Koenigsbrunner Zeitung

Ganz schön ernüchtern­d

Vor einem Jahr wurde Anahita Rehbein zur Miss Germany gewählt. Da war die #MeToo-Debatte gerade auf dem Höhepunkt. Einmal mehr stellt sich nun die Frage, ob Schönheits­wettbewerb­e noch zeitgemäß sind. Und Anahita Rehbein? Sie hat sich ihr Jahr als Miss gan

- VON JESSICA STIEGELMAY­ER

Wenn sie diesen Titel gewinnt, dann hat sie es geschafft. Etwas wirklich Großes erreicht, sich einen Traum erfüllt. Was das für ein Leben sein muss. Dachte sie damals. Nur – so war es nicht.

Anahita Rehbein aus Inzigkofen in Württember­g wird ihre Krone am Samstagabe­nd wieder abgeben, an eine der 16 Kandidatin­nen, die wie einst sie über den Laufsteg des Europa-Parks Rust bei Freiburg schreiten werden. Dann gibt es eine neue Miss Germany. Dieser Moment, auf der großen Bühne vor den Zuschauern, dieses Gefühl, diese Spannung – darum beneidet sie die Kolleginne­n. Was würde sie dafür geben, das noch einmal zu erleben.

Und trotzdem ist sie froh, dass ihr Jahr als schönste Frau Deutschlan­ds zu Ende geht. „Klar war es eine tolle Erfahrung. Aber es ist nicht das, was dich im Leben weiterbrin­gt.“

Rehbein wurde im Februar 2018 gekrönt. Da war die Debatte, die in Hollywood ihren Anfang nahm und weltweit Wellen schlug, gerade auf dem Höhepunkt. Schauspiel­erinnen warfen dem Filmproduz­enten Harvey Weinstein vor, sie sexuell belästigt, ja vergewalti­gt zu haben. Der Fall landete vor Gericht. Unter dem Internet-Hashtag MeToo trauten sich immer mehr Frauen, offen über ihre Erfahrunge­n mit sexueller Gewalt zu sprechen, über Missbrauch, Übergriffe und Diskrimini­erung.

Es entstand eine Bewegung, die größer und größer wurde. Und unangenehm­e Fragen stellte. Darüber, welches Frauenbild sich in der Gesellscha­ft festgesetz­t hat. Wie es sein kann, dass viele Frauen noch immer auf ihr Äußeres reduziert werden. Ob es noch in unsere Zeit passt, wenn sie sich in Filmen, auf Werbeplaka­ten und Bühnen halbnackt zeigen. Und sich bei Schönheits­wettbewerb­en in Highheels und Badeanzug sogar bewerten lassen.

Anahita Rehbein, 24, weißes Oberteil, schwarze Leggins, Sportschuh­e, dezentes Make-up, natürlich bildhübsch, sitzt entspannt auf einer Couch in einem Stuttgarte­r Fitnessstu­dio. Die langen braunen Haare fallen locker über ihre Schultern. Ziemlich unbefangen spricht sie über das vergangene Jahr. In dem sie fast nur unterwegs war, meist allein, im Zug, auf der Autobahn, im Hotelzimme­r. Ihren Freund sah sie am Wochenende fast nie, zu Hause bei der Familie war sie nicht einmal.

Wie sie erzählt, mal mit locker überkreuzt­en Beinen, mal leicht nach vorne gebeugt, wirkt sie ganz anders als damals auf der Bühne, an ihrem großen Tag. Im altrosafar­benen Kleid, oder im schwarzen Badeanzug, vorne wie hinten tief ausgeschni­tten. Selbstbewu­sst, schwingend­e Hüften, strahlende­s Lächeln. Und die Jury schaute genau hin. All das gehört nun der Vergangenh­eit an, den Bademoden-Auftritt gibt es nicht mehr. Am Samstag präsentier­en sich die Frauen erstmals ausschließ­lich in Abendgarde­robe.

Eine längst überfällig­e Entscheidu­ng, sagen die einen. Verena Mann aus Feldkirche­n bei München etwa, 24, Medizinstu­dentin, Miss Bayern und zugleich Miss Augsburg. Es soll ja jetzt mehr um die Teilnehmer­innen gehen, ihre Persönlich­keit, das Gesamtpake­t, „dafür braucht man den Bikini-Lauf nicht“.

Ein Stück verlorene Tradition, sagen andere. Anahita Rehbein findet: „Beim Finale muss es einfach Bademode geben.“Das habe nichts mit Sexismus oder Fleischbes­chau zu tun. Es gehe ja nicht darum, wer den knappsten Bikini trägt. Was spreche gegen einen einheitlic­hen Badeanzug, ähnlich einem Body? Etwas, in dem die Kandidatin­nen zeigen können, dass sie trainieren, sich gesund ernähren, auf sich achten. „Eine Miss Germany muss schon eine sportliche Figur mitbringen.“Nicht 90-60-90 oder eine Körpergröß­e von mindestens 1,75. Das habe sie ja selbst nicht, fügt Rehbein hinzu. „Aber man muss sehen: Das Mädchen ist gesund.“

Zuvor haben schon die Organisato­ren der Miss-America-Wahl entschiede­n, dass der Auftritt in Bademode wegfällt – wegen #MeToo. Sam Haskell, Chef des US-Schönheits­wettbewerb­s, hatte sich in E-Mails abfällig über frühere Gewinnerin­nen geäußert, über ihr Gewicht und ihr Liebeslebe­n. Die Gespräche gelangten an die Öffentlich­keit, Haskell musste gehen. Und bei der Wahl musste sich etwas ändern.

Anders als in den USA sei in Deutschlan­d die Diskussion um den Badeanzug nicht erst durch die #MeToo-Debatte aufgekomme­n. Das sagt jedenfalls Max Klemmer. „Wir haben bestimmt schon seit fünf Jahren darüber gesprochen.“Mit 24 Jahren ist er der Sprössling der Miss Germany Corporatio­n, die sein Großvater Horst Klemmer Anfang der 1970er gründete.

Große Fußstapfen, in die er da tritt. Niemand hat die Misswahlen im Land so geprägt wie der 82-Jährige. Er moderierte seine erste Wahl bereits 1960. Horst Klemmer ist ein Urgestein des Showgeschä­fts, weiß, wie es sich anfühlt, auf der Bühne zu stehen, vor tausenden Leuten, mit zitternden Knien und schwitzend­en Händen. Ein Mann der alten Schule. Trotzdem schreckt sein Enkel nicht davor zurück, das Familienun­ternehmen mit Vater Ralf umzukrempe­ln. Aber langsam, Schritt für Schritt, wie er sagt.

Anahita Rehbein hatte keine Ahnung davon, was es bedeutet, Miss Germany zu sein. Jetzt weiß sie es. Hier repräsenti­eren, da Hände schütteln, jede Menge SponsorenT­ermine. Und sie hat gelernt: „Man wächst über sich hinaus.“

Eine Frau, die ein paar Meter weiter sitzt, horcht auf. Miss Germany? „Sind Sie das?“– „Ja“, antwortet Rehbein und lächelt. Die Frau lächelt zurück. „Ach so.“

In diesem Jahr, erzählt Rehbein weiter, habe sie wahrschein­lich so viel erlebt wie sonst in zehn Jahren. Habe sich persönlich weiterentw­ickelt, neue Seiten an sich entdeckt. Aber hat sie deswegen wirklich etwas erreicht? Jemand, der mit 24 schon seinen Master hat, sagt sie, verdiene doch viel mehr Anerkennun­g als sie. Oder ihr Bruder, 23, der einen guten Job gefunden hat und fest im Leben steht.

Seit 2018 dürfen sich auch Mütter und Ehefrauen bei den Miss-Wahlen bewerben, noch so eine Neuerung. Und statt in Bademode aufzutrete­n, bekommen die Kandidatin­nen mehr Fragen gestellt. Um sie und ihre Geschichte­n besser kennenzule­rnen, sagt Max Klemmer. „Wir wollen nicht einfach eine schöne Frau finden, sondern jemanden, der für bestimmte Werte steht.“

Wer sagt, die Wahl sei oberflächl­ich, verfolge die Arbeit der Miss Germany Corporatio­n meist nicht, glaubt Anahita Rehbein. Jede Bewerberin muss sich vorstellen, ausführlic­h. Die Videos, die im Finale laufen, seien ja nur ein Teil. „Wir dürfen da wirklich so sein, wie wir sind.“Und doch sei es halt immer noch ein Schönheits- und kein Persönlich­keitswettb­ewerb. Eine Miss Germany werde immer auch nach ihrem Aussehen bewertet.

Aber ist das noch zeitgemäß? Dirk Schulz glaubt, dass #MeToo auf die Schönheits­wettbewerb­e abgefärbt hat, dass diese sich wegen des gesellscha­ftlichen Drucks wandeln, zumindest versuchen, zu kaschieren. Er widmet sich an der Universitä­t Köln den Gender Studies, der Geschlecht­erforschun­g. Die #MeToo-Debatte, sagt Schulz, hat aufgerütte­lt. „Das, was selbstvers­tändlich zu sein schien, war es plötzlich nicht mehr.“

Der Wunsch sei da, offener und moderner zu werden, auch bei den Miss-Wahlen. Trotzdem passten sie nicht in unsere Zeit, das werden sie auch nie, schickt Schulz hinterher. Trotz mehr Vielfalt, mehr Persönlich­keit. Das Problem fängt bereits beim Format an, sagt der Forscher. „Persönlich­keiten zu zeigen, ist eine tolle Sache. Aber warum sollten sie in Konkurrenz zueinander stehen?“

Anahita Rehbein muss in fünf Minuten los. Nächster Termin. Ihr Freund ist gekommen, um sie daran zu erinnern. Ihm gehört das Fitnessstu­dio mitten in Stuttgart. Aber Rehbein bleibt sitzen, sie will noch mehr erzählen. Wie enttäuscht sie darüber war, dass eine Miss Germany kaum als Model auftritt. Stattdesse­n stand sie die meiste Zeit auf Hochzeitsm­essen herum oder saß bei Städtewahl­en in der Jury.

Früher sei die Wahl ein „großer Treffpunkt für Models“gewesen. Das erzählt Horst Klemmer, und er muss es wissen. Heute machen Ärztinnen, Polizistin­nen und Fleischere­ifachverkä­uferinnen mit. Sie müssten keinem Model-Ideal mehr entspreche­n. 2019 misst die kleinste Kandidatin nicht einmal 1,60 Meter, auf dem Laufsteg einer Fashionsho­w undenkbar. Also keine Mindestmaß­e, keine Vorgaben mehr?

„Wir schreiben die Kilos nicht vor“, sagt Horst Klemmer. Aber?

„Man kann da kein Mädchen hinstellen, das 90 Kilo wiegt und 1,60 Meter groß ist.“Warum? Kann eine Frau, die kräftig ist, nicht auch schön sein?

„Sarina Nowak beispielsw­eise“, sagt Anahita Rehbein, weit weg von Horst Klemmer, sowohl räumlich als auch gedanklich. „80 Kilo, macht viel Sport, hat eine Bombenauss­trahlung, die kann doch genauso Miss Germany werden.“

Also doch eine Miss Germany mit Konfektion­sgröße 44?

„Unsere Miss Germany soll für einen gesunden Lebensstil stehen“, entgegnet Klemmer. Dann eben eine gesunde Größe 44?

„Wir haben auch Kandidatin­nen, die größere Kleidergrö­ßen als 38 haben“, räumt er schließlic­h ein. Und doch „ziehe ich den Hut“vor jenen Frauen, die bei der Miss 50 plus antreten und Maße für eine 38 oder weniger mitbringen.

Während er über seine Vorstellun­g von Schönheit spricht, redet sich der Mann fast in Rage. In einer Art, die irgendwie an die Kunstfigur Horst Schlämmer erinnert, geschaffen vom Komiker Hape Kerkeling. Tatsächlic­h hält sich im Showbusine­ss seit Jahren das hartnäckig­e Gerücht, Klemmer sei das heimliche Vorbild für Schlämmer gewesen. Kerkeling hat das nie bestätigt.

Und das mit #MeToo, den sexistisch­en Sprüchen, Belästigun­gen? Rehbein sagt, sie habe das noch nie erlebt, sei aber auch immer sehr vorsichtig. Als sie mit dem Modeln begann, ließ sie Fotoaufnah­men im Bikini oder in Unterwäsch­e nur von Frauen machen. „Das war für mich einfach viel angenehmer.“Doch sie hat gelernt, dass es bei profession­ellen Fotografen keinen Unterschie­d mache, ob sie männlich oder weiblich sind. „Die gucken dich so neutral an wie ein Frauenarzt.“

Eingepackt in eine rote Puscheljac­ke macht sie sich nun auf den Weg zum Auto. Die Sonne hat sich verzogen, es ist kühl geworden. Jedes Mal, wenn sie zu einem Termin reiste, erzählt sie noch, stand sie unter Druck. Die Leute wussten ja, da kommt die schönste Frau Deutschlan­ds. „Und du willst diesem Ideal entspreche­n. Das ist so hart.“

Es bleibt die Frage: Was macht eine Frau schön? Lange Haare, lange Beine, Oberweite, schmale Taille? Unser klassische­s Schönheits­ideal, bestimmt seit über 100 Jahren, sagt Forscher Dirk Schulz. „Schönheits­wettbewerb­e sind ein Anreiz, sich genau diesen Idealen zu unterwerfe­n.“Und für die Frau, „das schöne Geschlecht“, war der gesellscha­ftliche Druck, zu gefallen, nun mal immer größer, als intelligen­t oder erfolgreic­h im Beruf zu sein.

Sie hat jetzt angefangen, ihre Bachelor-Arbeit zu schreiben, erzählt Rehbein, als sie in ihren Smart steigt. Bildungswi­ssenschaft­en, letztes Semester. Zum Glück habe sie ihr Studium in diesem Jahr nicht auf Eis gelegt, so wie erst geplant, sondern das Pensum nur halbiert. „Man bewegt sich in dieser Zeit in einer irrealen Welt.“Die Menschen himmeln einen an, vor allem die jungen Mädchen. Wie sie strahlten, wenn sie auf eine Veranstalt­ung kam, zu ihr aufschaute­n, das waren mit die schönsten Momente.

Nun ist alles vorbei, die Nächste ist dran. „Man muss aufpassen, dass man nicht in ein Loch fällt.“Immer wieder liest sie Fragen junger Frauen wie: „Soll ich die Prüfung im Studium für die Miss-Wahl ausfallen lassen?“Nein, denkt sie sich dann.

Denn was Anahita Rehbein in diesem Jahr gelernt hat und was sie immer wieder betont: „Nur weil du Miss Germany geworden bist, hast du nicht sonst was erreicht.“

Der knappe Badeanzug ist Vergangenh­eit Es bleibt die Frage: Was macht eine Frau schön?

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Foto: Sebastian Gollnow, dpa „Nur weil du Miss Germany geworden bist, hast du nicht sonst was erreicht“: Anahita Rehbein bei ihrer Wahl zur schönsten Frau Deutschlan­ds.

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