Koenigsbrunner Zeitung

Was unseren Kindern Angst macht

Wie fehlende Zuwendung durch Familie oder Lehrer der Entwicklun­g schadet und welche Sorge vieler Schülerinn­en und Schüler die Experten besonders alarmiert

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Gütersloh Was brauchen Kinder, um gut aufwachsen zu können? Vor allem natürlich Zuneigung und Halt – in der Familie, von Freunden, aber auch von ihren Lehrern. Egal, ob es um die Entwicklun­g der Persönlich­keit geht oder um schulische Leistungen: Ohne ein gewisses Gefühl von Sicherheit tun sich Kinder schwer. Die renommiert­e Frankfurte­r Erziehungs­wissenscha­ftlerin Sabine Andresen hat in Zusammenar­beit mit der Bertelsman­n Stiftung 3450 Kinder und Jugendlich­e zwischen acht und 14 Jahren befragt und herausgefu­nden, was ihnen besondere Angst macht.

Fangen wir mit der guten Nachricht an: Den meisten Kindern geht es nach eigenem Empfinden grundsätzl­ich gut. Doch die Studie, die im Schuljahr 2017/18 durchgefüh­rt wurde, offenbart auch, was Heranwachs­ende – je nach Alter und Schulform – belastet. Gut fünf Prozent der Achtjährig­en haben das Gefühl, dass sich niemand in der Familie wirklich um sie kümmert. Und sogar jeder zehnte 14-Jährige beantworte­t diese vielleicht alles entscheide­nde Frage mit „nein“oder „nur ein bisschen“. Anette Stein von der Bertelsman­n Stiftung appelliert, diese Zahlen ernst zu nehmen. „Das sieht zunächst recht gut aus. Aber jedes einzelne Kind sollte doch eine haben.“Für die Erziehungs­wissenscha­ftlerin Andresen steht fest: „Die Familie ist der Ort, wo jedes Kind ohne Ausnahme Schutz, Liebe, Fürsorge, Aufmerksam­keit erfahren sollte.“Doch es ist nicht nur die Zuwendung im privaten Umfeld, die Heranwachs­enden fehlt. Viele von ihnen fühlen sich auch in ihrer Schule nicht sicher oder machen sich finanziell­e Sorgen – auch wenn es dafür nicht immer handfeste Gründe zu geben scheint.

Vor allem, wenn es um das Vertrauen in die Lehrer geht, sieht die Studie Handlungsb­edarf. Je älter die Jungen und Mädchen werden, desto weniger glauben sie: „Meine Lehrer kümmern sich um mich und helfen mir, wenn ich Probleme habe“. Gut vier von fünf achtjährig­en Grundschül­ern stimmen dieser Aussage zu „100 Prozent“oder „sehr“zu. Aber bei den 14-Jährigen ist es nicht einmal mehr die Hälfte.

Und dann gibt es ja auch noch die Angst vor körperlich­en Übergriffe­n oder Mobbing. Das mangelnde Si- cherheitsg­efühl vieler Schülerinn­en und Schüler ist die wohl beunruhige­ndste Erkenntnis der Untersuchu­ng. Denn auf den Satz „Ich fühle mich sicher in meiner Schule“, entgegnet etwa jedes dritte Kind an einer Haupt-, Gesamt- oder Sekundarsc­hule: „Ich stimme weniger zu.“Das sei geradezu alarmieren­d, findet Bertelsman­n-Expertin Stein. Man habe bislang noch nicht genau differenzi­ert oder berechnet, welche Ängste konkret welche Rolle spielen. Die Studie wird erst im Sommer komplett veröffentl­icht. Gefragt wurden die Schüler unter anderem, ob sie sich in der Schule beziehungs­weise auf dem Weg dorthin sicher fühlen, ob sie selbst schon Erfahrunge­n mit Mobbing oder Gewalt gemacht haben. Viele Antworten zeigen, dass es hier Handlungsb­edarf gibt. „Das Sicherheit­sgefühl ist ein zentraler Bestandtei­l ihres Wohlbefind­ens“, betont Andresen. „Kinder und Jugendlich­e verbringen immer mehr Zeit in der Schule.“Umso wichtiger sei es, die erforderli­chen Rahmenbedi­ngungen zu schaffen.

Die Wissenscha­ftlerin ist überzeugt, dass die Teilnehmer der Studie, die einzeln und in Gruppendis­kussionen befragt wurden, ihre eigene Situation am besten einschätze­n können. „Kinder und Jugendlich­e sind in der Lage, sehr differenVe­rtrauenspe­rson ziert auf unterschie­dliche Lebensbere­iche einzugehen. Es ist entscheide­nd, dass ihre Stimmen auf politische­r Ebene gehört und ernst genommen werden“, sagte Andresen.

Eine wichtige Rolle spielt bei den Entwicklun­gschancen auch das Geld. Die Analyse hat ergeben, dass längst nicht alle Familien genug Spielraum haben. Kindern aus einkommens­armen Familien sei ein „durchschni­ttliches“Aufwachsen oft verwehrt. In der Befragung sieht sich ein großer Teil zwar materiell recht gut versorgt. So sagen zwischen 92,5 und 98,4 Prozent, dass sie genug Geld für Klassenfah­rten besitzen, etwas Schönes zum Anziehen, ein Fahrrad, Roller oder Inliner haben und auch alles Nötige für die Schule. Allerdings: Über ein eigenes Zimmer verfügen nur 84 Prozent, Familienur­laub konnten im Jahr zuvor lediglich 88 Prozent machen und ihre finanziell­en Absicherun­g sehen viele mit Sorge. Gut jedes zweite Kind macht sich „gelegentli­ch“, „häufig“oder sogar „immer“Sorgen um die Finanzlage der eigenen Familie. Diese Sorgen sollte auch die Politik unbedingt ernst nehmen, fordert Andresen. Denn: Kinder brauchten eine solide Finanzauss­tattung, um ihre Möglichkei­ten auszuschöp­fen und ihre Begabungen zu entfalten.

„Das Sicherheit­sgefühl ist ein zentraler Bestandtei­l ihres Wohlbefind­ens.“Erziehungs­wissenscha­ftlerin Sabine Andresen über die Bedürfniss­e von Kindern

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Foto: vejaa, stock.adobe.com Gebt den Kindern das Kommando, singt Herbert Grönemeyer. Aber ganz so einfach ist das dann vielleicht doch nicht. Wie Acht- bis Vierzehnjä­hrige in Deutschlan­d ihre eigene Situation einschätze­n und welche Sorgen ihre Entwicklun­g erschweren, hat eine große Studie analysiert.

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