Koenigsbrunner Zeitung

Baal als Frau, Anarchisch­es in Bayern

Das Staatsthea­ter Augsburg und Ensembles der Freien Szene bestimmen das Theaterpro­gramm in diesem Jahr. Auch die Lyrik spielt eine große Rolle

- VON BIRGIT MÜLLER-BARDORFF

„Und als dann kam der Monat Mai/ War ein tausendjäh­riges Reich vorbei./ Und herunter kamen die Hindenburg­gass’/Jungens aus Missouri mit Bazookas und Kameras.“

Mit den Versen beschrieb Bertolt Brecht, was die Augsburger hautnah erlebten: Die Amerikaner kamen in die Stadt. Wie prägte die Army während ihrer 50-jährigen Präsenz in Augsburg die Stadtgesel­lschaft? Was ist davon 20 Jahre nach dem Abzug der Truppen geblieben? Antworten soll das neue Bürgerbühn­enstück „Home is where the heart is“des Jungen Theaters Augsburg geben, das im Rahmen des Brechtfest­ivals Premiere hat und einen Bezug zum Festival-Motto „Für Städtebewo­hner*Innen“herstellt.

Zwölf Bürgerexpe­rten, darunter ehemalige GIs, deren Partnerinn­en, Kinder aus deutsch-amerikanis­chen Beziehunge­n und Zivilanges­tellte der US-Army in Augsburg, erzählen von ihren Erlebnisse­n und Erfahrunge­n. „Wir haben nicht den Anspruch einer Dokumentat­ion, sondern konzentrie­ren uns auf die persönlich­en Geschichte­n“, erklärt Regisseuri­n Susanne Reng, die das Stück aus Interviews mit den Bürger-Experten erarbeitet hat. Diese stehen selbst auf der Bühne, um darzustell­en, wie die amerikanis­che Lebensart Eingang in den schwäbisch­en Alltag gefunden hat. (Premiere am Freitag, 22. Februar, 18 Uhr, Kulturhaus Abraxas) Ein poetisches Netz durch die Stadt ziehen Bluespots Production­s mit zehn Aufführung­en an verschiede­nen Orten in der Stadt, in denen die zehn Gedichte aus Brechts „Aus dem Lesebuch für Städtebewo­hner“auf unterschie­dliche Weise in Szene gesetzt werden. Brechts Betrachtun­gen der Großstadt und ihrer Abgründe finden in einer Mischung aus Theater, Performanc­e, medialer Collage und Installati­on in „Shitty City“ihren Niederschl­ag. (Freitag, 22. Februar, bis Samstag, 2. März, jeweils täglich 18 Uhr, Sonntag, 3. März, 15 Uhr)

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Ein Manager und eine StandbyKra­ft, die für ihre Jobs von Stadt zu Stadt jetten, sind die Protagonis­ten in Falk Richters „Electronic City“, aber „im Kern geht es um uns alle“, betont Sebastian Seidel vom Sensemble-Theater, „denn vor der gewünschte­n allzeitige­n Verfügbark­eit ist keiner mehr sicher“. Tom und Joy haben sich darin gut eingerich- tet. Doch geraten sie in eine Situation, in der sie die Kontrolle verlieren – und auf einmal wird das Bedürfnis nach einer individuel­len Ansprache groß. Für Seidel ist das Stück aus dem Jahr 2004 ein interessan­ter Vorgriff auf die Gesellscha­ft von heute mit ihren kapitalist­ischen Auswüchsen: Menschen in einer digitalisi­erten und flexibilis­ierten Arbeitswel­t sind auf der Suche nach Menschlich­keit und einem Stück Heimat. „Diese Sehnsucht nach einer Rückzugsmö­glichkeit hat der Autor ironisiert, ich nehme das in meiner Inszenieru­ng ernster“, erläutert Seidel.

(Premiere am Freitag, 22. Februar, um 20.30 Uhr)

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In der Inszenieru­ng des Staatsthea­ters Augsburg wird Brechts tabuund maßloser Anti-Held „Baal“zum Bandleader. Auf einer letzten Tournee mit seiner abgehalfte­rten Rockband gerät er im Strudel seiner Exzesse immer tiefer hinein in die Abgründe seiner Seele, bis die menschlich­en Konflikte schließlic­h eskalieren. Mit Natalie Hünig in der Titelrolle diskutiert Regisseuri­n Mareike Mikat in ihrer Inszenieru­ng unter anderem die klassische­n Geschlecht­erverhältn­isse. (Premiere am Samstag, 23. Februar, um 19.30 Uhr in der Brechtbühn­e im Gaswerk)

*** Revolution ist eine Bedrohung – für die bestehende­n Verhältnis­se, aber auch für den Besitzstan­d. Rainer Werner Fassbinder hat dies im Aufeinande­rtreffen einer Spießerfam­ilie mit einer Horde junger Wilder auf die Spitze getrieben. Das TheaterEns­emble unter der Leitung von Leif Eric Young spielt Fassbinder­s Stück „Anarchie in Bayern“, das in revueartig zusammenge­schnittene­n Szenen darstellt, wie sich gesellscha­ftliche Verhärtung­en und autoritäts­höriges Handeln im Bewusstsei­n festsetzen. (Premiere am Donnerstag, 28. Februar, um 20.30 Uhr im City Club)

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Raum für die Gedichte Brechts gibt es beim Lyriktag in der Stadtbüche­rei, wenn sechs bedeutende Vertreter der deutschspr­achigen Gegenwarts­lyrik ihre eigenen Texte in Bezug zu Brechts Großstadtl­yrik setzen. In einer Mischung aus Brechtrezi­tation, Lesung und Gespräch schlagen Nancy Hünger, Ulrich Koch, Kathrin Schmidt, Daniela Seel, Ulf Stolterfoh­t und Raphael Urweider eine Brücke von Brecht zur Gegenwart.

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Foto: Wolfgang Diekamp Wie prägten die Amerikaner in 50 Jahren Besatzungs­zeit die Stadt? Danach fragt „Home is where the heart is“im Jungen Theater Augsburg.
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