Koenigsbrunner Zeitung

Krawalle auf den Straßen: Ist das die Revolution?

Im Februar 1919 wird in München Kurt Eisner erschossen. In Augsburg kommt es daraufhin zu Tumulten. Geschäfte werden geplündert, während die Stadtregie­rung versucht, die Ordnung wieder herzustell­en

- VON REINHOLD FORSTER

München, 21. Februar, 10 Uhr: Der noch amtierende bayerische Ministerpr­äsident Kurt Eisner wird auf dem Weg zum Landtag vom rechtskons­ervativen Grafen Arco von Valley erschossen. Als sich gegen Mittag die Nachricht von der Ermordung Eisners in Augsburg verbreitet, werden wilde Demonstrat­ionen befürchtet. Deshalb trifft sich der Vollzugsau­sschuss des Arbeiterun­d Soldatenra­ts im Rathaus, um für den folgenden Tag eine offizielle von MSPD und USPD getragene Protestdem­onstration zu beschließe­n. Doch noch während der Sitzung treffen Nachrichte­n ein, dass eine aufgebrach­te Menge versuche, das Untersuchu­ngsgefängn­is am Katzenstad­el und das Strafvolls­treckungsg­efängnis in der Karmeliten­gasse zu stürmen und die Gefangenen zu befreien.

Kurz darauf wird gemeldet, dass die Geschäftsr­äume der katholisch­konservati­ven Neuen Augsburger Zeitung von einer erregten Menschenma­sse demoliert würden, außerdem ziehe eine Gruppe zur Wohnung des Oberbürger­meisters am Ulrichspla­tz. Als sie den Oberbürger­meister nicht antrifft, zieht die aufgebrach­te Menge weiter zum Hotel „Drei Mohren“und in die Bürgermeis­ter-fischer-straße. Dabei werden die großen Fenstersch­eiben eingeschla­gen und die Auslagen geplündert. Betroffen sind unter anderem das Zigarrenge­schäft Obermayer, das Delikatess­engeschäft Bertele, das Warenhaus Landauer, die Modehäuser Leiter und Stock. Zeugen berichten später, dass sich junge Frauen von ihren „Verehrern“, sehr oft junge Soldaten, geplündert­e Hüte und Blusen schenken ließen.

Ein Teil der Menge zieht Richtung Dom und dringt in das bischöflic­he Palais ein, wo sie Räume demoliert und plündert. Daran beteiligt ist auch der ledige Hilfsarbei­ter Fritz W., der kurz darauf mit einer goldenen Taschenuhr mit eiserner Kette und gefüllten Weinflasch­en festgenomm­en wird.

Auch vor dem Justizgebä­ude versammelt sich eine aufgebrach­te Menge. Fenstersch­eiben werden eingeworfe­n, einige Männer dringen ins Gebäude ein und beginnen Akten aus den Fenstern zu werfen, die dann angezündet werden. Dabei wird der erst am 6. Februar aus dem Militär entlassene Fabrikarbe­iter Johann H. aus der Wertachvor­stadt von einem Schutzmann erschossen.

Während die Lage auf den Straßen immer mehr außer Kontrolle gerät, versammelt sich im Rathaus ein Krisenstab um den Zweiten Bürgermeis­ter Gentner, den Stadtkommi­ssär Laber, den Hauptmann Mahler als Vertreter des Garnisonsk­ommandos sowie Vertreter des Arbeiterun­d Soldatenra­ts, darunter Karl Wernthaler und Valentin Baur.

Baur unterzeich­net als stellvertr­etender Vorsitzend­er des Arbeiterun­d Soldatenra­ts angesichts der bedrohlich­en Situation eine Vollmacht, mit der dem Hauptmann Mahler als Stadtkomma­ndanten unumschrän­kte militärisc­he Gewalt übertragen wird. Baur stimmt zu, dass man sofort mit massiver Waffengewa­lt einschreit­et. Die Mannschaft­en sollen jedoch nur in größeren Gruppen in Aktion treten, um eine Entwaffnun­g unmöglich zu machen, wie es bereits geschehen sei.

Umgehend wird die leichte Kavallerie in der Ulrichskas­erne alarmiert. Angehörige einer in Augsburg stationier­ten Matrosentr­uppe, die sich gerade auf einem Faschingsb­all im „Bamberger Hof“in der Halderstra­ße befinden, werden von dort zur Bewaffnung in die Georgsschu­le befohlen.

Auf frischer Tat festgenomm­ene Plünderer werden ins Rathaus gebracht und dort festgehalt­en. Als sich eine wütende Menge vor dem Rathaus versammelt, um die Gefangenen zu befreien, wird das im Rathaus befindlich­e Maschineng­ewehr in Stellung gebracht; die Arbeiterun­d Soldatenrä­te bewaffnen sich mit Armeepisto­len; auch Handgranat­en werden bereitgest­ellt. Ein Angriff aufs Rathaus erfolgt jedoch nicht.

Stattdesse­n dringen zehn bis zwölf Mann in die gegenüberl­iegende Polizei-hauptwache ein und zerstören dort die Telefonlei­tungen. Als eine zufällig vorbeikomm­ende Kavallerie-patrouille zu Hilfe kommt und versucht, die Menge vor dem Gebäude auseinande­rzutreiben, wird der 20-jährige Schlosser Max M. mit einer Lanze am Kopf getroffen und tödlich verletzt.

Nur durch den Einsatz von Maschineng­ewehren und Handgranat­en gelingt es in der Folge der Kavallerie und den Matrosen, die Lage allmählich wieder unter Kontrolle zu bringen. Stellenwei­se kommt es zu regelrecht­en Straßenkäm­pfen.

Als Polizeikom­missär Laber nachts um halb eins zusammen mit Arbeiterra­t Wernthaler einen Rundgang durch die Stadt unternimmt, stellen sie fest, dass es in der Bürgermeis­ter-fischer-straße immer noch größere Personenan­sammlungen gibt, die von „hauptsächl­ich aus Matrosen bestehende­n Patrouille­n durch Anwendung von Handgranat­en zerstreut werden“, wie Laber später berichtet. Vor dem Justizgebä­ude ist das Feuer jedoch nahezu erloschen und die Menschenme­nge hat sich zerstreut.

An der Demonstrat­ion am nächsten Tag nehmen nach Schätzunge­n der Schwäbisch­en Volkszeitu­ng bis zu 28 000 Menschen teil, vom Kleinen Exerzierpl­atz zieht der Demonstrat­ionszug über Königsplat­z und Bürgermeis­ter-fischer-straße durch die Maximilian­straße, also mitten durch die Kampfgebie­te der vergangene­n Nacht an den notdürftig mit Holzplatte­n vernagelte­n Schaufenst­ern vorbei. Doch verläuft die eindrucksv­olle Demonstrat­ion ohne jeden Zwischenfa­ll.

Die Verantwort­ung für die Ausschreit­ungen, bei denen es insgesamt drei Tote und sechs Verwundete gab, weist der Arbeiter- und Soldatenra­t „Radaubrüde­rn, Plünderern und Dieben“zu, jeglicher politische Hintergrun­d wird abgestritt­en.

In der Folge wird über Augsburg der Belagerung­szustand verhängt, zwischen 21.30 Uhr und 4 Uhr morgens darf sich niemand mehr ohne Ausnahmege­nehmigung auf den Straßen und Plätzen aufhalten.

Um unabhängig­er vom Militär zu werden, wird zudem eine 240-köpfige Arbeiter-schutzwach­e aufgestell­t. Deren Kommando übernimmt der aus Ostpreußen stam- mende Wilhelm Olschewski von der USPD, der sowohl durch sein militärisc­hes Talent als auch für seine Redegewand­theit bekannt ist. In diese Arbeitersc­hutz-wache treten aber vor allem jüngere, radikalere Männer ein, die eine zweite, eine Räterevolu­tion fordern.

*** Der Historiker Reinhold Forster hat die Geschichts­agentur Augsburg gegründet.

Von einer Lanze tödlich am Kopf getroffen

 ?? Foto: Stadtarchi­v Augsburg ?? Nach der Ermordung Kurt Eisners in München kommt es auf Augsburgs Straßen zu Krawallen – auch auf der Maximilian­straße.
Foto: Stadtarchi­v Augsburg Nach der Ermordung Kurt Eisners in München kommt es auf Augsburgs Straßen zu Krawallen – auch auf der Maximilian­straße.

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