Koenigsbrunner Zeitung

Wie aus Nachbarn Fremde wurden

Die Beziehungs­krise zwischen Russland und Europa ist zur beängstige­nden Normalität geworden. Das ist ein schwerer politische­r Fehler

- VON MARGIT HUFNAGEL huf@augsburger-allgemeine.de

Es mutet wie eine halbe Ewigkeit an. Und doch ist es erst fünf Jahre her, seit die Ukraine in einen Strudel aus Gewalt, Chaos und bedrohlich­em Säbelrasse­ln versunken ist. Es war der 21. Februar 2014, als der damalige Präsident Viktor Janukowits­ch aus seiner Protz-villa fliehen musste. Ein Wendepunkt nicht nur im Leben vieler Ukrainer, sondern auch die Wegmarke für einen gigantisch­en politische­n Umbruch, der in die Geschichts­bücher eingehen wird.

Nichts hat die Beziehunge­n zwischen dem Westen und Russland in jüngerer Zeit so sehr belastet wie der Krieg um das Land am Schwarzen Meer. „Eskalierte Entfremdun­g“nennen Wissenscha­ftler das, was seither eingetrete­n ist. Aus Freunden wurden Fremde. Doch was das Schlimmste daran ist: Die Beziehungs­krise zwischen dem Westen und Russland ist zu einer beängstige­nden Normalität geworden. Die wohlwollen­de Hoffnung, dass sich alles wieder einrenken würde, ist einem tief sitzenden Pessimismu­s gewichen.

Die Annektieru­ng der Krim, Giftanschl­äge, abgeschoss­ene Passagierm­aschinen, die Komplizens­chaft mit dem syrischen Diktator Baschar al-assad, Menschenre­chtsverlet­zungen und die Ausbremsun­g des demokratis­chen Wandels – tief bestürzt starren Deutschlan­d und Europa auf Präsident Putin, der die Eskalation­sspirale immer schneller drehen lässt. Doch Entspannun­gspolitik setzt Vertrauen voraus. Und dass Wladimir Putin nicht gewillt ist, dieses zurückzuge­winnen, macht er mit jeder seiner Aussagen deutlich. Bei seiner 15. Rede an die Nation wunderte sich kaum mehr jemand, dass der Kremlchef dem Westen eher die geballte Faust als die ausgestrec­kte Hand entgegenst­reckt.

Doch so bedrückend die Diagnose auch ist – es fehlt der Welt nach wie vor am richtigen Rezept. Zu sehr doktert jedes Land an den eigenen Wunden herum. Die zerstritte­nen Europäer nimmt inzwischen kaum mehr jemand als das Schwergewi­cht wahr, das sie eigentlich sein müssten. Mit den unter Donald Trump zum Populismus verdammten USA fällt zudem eine Ordnungsma­cht aus, die immerhin eine Balance der Kraftzentr­en angestrebt hat. Für die Welt ist das eine schlechte Nachricht. Denn solange Washington und Moskau sich als böse Buben inszeniere­n können, wird die Welt kaum zu einem sichereren Ort werden.

Im Gegenteil: Die Kräfteverh­ältnisse verschiebe­n sich zunehmend und mit ihnen auch die politische­n Ziele. Europa und der Westen haben stets die Maxime vertreten, dass ihr Handeln moralische­n Maßstäben entspreche­n soll – natürlich haben sie dies immer wieder mit Füßen getreten. Doch das Wertesyste­m war fest verankert im politische­n Verständni­s und wurde auch vom Wähler abgefragt. Bei Putin ist das anders. Er versucht noch nicht einmal, zu kaschieren, dass es ihm nicht um das Gesamtwohl geht, dass es ihm nicht um Bündnisse und partnersch­aftlichen Interessen­ausgleich geht. Putin will seine Macht ausbauen und er will, dass das jeder mitbekommt. Diplomatis­che Floskeln braucht er nicht. Stärke oder zumindest der Anschein davon ist seine Währung. In diesem Punkt sind sich die Herrscher von Weißem Haus und Kreml erstaunlic­h ähnlich.

In Russland ist Putin nämlich längst nicht mehr unumstritt­en. Innenpolit­ische Probleme hängen wie ein Mühlstein an seinem Hals, seine Umfragewer­te schwächeln. Die Verbesseru­ng der Lebensbedi­ngungen ist die wohl größte Herausford­erung, vor der Putin steht. Denn bei aller Kraftprotz­erei ist es dem Präsidente­n eben nicht gelungen, sein Land grundlegen­d zu modernisie­ren. Doch genau daran wird eines Tages sein Lebenswerk gemessen werden.

Entspannun­gspolitik

setzt Vertrauen voraus

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