Behinderte Sabine Hübner verliert Stelle bei der Stadt
Warum Arzthelferin Sabine Hübner verärgert über das Gesundheitsamt ist. Die Stadt sieht sich als sozialer Arbeitgeber. Vermittler der Arbeitsagentur berichten von verbreiteten Vorurteilen
Sabine Hübner war am Boden zerstört. Die 32-jährige Arzthelferin hat vier Jahre lang im städtischen Gesundheitsamt gearbeitet – bis Ende vergangenen Jahres. Doch dann verlor sie ihren Job und musste sich arbeitslos melden. Das Problem: Die Augsburgerin leidet unter einer seltenen Krankheit und ist deshalb körperlich schwerbehindert. Für sie ist es besonders schwierig, eine neue Stelle zu finden.
Sabine Hübner sagt, sie habe gerne im Gesundheitsamt gearbeitet. „Aber jetzt bin ich enttäuscht von der Stadt als sozialer Arbeitgeber.“Mitleid will sie nicht. Aber sie will mit ihrem Fall an die Öffentlichkeit gehen, um auf den Umgang mit Behinderten im Arbeitsleben aufmerksam zu machen.
Im städtischen Gesundheitsamt sei sie immer über jährlich befristete Arbeitsverträge beschäftigt gewesen. Zunächst habe sie eine Vollzeitstelle bekommen, dann seien ihre Arbeitszeiten immer weiter heruntergefahren worden – bis auf eine Halbtagsbeschäftigung. Ende 2018 war dann Schluss: Sabine Hübner bekam keinen weiteren Arbeitsvertrag mehr. „Offiziell ist mir kein Grund genannt worden“, ärgert sich die Augsburgerin. Sie vermutet, dass ihre schwere Behinderung der Grund sein könnte.
Die Augsburgerin leidet unter der sogenannten „Friedreich-ataxie“. Diese seltene, degenerative Erkrankung des zentralen Nervensystems wurde bei ihr im Alter von 22 Jahren festgestellt. „Die Diagnose war ein Schock für mich“, erzählt sie. „Die Ärzte sagten mir, dass ich keinerlei Heilungschancen habe und dass sich die Krankheit verschlimmern wird.“
Die Friedreich-ataxie ist in der Regel von verschiedenen Symptomen begleitet, etwa von Störungen des Nervensystems und des Bewegungsapparates. Fachleute sprechen davon, dass es bei Betroffenen auch zu Wesensveränderungen kommen kann. Trotz allem lässt sich die 32-Jährige von ihrem schweren Schicksal nicht unterkriegen. Im Gespräch hat sie eine angenehme Art, auf andere Menschen zuzugehen. Auch wenn sie sich mit dem Gehen generell inzwischen sehr schwer tut und auf einen Rollator angewiesen ist. Trotz Behinderung sei sie mit der Straßenbahn von Hochzoll in die Arbeit gefahren, sagt Sabine Hübner. Sie habe nie eine besondere Ausstattung an ihrem Arbeitsplatz verlangt und sei flexibel gewesen, was mögliche Einsatzbereiche angeht.
Die Arzthelferin kann nicht nachvollziehen, warum man im städti- schen Gesundheitsamt überhaupt keine Verwendung mehr für sie finden konnte, nicht einmal in Bereichen ohne Publikumsverkehr. Ende Dezember stand sie ohne Arbeit und Einkommen da. Auch die Suche nach einer neuen Stelle gestaltete sich schwierig. „Man hat mir gesagt, dass ich auf dem ersten Arbeitsmarkt nichts mehr finden werde“, sagt Hübner. Über Alternativen hat sie nachgedacht. In einer Behindertenwerkstätte fühle sie sich jedoch fehl am Platz, sagt sie.
Hat die Stadt bei Sabine Hübner als sozialer Arbeitgeber versagt? Stadtdirektor Hermann Weber teilt auf Anfrage unserer Zeitung mit, in dem konkreten Fall dürfe er aus „datenschutzrechtlichen Gründen“keine Auskunft geben. Er verweist auf allgemeine Regeln. Danach sei ein sozialer Arbeitgeber auch verpflichtet, seine Beschäftigten nur in einem „für deren Gesundheit zuträglichen Maß einzusetzen“. Dies kann Weber zufolge dann der Fall sein, wenn sich der Gesundheitszustand von Menschen mit oder ohne Behinderung negativ verändere, und das trotz therapeutischer Ange- bote, Rehabilitationsmöglichkeiten und fachärztlicher Behandlung.
Ob die Stadt Augsburg generell die Ansprüche an soziale Arbeitgeber erfüllt, lässt sich an einer Quote ablesen: Das deutsche Sozialgesetzbuch verpflichtet alle Arbeitgeber, mindestens fünf Prozent der Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen, ansonsten ist eine Ausgleichsabgabe fällig. Folgt man Stadtdirektor Weber, musste die Stadt noch nie diese Ausgleichsabgabe zahlen. Die geforderte Quote von schwerbehinderten Arbeitnehmern sei immer übererfüllt worden. Im vergangenen Jahr lag sie nach Angaben der Stadt bei fast 7,9 Prozent. Konkret seien das 509 Personen mit Behinderung (Stand Oktober 2018).
Was die Einstellung von Mitarbeitern angeht, macht die Stadt nach eigenen Angaben vom Grundsatz her keinen Unterschied zwischen Behinderten und Nichtbehinderten. Wenn ein Bewerbungsverfahren läuft und sich ein behinderter Interessent meldet, so Weber, werde dieser grundsätzlich zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Es gibt auch eine eigene Inklusionsvereinbarung der Stadt. Sie besagt, dass bei gleicher Eignung der besten Bewerber auf eine Stelle der behinderten Person der Vorzug gegeben wird.
Die Stadt hat darüber hinaus eine Gesamtschwerbehindertenvertretung. Dort betont man, dass gezielt auch schwerbehinderte Auszubildende eingestellt werden. Dafür würden immer wieder zusätzliche Ausbildungsstellen geschaffen. In diesem Jahr sei geplant, einen zusätzlichen Azubi im Rollstuhl im Geodatenamt einzustellen.
Auf der anderen Seite kann es für Schwerbehinderte besonders hart sein, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren. Das zeigt nicht nur der Fall von Sabine Hübner. Eine Anfrage bei der Arbeitsagentur in Augsburg ergibt, dass Menschen mit Behinderung zwar statistisch besser qualifiziert sind. Die Vermittler der Agentur machen aber die Erfahrung, dass es bei Arbeitgebern immer noch Bedenken gibt, Arbeitnehmer mit Behinderungen einzustellen. Oft seien Sätze zu hören wie, „den bekomme ich nicht mehr los“, oder „der ist doch immer krank und leistet schlechte Arbeit“. Diese Aussagen seien jedoch nachweislich falsch, sagt die Chefin der Augsburger Agentur für Arbeit, Elsa Kollerknedlik. Abhängig von der Art der Behinderung und deren Auswirkungen gebe es jedoch Unterschiede in der Vermittelbarkeit. Kommen zu der Behinderung noch andere Hemmnisse wie etwa veraltete berufliche Kenntnisse oder ein höheres Alter, seien die Chancen auf eine Anstellung geringer.
Sabine Hübner war trotz ihrer Erfahrungen bei der Stadt fest entschlossen, wieder einen Job zu finden. Daheim herumzusitzen und Däumchen zu drehen, das sei nichts, sagt sie. Vor Kurzem konnte sie schließlich einen Erfolg verbuchen. Sie hat eine neue Stelle bei einer Kommunikationsfirma bekommen – nach der Probezeit mit Aussicht auf einen unbefristeten Arbeitsvertrag.
Stadt zählt 509 Mitarbeiter mit einer Behinderung