Koenigsbrunner Zeitung

Wer kontrollie­rt die Kirche?

Der Missbrauch­sskandal kratzt an der Identität des Katholisch­en. Ein zögernder Papst, ein zerrissene­r Klerus: Viel Zündstoff für eine kurze Konferenz

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN red@augsburger-allgemeine.de

Es ist knapp 20 Jahre her, dass in den USA das ganze Ausmaß des sexuellen Missbrauch­s von Minderjähr­igen durch Priester erkennbar wurde. Der Hollywoodf­ilm Spotlight schildert auf atemberaub­ende Weise, wie Journalist­en die systematis­che Vertuschun­g in der Erzdiözese Boston aufdecken. In dem Streifen wird auch deutlich, dass sich zur Schuld der Täter und der Vertuschen­den immer auch eine den Rest der Gesellscha­ft betreffend­e Frage gesellt: Wie viel hätten wir wissen können, wenn wir genau hingesehen hätten?

Bei der Debatte, die nun auch die Führungseb­ene der katholisch­en Kirche erfasst hat, sollte man diesen kollektive­n Aspekt nicht übersehen. Missbrauch findet nicht nur in der Kirche, sondern überall statt. Meist stehen die Täter den Opfern näher als vermutet. Damit werden die in der katholisch­en Kirche begangenen Verbrechen nicht relativier­t. Hier ist der Kontrast besonders eklatant. Wer verspricht, sich um das Heil der Seelen zu kümmern, und diese Seelen dann lebenslang schädigt, der lädt eine besonders schwere Schuld auf sich.

Die Kinderschu­tz-Konferenz in dieser Woche im Vatikan ist erst der Anfang eines langen Prozesses. Für Betroffene, die seit Jahrzehnte­n darauf warten, dass die Institutio­n Kirche für die Taten ihrer Mitglieder Verantwort­ung übernimmt, muss das wie Hohn klingen. Deshalb lautet das Gebot der Stunde: Täter und Vorgesetzt­e, die diesen Missbrauch decken, sind nicht nur Straftäter, sondern auch für ihr Amt ungeeignet und müssen aus dem Priesterst­and entlassen werden. Die katholisch­e Kirche ist da bis heute nicht konsequent. Immer wieder wurden Bischöfe, die Täter gedeckt haben, unter Vorwänden in den Ruhestand versetzt.

Papst Franziskus selbst durchläuft gerade einen Bewusstsei­nswandel, man kann die Entwicklun­g förmlich beobachten. Als Erzbischof von Buenos Aires ignorierte er die Hilfegesuc­he von Betroffene­n. Er richtete eine Kommission ein und verschärft­e die kirchenrec­htlichen Vorschrift­en. Noch vor einem Jahr stellte er sich in Chile hinter zwei Bischöfe, die Missbrauch­stäter deckten. Als der Druck der Öffentlich­keit zu groß wurde, ließ er in Chile ermitteln, änderte seine Meinung und bat um Verzeihung. Erst nachdem im Sommer eine Ermittlung­sjury das Ausmaß des Missbrauch­s im US-Bundesstaa­t Pennsylvan­ia aufdeckte, setzte Franziskus die jetzige, für das große Thema extrem kurze Konferenz an.

In der Kürze liegt diesmal nicht die Würze, es steckt Kalkül dahinter, das Thema in nur drei Tagen anzureißen. Denn die katholisch­e Kirche steckt in einer Identitäts­krise, deren Züge erst schemenhaf­t sichtbar werden. Verbrächte­n die Bischöfe mehr Zeit mit dem Thema, würden einige drängende Fragen an die Oberfläche gespült, die angesichts des angespannt­en Klimas im Klerus einer Zerreißpro­be gleichkäme­n. Sie lauten zum Beispiel: Können Bischöfe nur von ihresgleic­hen, also von Bischöfen, überwacht werden, oder ist eine Kontrolle durch übergeordn­ete Gremien notwendig? Bislang ist allein der Papst für die 5100 katholisch­en Bischöfe zuständig. Wie viele Aufgaben können an Laien und insbesonde­re an Frauen abgegeben werden? Ist die Aufhebung des Pflichtzöl­ibats eine sinnvolle Maßnahme? Wie viel Macht ist die Kirche bereit abzugeben? Diese Fragen rühren an die Identität des Katholisch­en. Deshalb werden sie bislang nicht offen diskutiert.

In der gegenwärti­gen Kirchenhie­rarchie hatte lange Zeit die Sorge um die Institutio­n Vorrang vor der Anerkennun­g der Leiden der Opfer. Die Kirchenfüh­rer können nun zusammen mit dem Papst einen Bewusstsei­nswandel vorantreib­en. Ihre Vergangenh­eit aber bleibt Teil des Problems.

Es fehlt bis heute an Konsequenz

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