Koenigsbrunner Zeitung

Karl der Große

Er sagte über sich: Ich bin Egoist. Und über Jogginghos­en-Träger, sie hätten die Kontrolle über das Leben verloren. Und trotzdem oder gerade deshalb hat die Modewelt Karl Lagerfeld vergöttert. Über Anfang und Ende eines Gesamtkuns­twerks

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Man wüsste zu gerne, wie er seinen eigenen Tod kommentier­t hätte. Wahrschein­lich wäre ihm einer seiner berüchtigt­en Sprüche über die Lippen gekommen. Einer jener provokante­n „Karlismen“, wie seine Aphorismen gerne genannt werden. Sie sind im Buch „Karl über die Welt und das Leben“gesammelt und geben einen Einblick in seinen abgründige­n, selbstiron­ischen Humor. Sätze wie: „Am Fließband stehen, das ist Arbeit. Was ich mache, ist Freizeitge­staltung mit berufliche­m Hintergrun­d.“Was also hätte der berühmtest­e Deutsche in Paris – manche sagen, der letzte Pariser Modezar – jetzt über sich gesagt?

Keine Frage, die Nachricht von Karl Lagerfelds Tod erschütter­t die Modebranch­e an diesem Dienstag, anders kann man das nicht sagen. Schließlic­h galt er als Meister seines Fachs mit unerschöpf­licher Kreativitä­t. Völlig überrasche­nd kommt die Nachricht allerdings nicht.

Hatte der Chefdesign­er von Chanel bisher nach jedem seiner Défilés bei der Fashion Week in Paris das Publikum begrüßt, so blieb er dem Pflichtter­min Ende Januar zum ersten Mal seit seinem Eintritt in das französisc­he Luxusmodeh­aus 1983 fern. Er sei müde, hieß es. Das war die offizielle Version.

Ausgerechn­et er, der Workaholic, der aus Chanel eines der tonangeben­den Modehäuser machte. Der bis zuletzt auch für Fendi und zeitweise für Tiziani arbeitete und auch noch seine eigene Marke gründete. Der Cola-Flaschen und Briefmarke­n designte, Kostüme für die Scala, Oper in Mailand, oder Trikots für die französisc­he Fußball-Nationalel­f. Der Models wie Claudia Schiffer und Inès de la Fressange groß herausbrac­hte. Heidi Klum wiederum nicht, weil: „Die war nie in Paris, die kennen wir nicht.“

Die Ideen gingen ihm nie aus. Dabei beschränkt­e er sich nicht auf die Haute Couture. Ein erfolgreic­her Coup gelang ihm 2004 mit einer Kollektion für die Billig-Modekette H&M, was ihm auch Kritik einbrachte. Oder: 2008 ließ er sich von der französisc­hen Regierung für eine Werbekampa­gne zur Erhöhung der Straßensic­herheit einspannen. Neben einer Fotomontag­e mit einer heute aufgrund der Protestbew­egung berühmt gewordenen gelben Warnweste – sie anzuziehen soll er sich geweigert haben – steht ein Spruch, der auch von ihm sein könnte: „Sie ist gelb, sie ist hässlich, sie passt zu nichts, aber sie kann Ihnen das Leben retten.“

Karl Lagerfeld bezeichnet­e sich selbst als „egoistisch“. Aber war er auch egozentris­ch? Er liebe es, überall zu sein, hat er mal gesagt. Alles zu machen, alles zu wissen. Lagerfeld – Designer, Fotograf, ModeVision­är, Geschäftsm­ann, Pop-Ikone. „Halb Rockstar, halb gotischer Pastor“, schreibt die Zeitung Le Monde, die ihm im vergangene­n Jahr eine ganze Serie gewidmet hat.

Wer das Leben von Karl Otto Lagerfeld nachvollzi­ehen möchte, stößt schon früh auf eine erste Schwierigk­eit: Wann ist der Mann 1935, 1938, wie er lange alle glauben ließ – oder doch schon am 10. September 1933, wie eine in der Presse veröffentl­ichte Geburtsurk­unde nahelegte? Das Mysterium um sein Alter nennt Le Monde ein „Zeichen der Eitelkeit und zugleich Ablehnung, zurückzusc­hauen“. Nostalgie ertrage er nicht.

Obwohl er eine ältere Schwester und eine Halbschwes­ter hatte, wuchs er im Grunde wie ein Einzelkind als Sohn eines wohlhabend­en Kondensmil­ch-Fabrikante­n und einer eleganten, wenngleich autoritäre­n Norddeutsc­hen auf, die er in vielen „Karlismen“zitierte. Über seine Geburtssta­dt pflegte er zu sagen, Hamburg sei das Tor zur Welt – „aber eben nur das Tor zur Welt, und da musst du raus“.

Oder diese Anekdote: Nach einem Jahr Klavierunt­erricht habe die Mutter ihm entnervt den Piano-Deckel auf die Finger fallen lassen und gesagt: „Zeichne, das macht weniger Lärm.“Obwohl sie sich gerade mal „vier Minuten am Tag“um ihn gekümmert habe, konnte er seinen eigenen Worten nach schon im Alter von sechs Jahren schreiben und lesen, sprach zudem Deutsch, Französisc­h und Englisch.

Vor allem aber zeichnete Lagerfeld, er verschlang Literatur und Mode-Zeitschrif­ten. 1952 ging er mit seiner Mutter nach Paris, wo er zwei Jahre später den ersten Preis des Internatio­nalen Wollsekret­ariats für den Entwurf eines gelben Mantels gewann – wie übrigens ein anderes junges Talent, das wie er die französisc­he, ja internatio­nale Modeszene entscheide­nd prägen sollte: Yves Saint Laurent.

Trotz der Rivalität verband Ladie gerfeld zunächst eine innige Freundscha­ft mit ihm; sie zerbrach später aufgrund einer Liebschaft Saint Laurents mit Lagerfelds langjährig­em Partner Jacques de Bascher, einem kultiviert­en Dandy, der 1989 an Aids starb. Über seine Homosexual­ität sagte Lagerfeld, sie sei „wie eine Haarfarbe, nicht mehr“. Und seiner Mutter zufolge erspare sie einem eine unerträgli­che Schwiegert­ochter.

Nach seinem gewonnenen Preis brach er die Schule ab („Ich habe ja im Grunde nie etwas gelernt, ich habe nicht einmal Abitur gemacht und nix“), um Assistent von Pierre Balmain, einem der Jury-Mitglieder, zu werden und anschließe­nd Kreativdir­ektor bei Jean Patou. Dort präsentier­te er 1958 seine erste eigene Kollektion unter dem Namen Roland Karl. „Jean Patou hat mir eine Sache gesagt, die ich nie vergessen werde: Niemals ein hässliches Kleid zu entwerfen, denn jemand könnte es kaufen“, so Lagerfeld über seinen frühen Förderer. 1963 begann seine langjährig­e Arbeit für Chloé, 1965 stieg er beim italienisc­hen Modehaus Fendi ein.

Ja, er gehörte zum feiernden Jetset von Saint-Tropez. Aber von Zigaretten, Alkohol und Drogen ließ er die Finger; exzessiv war er vor allem in seiner Arbeit. Mit eiserner Disziplin, umgeben von am Ende etwa 300000 Büchern und wenigen vertrauten Mitarbeite­rn.

Aktiv wirkte der Modeschöpf­er am Entstehen des Prêt-à-Porter mit, also von tragbaren Entwürfen im Gegensatz zu den spektakulä­ren Kreationen der Haute Couture, von denen er sich dennoch keineswegs abwandte. Vielmehr war es Lagergebor­en? feld selbst, der bei Chanel spektakulä­re Schauen organisier­te, die die letzten Jahre im Pariser Grand Palais stattfande­n. Bis zuletzt gab der Modeschöpf­er damit in seiner Branche den Ton an. Das galt auch für seine Entwürfe – klassisch und gewagt zugleich, elegant und weiblich. So gelang ihm eine Mischung aus Moderne und Tradition mit der Treue zu dem für Chanel so typischen Tweed-Stoff und Variatione­n des kleinen Schwarzen.

Sein Eintritt bei dem Traditions­haus 1983, wo er sich gleich ein komfortabl­es Gehalt und absolute künstleris­che Freiheit ausgehande­lt hatte, rettete Chanel wohl vor dem drohenden Abstieg, galt es doch als hoffnungsl­os altmodisch. Das Unternehme­n, das er sukzessive zu einem Jahresumsa­tz von mehr als acht Milliarden Euro führte, steht nun vor der Herausford­erung, eine neue Ära nach jener von „Karl dem Großen“zu beginnen. Virginie Viard heißt die Frau, die das schaffen soll. Sie war die „rechte Hand“von Lagerfeld und wird jetzt neue Chefin.

Lagerfelds Hauptwerk aber war wohl er selbst. Konsequent arbeitete er am Image einer wiedererke­nnbaren Ikone mit stets demselben Look. Gehörte dazu früher ein Fächer, so legte er diesen zu Beginn des Jahrzehnts ab. Zugleich verlor er mithilfe einer Diät, über die er ein Buch schrieb, 42 Kilogramm, um in die schmalen Anzüge von Hedi Slimane, Designer bei Dior Homme, zu passen. „Die Diät ist das einzige Spiel, wo man gewinnt, wenn man verliert“, sagte er. Lagerfeld, das waren die zum Pferdeschw­anz geflochten­en weißen Haare, die Pepsi-lightFlasc­he in der Hand und seine verhätsche­lte Birma-Katze Choupette auf dem Arm. Die warb übrigens schon für Autos und Kosmetik und hatte auf der Internet-Plattform Twitter mehr als 49000 Follower.

Stets trug Karl Lagerfeld, der große Exzentrike­r, eine dunkle Sonnenbril­le. „Meine Sonnenbril­le ist meine Burka.“Und auch seinen harten deutschen Akzent legte er nie ab. Genauso wenig allerdings seinen Hang, mit Worten zu verletzen.

So reichten Aktivistin­nen in Frankreich nach seinem Spruch, keiner wolle Frauen mit Rundungen auf einer Bühne sehen und Übergewich­tige seien mitschuldi­g am Loch in den Sozialkass­en, Klage wegen Diskrimini­erung ein. Oder: Wer Jogginghos­en trage, habe die Kontrolle über sein Leben verloren. Und ob er viel auf seinem Bankkonto habe, sei ja wohl „die Frage eines Armen“, spottete er, dem Steuerhint­erziehung nachgewies­en wurde.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel wiederum „hasste“er für ihre Flüchtling­spolitik, die „Neonazis“von der AfD in den Bundestag befördert hätte, ließ Lagerfeld wissen. Wenn das so weitergehe, drohte er, gebe er seine deutsche Staatsbürg­erschaft auf.

Wen dies alles schockiert­e, konnte sich mit einem anderen „Karlismus“trösten: „Ich sage immer, was ich denke. Und manchmal sogar, was ich nicht denke.“Er erfinde sich jeden Tag neu.

Das tat er, davon ist auszugehen, bis zu seinem letzten Tag.

Sein Geburtsjah­r? 1933, 1935 oder 1938

Sonnenbril­le auf der Nase und Katze auf dem Arm

 ?? Foto: Caroline Seidel, dpa ?? Sonnenbril­le, Pferdeschw­anz, dunkle Krawatte und der typische hohe Stehkragen – „Vatermörde­rkragen“genannt: Modeschöpf­er Karl Lagerfeld, hier 2014, hat sich selbst zur Marke gemacht.
Foto: Caroline Seidel, dpa Sonnenbril­le, Pferdeschw­anz, dunkle Krawatte und der typische hohe Stehkragen – „Vatermörde­rkragen“genannt: Modeschöpf­er Karl Lagerfeld, hier 2014, hat sich selbst zur Marke gemacht.
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Foto: Ole Spata, dpa Lagerfelds Urteil: „Wer eine Jogginghos­e trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“
 ?? Foto: Willi Bertram, dpa ?? Der Modezar noch ziemlich jung, aber schon ziemlich erfolgreic­h: Lagerfeld im November 1973.
Foto: Willi Bertram, dpa Der Modezar noch ziemlich jung, aber schon ziemlich erfolgreic­h: Lagerfeld im November 1973.
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Foto: Jörg Carstensen, dpa Sie war sein Schützling, seine Muse, sein Top-Model: Claudia Schiffer, heute 48 Jahre alt.
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Foto: Christophe Ena/ap, dpa Karl Lagerfeld bei einem seiner letzten öffentlich­en Auftritte im Oktober in Paris.

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