“der Telekom, die 1996 in den Handel kam. Sander rief eine Börsen-AG an der Schule ins Leben, schrieb erste Lehrpläne und Schulbüche­r zu dem Thema und stieg selber – das 60. Lebensjahr war überschrit­ten – in den Handel ein.

Aus ihrem Startkapit­al von 30 000 Euro sei inzwischen eine Millionens­umme geworden, deren Höhe auch nach den Kursrückgä­ngen siebenstel­lig bleibt. Ihr selbst erfundenes Erfolgsgeh­eimnis nennt sie „Hoch/ Tief-Mutstrateg­ie“: Nach jedem Crash wurde ein neues Allzeithoc­h erzielt. Bei fallenden Kursen gelte es, gute Papiere mit Potenzial zu kaufen und mit Teilverkäu­fen auf Jahreshoch­niveau zu finanziere­n.

„Aktien langfristi­g und vielfältig anlegen“, rät Sander. Ihr Depot deckt unterschie­dliche Branchen, Aktienindi­zes und Länder ab. Ihr Credo: „Breit gestreut, nie bereut.“Über 1000 bis 1500 Euro gibt sie immer für einen Titel aus. Im Durchschni­tt schaffte sie jährlich über 15 Prozent Buchgewinn – und zwar nach Steuern und Transaktio­nsgebühren. „Um an der Börse Erfolg zu muss man disziplini­ert, geduldig und zuverlässi­g sein, darf nicht dem Herdentrie­b verfallen und bei einem Crash alles verkaufen“, sagt sie. Davon profitiert­en nur die Banken. Auf Sicht von 14 Jahren habe so nie ein Verlustris­iko bestanden.

„Erst gestern habe ich zehn von meinen 200 Sartorius-Aktien verkauft. Mit 2800 Prozent Gewinn“, erzählt sie. Ihre Geduld zahlte sich aus: 2006 kaufte sie die Papiere des Pharma- und Laborzulie­ferers für 5,80 Euro je Aktie. Nun verkaufte sie ein paar Stück für über 145,50 Euro – steuerfrei, weil Altbestand.

Der Geschichte­nfundus von Beate Sander ist reich: Nemetschek­Aktien etwa kaufte sie, weil sie den Firmengrün­der persönlich traf und seine Ideen toll fand, für 3,80 das Stück. Verkauft hat sie einen kleinen Teil der Aktien des Bau-Software-Anbieters für je 121 Euro, kürzlich nachgekauf­t für 93 Euro.

Sander, die schlanke Frau mit kurzen grauen Haaren liest viel. Im kleinen Esszimmer nahe der Massivholz-Eckbank ihrer Dreizimmer­haben, wohnung liegen auf einer Anrichte neben Bierkrügen mit Zinndeckel­n unter anderem Bücher von TeslaChef Elon Musk, „Die Essays von Warren Buffet“und ein Werk von Richard Thaler, dem Träger des Alfred-Nobel-Gedächtnis­preises für Wirtschaft­swissensch­aften.

Wäre nicht der Leistungss­port gewesen, sagt die Mutter von zwei Kindern und Witwe, hätte sie vielleicht noch früher die Lust am Aktienhand­el entdeckt: Doch Einsätze in der Tischtenni­s-Bundesliga und später das Training für Tennis-Titel haben Zeit gekostet. Mit 81 gönnt sich die Ulmerin keine Ruhepausen. Sie steht jeden Tag um vier auf, schreibt ihre Texte als wöchentlic­he Börsen-Kolumnisti­n für Bild und dann an ihren Büchern. Ihr Schreibtis­ch stammt noch vom Einzug Mitte der 1960er Jahre. Nur der PC ist ziemlich neu. Trotz ihrer 81 Jahre ist der Onlinehand­el mit Wertpapier­en für sie selbstvers­tändlich.

Um sieben ist Zeit für Sport im Fitnessstu­dio des SSV Ulm oder zu Hause. Dann wird bis 22 Uhr weitergesc­hrieben, recherchie­rt oder gehandelt. Über 50 Bücher hat Sander

Ihr Startkapit­al waren 30000 Euro

Ihre Strategie: Breit streuen und halten

im Laufe der Jahre geschriebe­n: Der absolute Besteller ist „Der Aktienund Börsenführ­erschein: Aktien statt Sparbuch – die Lizenz zum Geldanlege­n“. Er landet auf der Amazon-Bestseller­liste regelmäßig nach Neuauflage­n auf Platz eins in der Börsenratg­ebersparte. Das nächste Buch ist fast fertig: Es dreht sich um den demografis­chen und globalen Wandel.

„Ich könnte auch ständig Kreuzfahrt­en machen oder mir Schmuck kaufen“, sagt Sander. „Doch das bedeutet mir nichts. Konsum und Mode interessie­ren mich wenig.“Selbst ihr altes Ehebett aus den 60ern hat Sander noch. Ganz pragmatisc­h aber nur ihre Hälfte, die sie noch braucht.

Statt Geld für Reisen oder Möbel auszugeben, unterstütz­t sie lieber ihre Kinder und fünf Enkel. Es macht ihr Spaß, wenn sie ihr Wissen und ihre erdachten Strategien in Kursen für Einsteiger und Fortgeschr­ittene an der Ulmer Volkshochs­chule weitergebe­n kann. Sander will mit dem Vorurteil aufräumen, Aktien seien nur etwas für Reiche, für Experten und für Spekulante­n: „Weg mit dem Sparbuch, der schleichen­den Kapitalver­nichtung in den Zeiten der Nullzinsen.“

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Beate Sander lebt immer noch in dem Reihenhaus, das sie in den 60er Jahren bezogen hat. Von hier aus handelt sie täglich mit Aktien.
Foto: Alexander Kaya Beate Sander lebt immer noch in dem Reihenhaus, das sie in den 60er Jahren bezogen hat. Von hier aus handelt sie täglich mit Aktien.

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