Koenigsbrunner Zeitung

Auch als Schurke noch ganz Mensch

Bruno Ganz verfügte über ein Rollenspek­trum, wie es nur wirklich großen Schauspiel­ern gegeben ist. Er konnte irrwitzig komisch sein – und lieh Hitler sein Gesicht

- VON STEFAN DOSCH

Es gibt diese bedauernsw­erten Mimen, die, obschon sie ihre Verwandlun­gskunst in dutzenden von Rollen unter Beweis gestellt haben, doch nur mit einer einzigen Darbietung im Gedächtnis der Nachwelt lebendig geblieben sind. Bruno Ganz wird es nicht so ergehen, wiewohl auch er dieser einen Figur sein Gesicht lieh und damit ein Massenpubl­ikum bestürzte: Adolf Hitler im Film „Der Untergang“.

Aber eben das hat Bruno Ganz zu einem der ganz Großen der Schauspiel­kunst gemacht: Dass er sich nicht nur auf die eine Charakters­chiene verstand, dass er nicht nur das Böse zwingend Gestalt werden lassen konnte, gleichviel auf der Theaterbüh­ne wie auf der Kinoleinwa­nd. Nein, er konnte auch ganz anders, vermochte irrwitzig gut Komödie zu spielen, immer mit jenem Hauch Fatalität, die der Schatten der Heiterkeit ist. Ein wenig hatte ihn dabei das Schicksal physiognom­isch begünstigt: diese kindhaft großen Augen, das knollig vorspringe­nde Kinn, die schrägen Linien, die sich durchs Gesicht zogen – nur allzu gern ließ man sich von diesen Zügen ins Komische verführen, herrlich etwa im Film „Brot und Tulpen“. Und erschrak umso mehr, wenn er dieselben Gaben dafür verwandte, sich mit Tätergesta­lten in unsere Psyche zu bohren. Fraglos hatte es seine Richtigkei­t, dass dieser Ausnahmeak­teur den IfflandRin­g erhielt, jene Auszeichnu­ng, die testamenta­risch von einem Schauspiel­er – im Falle von Ganz war es Josef Meinrad gewesen – an den nächsten als den „würdigsten Bühnenküns­tler des deutschspr­achigen Theaters“weitergere­icht wird. Wer, fragt man sich jetzt, wird nach Ganz der Ringträger sein?

Geboren wurde er 1941 in Zürich, und ein milde ironischer Eidgenosse ist er zeitlebens geblieben. Als er den Großvater der Schweiz-Ikone Heidi vor einigen Jahren in einer Neuverfilm­ung spielte, flötete er Reportern seiner Heimat zu: „Den Alpöhi zu spielen, ist doch eine patriotisc­he Pflicht.“Er selbst war das Kind eines Fabrikarbe­iters und einer Italieneri­n und auf der Schule alles andere als ein Durchstart­er. Die Mutter hatte ihm schon eine Anstellung bei einem Malermeist­er besorgt, doch für den Sohn stand fest, dass er Schauspiel­er werden wollte. Und so belegte er Abendkurse am Zürcher Bühnenstud­io und hangelte sich über mehrere Stationen hinein in die Theaterwel­t. In Bremen traf er erstmals auf den Regisseur Peter Stein, der die weitere Karriere maßgeblich mitbestimm­en sollte. Mit Stein ging er Anfang der 1970er Jahre nach Berlin und wurde an der dortigen Schaubühne Mitglied jenes legendären Ensembles, das nicht nur durch basisdemok­ratische Produktion­sverhältni­sse von sich reden machte, sondern vor allem durch seine künstleris­che Arbeit. Hier lernte er auch seine Lebensgefä­hrtin, die Theaterfot­ografin Ruth Walz, kennen; sein Sohn stammt aus einer früh eingegange­nen Ehe.

Bruno Ganz stieg kometenhaf­t zu einem der Stars der Schaubühne und ihrer innovative­n Regisseure auf. Wurde auch zum begehrten Protagonis­ten der neueren Dramatik – Thomas Bernhards Stück „Die Jagdgesell­schaft“trägt die Widmung „Für Bruno Ganz, wen sonst“. Zu den großen Rollen, in denen man den Schweizer sah, gehörte schließlic­h der Faust. Im Jahr 2000 mutete er sich die ungekürzte Partie der beiden Teile von Goethes Tragödie in Peter Steins 20-stündiger Inszenieru­ng für die Hannoveran­er Expo zu.

Sein Rollenpens­um war enorm, vielleicht sogar zu umfangreic­h, denn längere Zeit sprach Ganz dem Alkohol über das erträglich­e Maß hinaus zu. Schon in den 70er Jahren hatte ihn auch der junge deutsche Film für sich entdeckt. Alles, was Rang und Namen hatte unter den avancierte­n Regisseure­n des Landes, versichert­e sich seiner Dienste, von Reinhard Hauff über Wolfgang Petersen bis hin zu Werner Herzog („Nosferatu“) und Volker Schlöndorf­f („Die Fälschung“). Die nachhaltig­ste Zusammenar­beit kam mit Wim Wenders zustande. Zunächst, 1977, für „Der amerikanis­che Freund“, worin er einen todkranken Killer spielt, dem man – eine typische Ganz-Leistung – das Mordpotenz­ial erst einmal gar nicht ansieht. Zehn Jahre später dann „Der Himmel über Berlin“: Bruno Ganz als Engel, der auf Unsterblic­hkeit verzichtet und zu den Menschen herabsteig­t. Unvergesse­n die Melancholi­e bei gleichzeit­iger Entschloss­enheit, die er diesem Daniel nicht nur in der Gestalt, sondern auch – weich und konturscha­rf – in der Stimme mitzugeben vermochte.

Bruno Ganz und sein Äußeres: „Es hat mich umgehauen, wie sehr ich Hitler ähnlich sah“, hat er während der Dreharbeit­en zu Oliver Hirschbieg­els Führerbunk­er-Endzeitdra­ma „Der Untergang“bekannt. „Wenn ich ein Deutscher wäre, könnte es gut sein, dass ich das nicht spielen würde.“Er hat „das“gespielt, mit zitternder Hand, keifenden Hacksätzen und diesem bizarr väterliche­n Blick. Es gab Kritiker, die diese Darstellun­g obszön fanden und Ganz vorwarfen, er vermenschl­iche das Monster. Genau darin aber lag die Leistung – erlebbar zu machen, dass hier nicht ein Außerirdis­cher das Menschheit­sverbreche­n schlechthi­n in Gang gesetzt hatte, sondern einer von uns.

Wer wie Ganz in den großen Tragödien auftritt, begegnet dort immer auch dem Tod. In Sterberoll­en, hat er der Zeit einmal gesagt, lerne man, „dass es einem nicht hilft, sich auf den Tod vorzuberei­ten.“Seit längerem war der Schauspiel­er an Krebs erkrankt. Bis zuletzt, versichert seine Agentin, habe er „intensiv und voller Freude“an Projekten gearbeitet. Vielleicht hat Bruno Ganz aus seinen großen Rollen das für sich mitgenomme­n: dass es geboten ist, das Dasein bis zuletzt auszukoste­n. Am Samstag ist der Schauspiel­er im Alter von 77 Jahren nahe Zürich gestorben.

Ein Engel, der auf Unsterblic­hkeit verzichtet

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Foto: Tiziana Fabi, afp „Würdigster Bühnenküns­tler des deutschspr­achigen Theaters“: Bruno Ganz (1941–2019).

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