„Du sollst freie Tage nicht aufschieben“
Urlaub kann nicht mehr automatisch verfallen. Stattdessen muss der Arbeitgeber darauf achten, dass Mitarbeiter ihn nehmen. Die Juristin Barbara Kühl erklärt, welche Rechte gelten
Frau Kühn, das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass nicht beantragter Urlaub nicht mehr verfallen kann. Überrascht Sie das?
Barbara Kühn: Die Position des deutschen Rechts war lange klar: Ein Arbeitnehmer muss seinen Urlaub selbst beantragen. Der Arbeitgeber muss den Mitarbeiter nicht dazu anhalten, seine Erholungszeit auch zu nehmen. Doch der Europäische Gerichtshof hatte im November 2018 anders entschieden: Der Anspruch auf Urlaub verfällt nicht automatisch, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht beantragt. Beim aktuellen Prozess stand deshalb die Frage im Raum, inwieweit ein Arbeitgeber dafür verantwortlich ist, dass ein Angestellter seinen Urlaubsanspruch auch nutzt. Der Prozess am Bundesarbeitsgericht war daher eher formal. Das deutsche Recht musste sich mit diesem Urteil an die europäische Regelung angleichen.
Was bedeutet das Urteil nun konkret für das Arbeitsverhältnis?
Kühn: Arbeitgeber sind jetzt gut beraten, schon am Anfang eines Jahres Angestellte dazu aufzufordern, ihren Urlaub zu planen. Sie sollten im- mer wieder einen Blick auf die verbleibenden Urlaubstage werfen.
Können Arbeitgeber Urlaubsansprüche streichen oder kürzen?
Kühn: Nein. Urlaubstage dürfen nicht grund- und ersatzlos gestrichen werden. Urlaubsansprüche können aber nach einer gewissen Frist verfallen. Der laufende Urlaub muss noch im laufenden Jahr in Anspruch genommen werden. Das Gesetz ist in seiner Botschaft ganz klar: Du sollst dich im Urlaub erholen und freie Tage nicht bis zum SanktNimmerleins-Tag aufschieben. Ausnahmen gibt es nur, wenn man Urlaub aus triftigem Grund nicht nehmen konnte, zum Beispiel aufgrund einer Krankheit. Der Stichtag, an dem der Urlaub laut Gesetz spätestens verfällt, ist der 31. März des nächsten Jahres. Doch es gibt Ausnahmen. Bei längerer Krankheit, die im alten Jahr begonnen hat und sich über den 31. März des Folgejahrs hinzieht, verfällt der Urlaub aus dem Vorjahr nicht Ende März. Der Europäische Gerichtshof hat bestimmt, dass dann der Alturlaub bis zu 15 Monate über das Jahr hinaus noch angetreten werden darf. Was bedeutet das konkret?
Kühn: Ein Beispiel: Ein Arbeitnehmer ist 2017 erkrankt und er bleibt das ganze Jahr 2018 arbeitsunfähig. Dann würde sein Urlaub aus 2017 erst am 31. März 2019 verfallen. Und dann gibt es noch ein weiteres Schlupfloch: Wenn ein Arbeitgeber es immer duldet, dass seine Arbeitnehmer Urlaubstage erst im nächsten Jahr in Anspruch nehmen, kann sich ein Beschäftigter im Streitfall auf diese gängige Praxis berufen.
Kann ein Angestellter selbst bestimmen, wann er Urlaub nimmt?
Kühn: Grundsätzlich ja, doch es gibt Ausnahmen. Aus betriebsbedingten Gründen kann der Arbeitgeber verlangen, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaub zu einem anderen Zeitpunkt nimmt. Das gilt dann, wenn saisonal, etwa vor Weihnachten, mehr Arbeit anfällt oder mehrere Arbeitnehmer zum gleichen Zeitpunkt freihaben wollen. Aber Selbstbeurlaubung ist nicht erlaubt. Der Arbeitnehmer muss immer erst einen Antrag stellen.
Wie steht es um den Urlaub bei Elternoder Pflegezeit? Kühn: Die Elternzeit oder Pflegezeit ist juristisch als „ruhendes Arbeitsverhältnis“definiert, der Vertrag besteht fort. Deshalb besteht auch grundsätzlich ein Anspruch auf Urlaub – doch der Arbeitgeber kann ihn anteilig kürzen. Allerdings darf er nur dann Urlaubszeiten streichen, wenn er den Angestellten rechtzeitig darüber informiert hat, und zwar vor Antritt der Eltern- oder Pflegezeit. Nachträglich ist eine Kürzung nicht möglich.
Kann mich mein Arbeitgeber dazu verpflichten, auch im Urlaub zu arbeiten? Kühn: Hier ist das Gesetz sehr klar: Kein Mensch muss sich um seine Arbeit kümmern, wenn er sich im Urlaub befindet. Viele Angestellte tun es dennoch, oft aus Loyalität. Doch Urlaub ist eben gekennzeichnet von zwei wesentlichen Aspekten: Freizeit mit Bezahlung.
Interview: Veronika Lintner