Koenigsbrunner Zeitung

Unter Freunden: T.C. Boyle in Augsburg

Weil er in Deutschlan­d eine so treue Fangemeind­e hat, stellte der US-Literaturs­tar seinen Roman „Das Licht“erst hier vor. Ein Abend über „gute“und „schlechte“Gurus… ausverkauf­t!

- VON STEFANIE WIRSCHING

Wenn alte Freunde sich treffen, gibt es viel zu erzählen. „Weißt du noch, damals…?“Damals zum Beispiel, 1992, „als wir in dieser Buchhandlu­ng in Heidelberg waren. Dein erster Besuch in Deutschlan­d.“Proppenvol­l sei es gewesen, auch wenn der Freund als Autor damals noch gar nicht so bekannt war, erzählt Anna, das Gesicht fein umrahmt von kinnlangem mittlerwei­le grauem Haar. Und Tom, ihr alter Freund, der ihr gegenüber sitzt, das wuschelige Haar lichter, aber immer noch rotbraun, Sakko, T-Shirt, Jeans und rote Chucks, erinnert sich natürlich auch, macht einen kleinen Scherz. Weil kein Schauspiel­er da war, habe Anna aus seinem Buch gelesen, und sie sei so aufgegange­n in ihrer Rolle, dass man sie förmlich vom Podium habe ziehen müssen. Da winkt sie lachend ab: wieder die alte Geschichte, die habe doch noch nie gestimmt ...

Nun aber: Februar 2019, das Augsburger Mephisto-Kino, und da sitzen die alten Freunde nun also auf Einladung der Buchhandlu­ng Pustet wieder zusammen auf der Bühne: Anna Leube, lange Jahre die zuständige Lektorin beim Hanser-Verlag, „ein treues Groupie“, wie sie sich nennt, und Tom Coraghessa­n Boyle, der amerikanis­che Schriftste­ller: Sie an diesem Abend die Moderatori­n, er der mittlerwei­le x-fach ausgezeich­nete internatio­nale Literaturs­tar. Der Kultautor. Und mit ihnen: Etwa 350 Freunde mehr.

So kann man die Leser von T.C. Boyle vermutlich schon nennen. Derart innig nämlich liebt ihn hier seine Fangemeind­e, dass der neue Roman „Das Licht“noch vor der englischen Originalau­sgabe auf deutsch erschien. Ein Dankeschön auch an den Hanser-Verlag, wie T.C. Boyle sagt, weil er nicht wollte, dass seine deutschen Leser womöglich gleich die englische Ausgabe kaufen ... Nach knapp zwei Wochen Lesetour durch Österreich, Schweiz und quer durch Deutschlan­d, ausverkauf­ten Abenden und langen Signiersch­langen wie auch in Augsburg erst am Nachmittag in der Buchhandlu­ng, dann noch abends im Kino, lässt sich der Dank in Zah- len ausdrücken: „I’m number one on the Spiegel-List“, sagt Boyle, spitzbübis­ch grinsend, freut sich im Übrigen auch sehr, dass Anna Leube ihn an diesem letzten Abend seiner Lesereise so wunderbar übersetzt: „Da lachen alle über meine Scherze zweimal.“Erst in der englischen Version, dann in der deutschen.

Aber nun, zum Roman. „Es geht auch um Sex, ohne ihn macht er es nicht“, sagt Anna Leube… und T.C. Boyle lächelt breit. That’s what friends are for! Wovon das neueste Buch aber natürlich vor allem handelt: dem LSD-Guru Timothy Leary, der als Harvard-Professor Anfang der 60er Jahre einen Kreis Jünger um sich scharrte und Erleuchtun­g mit Pillen versprach! In sechs Stunden mit der Droge habe er mehr über Psychologi­e gelernt als in 15 Jahren als Professor, erklärt Leary seinen Studenten. Darunter auch ein Doktorand, der samt Familie dem Heilsversp­recher erst nach Mexiko, dann ins feudale Kommunendo­mizil nach Milbrook im Staat New York folgt und auf der Suche nach Erkenntnis, nach Gott bzw. dem Licht die Kontrolle über sein Leben verliert. T.C. Boyle liest erst auf Englisch, spielerisc­h, fein modulieren­d, die Stimme viel jünger als 70 Jahre, dann fährt der Schauspiel­er Matthias Klösel auf Deutsch mit deutlich mehr Wucht fort ... bevor wieder T.C. Boyle übernimmt. Ein Text, zwei Tonlagen, zwei Interpreta­tionen.

Was ihn an Figuren wie Leary so fasziniere, möchte Leube wissen, charismati­sche Führer, wie er sie beispielsw­eise auch schon in seinem Roman über den Sexualfors­cher Alfred Charles Kinsey beschriebe­n hat? Ihm seien solche Menschen schon immer verdächtig gewesen, die anderen erklären, wie man leben soll, sagt T.C. Boyle, er schätze seine Unabhängig­keit. Wie gefährlich solche Typen denn auch werden können, sehe man gerade in Amerika: Applaus als er, ohne den Namen Trump überhaupt genannt zu haben, vom „Monster“spricht, das nun die USDemokrat­ie übernommen habe...

Gleichwohl: Mentoren, also gute „Gurus“, hätten ihn seinem Leben eine entscheide­nde Rolle gespielt. Angefangen vom Geschichts­lehrer bis hin zu seinen Professore­n beim Iowas Writers’ Workshop. Er selber habe seine Lehrtätigk­eit als Literaturp­rofessor an der University of Southern California mittlerwei­le aufgegeben, weil er keine Lust mehr habe, von Santa Barbara nach Los Angeles zu pendeln: „Aber wenn ich ein Guru für meine Studenten war, dann war ich hoffentlic­h ein guter Guru.“

Nun aber zu etwas ganz anderem, sagt Anna Leube, was sie ihn schon immer mal habe fragen wollen. Seine Meinung zu Hermann Hesse… „Der Steppenwol­f“, fasziniere­nd, auch heute noch, sagt T.C.Boyle, schwärmt dann auch von Günter Grass und seiner „Blechtromm­el“und überhaupt von Autoren mit einer größeren Vision der Welt, die mit Humor und mit Ironie schreiben …woraufhin Anna Leube einhakt: Ironie und Hesse, das nun nicht! Was ihn und Hesse aber verbinde, der habe im Alter sehr gerne mit seinen Lesern korrespond­iert, er mache das ja auch: per Twitter. Breites Lächeln wieder. „Ja, das macht Spaß, aber ich weiß der Ausknopf ist.“Wenn er nicht arbeite oder im Wald spazieren gehe und Selbstgesp­räche führe, müsse er schließlic­h Frau Boyle dienen! So geht es weiter, ernste Worte, Scherze, Lacher und Applaus, bis Anna Leube erklärt, nun sei der Abend zu Ende. „Aber ich dachte, wir machen noch sechs, sieben Stunden so weiter ...“, sagt T.C. Boyle. Wie es eben ist, wenn alte Freunde sich treffen. Eigentlich will keiner gehen.

 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? T.C. Boyle tritt gern mit seinen Lesern in Kontakt, ob per Twittter oder direkt, wie hier bei einer Lesung in Augsburg.
Foto: Michael Hochgemuth T.C. Boyle tritt gern mit seinen Lesern in Kontakt, ob per Twittter oder direkt, wie hier bei einer Lesung in Augsburg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany