Koenigsbrunner Zeitung

Erschütter­ndes hinter Klostermau­ern

In einem Donauwörth­er Kinderheim erlitten Mädchen und Buben brutale Gewalt. Auch zu sexuellem Missbrauch kam es. Und in der Stadt wurde weggesehen

- VON WOLFGANG WIDEMANN

Die Pädagogisc­he Stiftung Cassianeum ist in Donauwörth eine Institutio­n. 1910 gründete sie der Pädagoge und Unternehme­r Ludwig Auer (1839– 1914), um sein Lebenswerk zu sichern. Die Stiftung verwaltete unter anderem eine wissenscha­ftliche Abteilung zum Studium der Pädagogik, einen Verlag, eine Druckerei und eine Buchhandlu­ng. In dem mitten in der Stadt gelegenen Kloster Heilig Kreuz, das der Stiftung gehört, gab es aber auch ein Kinderheim. Das ist weniger bekannt.

Besser gesagt, es war weitgehend vergessen. Vielleicht wäre der bessere Ausdruck: Die Erinnerung­en daran wurden verdrängt. Denn seit Donnerstag ist endgültig klar: In dem Heim, in dem anfangs nur ein paar einzelne, später bis zu 70 Kinder lebten, passierten über Jahrzehnte hinweg schrecklic­he Dinge. Die Mädchen und Buben erlitten systematis­che körperlich­e Gewalt. „Es war so brutal, dass man einen Gruselroma­n schreiben könnte“, sagt ein ehemaliger Heimbewohn­er. Manche Kinder wurden auch sexuell missbrauch­t. Nach „draußen“drang davon nur wenig. Wenn doch, wurde weggeschau­t oder einfach nichts unternomme­n. Zu diesem Schluss kommt eine Kommission, die der Augsburger Bischof Konrad Zdarsa im April 2018 eingesetzt hat.

Nun hat die Projektgru­ppe, der mit Manfred Prexl ein ehemaliger Richter vorsteht, einen 68-seitigen Untersuchu­ngsbericht vorgelegt. In dem wird detaillier­t geschilder­t, was Kinder zwischen 1952 und 1975 erlebt haben. 14 Opfer haben sich gemeldet. Fünf von ihnen sitzen mit im Raum, als Vertreter des Bistums, der Stiftung und der Kommission die Presse informiere­n – an dem Tag, an dem im Vatikan eine AntiMissbr­auchs-Konferenz beginnt, die Papst Franziskus einberufen hat.

In Augsburg redet Generalvik­ar Harald Heinrich erst gar nicht um den heißen Brei herum. Der Bericht enthalte „zutiefst Erschütter­ndes“. Heinrich spricht von „abscheulic­hen Straftaten“, verübt von „Frauen und Männern, auch von einem Priester, deren eigentlich­er Auftrag im Sinne der Stiftung Cassianeum der Schutz und die Förderung von Kindern und Jugendlich­en gewesen wäre“. Dieser Auftrag sei in Donau- wörth nicht wahrgenomm­en worden. Leider sei in der Kleinstadt auch „schlicht weggeschau­t“worden – ein Umstand den Heinrich nur schwer nachvollzi­ehen kann.

Manfred Prexl fasst zusammen, was die Opfer aus Sicht der Kommission absolut glaubwürdi­g berichtet haben. So habe der Pädagogisc­he Direktor Max Auer – ein Enkel des Stiftungsg­ründers – zwei Buben und ein Mädchen über mehrere Jahre hinweg beziehungs­weise ein Jahr lang regelmäßig „in massiver Weise sexuell missbrauch­t“. Auer nahm das Mädchen, das zum Klavierspi­elen in die Wohnung des seit 1950 von kirchliche­n Aufgaben freigestel­lten Priesters durfte, wiederholt auf seinen Schoß, und sie musste ihn dann mit der Hand befriedige­n. Sechs weitere Frauen berichten zudem von sexuellem Missbrauch durch Mitarbeite­r der Stiftung und ältere beziehungs­weise ehemalige Heimkinder. Hinzu kommt eine „physische, psychische und soziale Gewalt“, unter der die Heimkinder zu leiden hatten.

Die Palette der Grausamkei­ten reichte vom Einsperren in einen Kellerraum bis hin zu brutalen Züchtigung­en. Die seien „keinesfall­s mit dem Hinweis auf andere Erziehungs­standards in früherer Zeit abzutun“, betont Prexl. Die beschuldig­ten, namentlich bekannten Personen konnten nicht mehr befragt werden, so Prexl. Sie sind alle bereits gestorben. Neben Max Auer handelt es sich um Veronika H., die von 1967 bis 1969 das Heim leitete und unter anderem wegen ihrer hemmungslo­sen Ohrfeigen gefürchtet war, sowie Erzieherin Edith R.

Der Bericht der Kommission ist schonungsl­os und geht über die eigentlich­en Fälle hinaus. Bereits die Gründungsi­dee vor gut 100 Jahren „darf heute als fragwürdig gelten“. Mit dem Heim sollte „die Richtigkei­t des pädagogisc­hen Konzepts des Stiftungsg­ründers erwiesen werden“. Das hohe Ansehen, das Teile der Stiftung genossen hätten, sei unbesehen auch auf das Kinderheim übertragen worden. In dem habe Max Auer schalten und walten können, wie er wollte. Die Kontrollin­stanzen – Stiftungsv­orstand und Aufsichtsr­at – hätten sich auf die Verwaltung konzentrie­rt. Die Jugendbehö­rden und Vormünder seien in dem Heim zu wenig präsent gewesen. Ein Mitarbeite­r des Jugendamts Lindau, dem sich ein Opfer anvertraut­e, und eine Lehrerin der Volksschul­e Donauwörth, die Spuren der Misshandlu­ngen am Körper eines Kinds sah, reagierten nicht. 1977 musste das Heim schließen, vor allem wegen der unzureiche­nden Verhältnis­se.

42 Jahre später zeigen sich die in Augsburg anwesenden Opfer erleichter­t, dass die Vorfälle ans Tageslicht gekommen sind. „Für mich ist das auch nach 50 Jahren Balsam für die Seele“, sagt Monika B. Freilich leidet ein Großteil der Missbrauch­ten noch heute unter psychische­n Folgen.

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Foto: Helmut Bissinger Im Kloster Heilig Kreuz (im Hintergrun­d) in Donauwörth gab es bis 1977 ein Kinderheim. Es war für Mädchen und Buben ein Ort des Schreckens.

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