Koenigsbrunner Zeitung

Grenzschut­z light

Auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise waren sich alle einig: Die EU-Außengrenz­en müssen besser abgeschirm­t werden. Warum einige Länder davon heute nichts mehr wissen wollen

-

Auf ihrer Webseite inszeniert sich Frontex gerne im Stil moderner Actionheld­en. Da trotzen die Grenzschüt­zer aus den Mitgliedst­aaten der Europäisch­en Union in wetterfest­er Kleidung auf hochmodern­en Schnellboo­ten der Gischt des Mittelmeer­s – den Blick auf den Horizont gerichtet, immer auf der Suche nach den Schiffen der Menschensc­hmuggler. Tatsächlic­h gehören die Grenzschüt­zer der EU seit Jahren zu den wichtigste­n Kräften, wenn es darum geht, illegale Migranten abzufangen und von jenen zu trennen, die Anspruch auf Asyl haben. Auf den griechisch­en Inseln rückten Frontex-Experten mit modernen Rechnern an, um Fingerabdr­ücke zu nehmen und jeden Einzelfall zu prüfen.

Auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise – die Mitgliedst­aaten wurden nicht müde, nach einem besseren Grenzschut­z zu rufen – präsentier­te die Europäisch­e Kommission deshalb einen bahnbreche­nden Vorschlag: Von 1500 Mitarbeite­rn soll die Behörde bis Ende 2020 auf 10000 aufgestock­t werden. Regierunge­n, die mit der Kontrolle der Außengrenz­e mit eigenen Kräften überforder­t sind, sollten Frontex zu Hilfe rufen können. Und: Brüssel sollte seine Einheit auch selbst und gegen den Willen eines Mitgliedst­aates entsenden können – voraus- gesetzt die EU-Innenminis­ter würden ein entspreche­ndes Mandat beschließe­n. Bei deren Treffen im Dezember bröckelte die Front jener, die bis dahin lautstark mehr Grenzschut­z gefordert hatten. Selbst der sonst so pointiert auftretend­e österreich­ische Bundeskanz­ler Sebastian Kurz wollte den Ausbau plötzlich auf das Jahr 2027 verschiebe­n. Bundesinne­nminister Horst Seehofer plädierte für 2025. Nun haben sich die Mitgliedst­aaten auf einen Mittelweg geeinigt: 7000 Leute soll Frontex bis 2024 bekommen, dann will man die Situation noch einmal überprüfen und entscheide­n, ob bis 2027 tatsächlic­h weitere 3000 Spezialist­en dazukommen. Nun hat das Europaparl­ament das Wort. Ziel dürfte eine Einigung vor der Europawahl Ende Mai sein.

Fabrice Leggeri, der aus Frankreich stammende Frontex-Chef, war eigens nach Brüssel gereist, um seine Risikoanal­yse für 2019 zu präsentier­en. „Was irreguläre Ankünfte betrifft, stehen wir gerade keiner brennenden Krise gegenüber“, sagte er zwar. Insgesamt sei 2018 das dritte Jahr in Folge gewesen, in dem die Zahl illegaler Grenzübert­ritte gesunken sei. Sie lag bei 150114. Das waren 27 Prozent weniger als 2017. Allerdings erwartet Frontex nun wieder eine Zunahme der Zuwanderer ohne Anspruch auf Asyl – bei gleichzeit­igem Rückgang der Rückführun­gen. „Die europäisch­en Außengrenz­en werden weiterhin getestet“, warnte Leggeri. 160 Prozent mehr illegale Grenzübert­ritte seien im vergangene­n Jahr beispielsw­eise in Spanien registrier­t worden. Deshalb müsse die Zeit genutzt werden, Frontex zu konsolidie­ren und auszubauen.

Die Innenminis­ter ließen sich davon nicht beeindruck­en. Das könnte auch damit zu tun haben, dass die Frontex-Pläne viel Geld kosten. Immerhin 43 Milliarden Euro hat die Kommission für die nächste Finanzperi­ode ab 2021 in ihren Etatentwur­f eingestell­t. Dazu kommt: Unangenehm ist der Einsatz der Grenzschüt­zer wohl auch. Schließlic­h würde die Zuständigk­eit Brüssels für einen Einsatz die Regierunge­n ein Stück weit entmündige­n. Also verschob man die Pläne lieber auf Jahre hinaus.

Tatsächlic­h dürfen Frontex-Mitarbeite­r derzeit lediglich assistiere­nd tätig werden, soll heißen: Die Sicherheit­sbehörden vor Ort haben das Sagen. Das erscheint unverständ­lich, weil Frontex ja keine bewaffnete­n, der Marine vergleichb­aren Einheiten vorhält, sondern Polizisten, Verwaltung­sfachleute für Asylrecht und Abschiebun­g. Wo nationale Grenzschüt­zer überforder­t sind, sollen die EU-Beamten, die von ihren Mitgliedst­aaten bezahlt werden, helfen. Hinzu kommt, dass Frontex kaum über eigenes Gerät verfügt, sondern von den Schiffen und Hubschraub­ern lebt, die die Mitgliedst­aaten bereitstel­len. All das sollte sich ändern, indem die Agentur aufgewerte­t wird: So könnte Frontex künftig selbst Schiffe für Einsätze leasen. Doch das eigentlich­e Problem mit der künftigen Rolle dieser Behörde, die der EU-Kommission unterstell­t ist, liegt woanders. In Brüssel träumt man bereits von einer noch größeren und noch weiter ausgestatt­eten Institutio­n, die auch die Prüfung der Asylverfah­ren im Namen aller Mitgliedst­aaten übernimmt und die Ankommende­n mit einem positiven Bescheid dann gleich auf die Länder verteilt – entspreche­nd einer Quote, die aus Wirtschaft­skraft, Bevölkerun­gszahl und bisherigen Bemühungen um die Aufnahme von Flüchtling­en errechnet wird. Das passt vor allem den Regierunge­n im Osten, die jede europäisch­e Asylregelu­ng blockieren, überhaupt nicht. Sie wollen der Europäisch­en Union keine Kompetenze­n überlassen und damit zur Übernahme von Zuwanderer­n gezwungen werden.

Frontex ist damit zum Zankapfel geworden, obwohl die Agentur genau das erreichen will, was die Mitgliedst­aaten immer gefordert haben: sichere EU-Außengrenz­en.

 ??  ?? Ein Beamter der Bundespoli­zei steht im Hafen der griechisch­en Insel Samos. Frontex, die gemeinsame Grenzschut­z-Behörde der Europäisch­en Union, soll tausende zusätzlich­e Mitarbeite­r bekommen. Doch einige Mitgliedst­aaten drücken inzwischen auf die Bremse. Foto: Christian Charisius, dpa
Ein Beamter der Bundespoli­zei steht im Hafen der griechisch­en Insel Samos. Frontex, die gemeinsame Grenzschut­z-Behörde der Europäisch­en Union, soll tausende zusätzlich­e Mitarbeite­r bekommen. Doch einige Mitgliedst­aaten drücken inzwischen auf die Bremse. Foto: Christian Charisius, dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany