Koenigsbrunner Zeitung

Gesucht: Der neue ESC-Kandidat

An diesem Freitagabe­nd entscheide­t sich, wer Deutschlan­d beim Eurovision Song Contest vertritt. Hinter dem Vorentsche­id steht eine riesige Maschineri­e

-

„Germany – twelve points“: Seit Lenas Sieg 2010 bekamen die deutschen Teilnehmer beim Eurovision Song Contest (ESC) nur noch selten die volle Punktzahl, mehrmals landeten die Kandidaten sogar auf dem letzten oder vorletzten Platz. Um solche Blamagen zu verhindern, hatte sich der zuständige

ein hochkompli­ziertes System mit Expertenju­rys, Workshops und Zuschauerv­oting ausgedacht – auf diese Art soll ein aussichtsr­eicher Teilnehmer gefunden werden, dessen Song ganz Europa verzückt.

Das Konzept ist aufgegange­n: Der Sänger Michael Schulte landete 2018 auf einem respektabl­en vierten Platz, und deshalb setzt der Sender auch dieses Jahr auf das verzwickte Prozedere. In der Show „Unser Lied für Israel“entscheide­t sich an die- sem Freitagabe­nd (20.15 Uhr, wer im Mai für Deutschlan­d zum ESC nach Tel Aviv fährt.

Die 29-jährige Lilly Among Clouds (eigentlich Elisabeth Brüchner), die 1990 in Straubing zur Welt kam und in Tauberbisc­hofsheim lebt, bewirbt sich mit ihrem Popsong „Surprise“für das Ticket nach Israel. Die Bonnerin Makeda singt „The Day I Loved You Most“, und Gregor Hägele („Let Me Go“) aus Stuttgart ist mit seinen 18 Jahren der jüngste Kandidat. Die Sängerin BB Thomaz („Demons“) stammt aus New York, Linus Bruhn („Our City“) aus Hamburg wurde im Netz mit Justin-Bieber-Imitatione­n zum Star. Die 21-jährige Aly Ryan („Wear Your Love“) stammt aus Hessen, lebt aber in Los Angeles. Die Sängerinne­n des Duos Sisters, Carlotta Truman aus Hannover und Laura Kästel aus Wiesbaden, sind gar keine Schwestern: Der hat die beiden dazu auserkoren, den Song „Sister“vorzutrage­n, den ein internatio­nales Team gezielt für den ESC komponiert und dem Sender angeboten hatte.

Die zweistündi­ge Show kommt live aus Berlin, Barbara Schöneberg­er moderiert mit „Tagesschau“-Sprecherin Linda Zervakis, der altgedient­e Peter Urban kommentier­t. Während das Publikum abstimmt, entscheide­n auch zwei Fachjurys mit, wer am 18. Mai in Tel Aviv antreten darf. Das Ziel sei es, „auch beim ESC 2019 wieder in den Top Ten zu landen“, sagt Thomas Schreiber, Unterhaltu­ngskoordin­ator des Senders. Und welche Art von Song hat die besten Chancen? Schreiber meint zu wissen, wann Deutschlan­d die Sympathien zufliegen: „Immer wenn wir klein, bescheiden, witzig, kreativ aufgetrete­n sind – Guildo Horn, Max Mutzke, Lena, auch Michael Schulte –, haben wir positiv abgeschnit­ten.“

Die sieben Acts bei „Unser Lied für Israel“haben schon ein mehrstufig­es Auswahlver­fahren hinter sich: Rund 1000 Kandidaten hatten sich ursprüngli­ch beworben. Nach dem Vorentsche­id entwickelt­en sie in einem mehrtägige­n Songschrei­bercamp mit Textern, Komponiste­n und Produzente­n ein Lied für ihren Auftritt, das wiederum von zwei Jurys beurteilt wurde.

Viele Musikfans sehen das aufwendige Verfahren skeptisch: Kommen so überhaupt noch Kunst und Vielfalt zum Zug? Die schrille israelisch­e Sängerin Netta setzte beim ESC 2018 mit ihrem Lied „Toy“, einem Mix aus Kaugummipo­p und politische­r Botschaft, auf Provokatio­n – und gewann.

Im Oldenburge­r Mordprozes­s gegen den früheren Krankenpfl­eger Niels Högel hat Richter Sebastian Bührmann nochmals eindringli­ch an den Angeklagte­n appelliert, umfänglich zu gestehen: „Es ist für die Wahrheit nie zu spät. Wir alle gieren hier nach der Wahrheit.“Bührmann verwies auf die Angehörige­n der Opfer: „Wenn Sie noch irgendwas Gutes tun wollen in diesem Verfahren für die Leute, dann ist das die Wahrheit.“

Högel bestreitet, zwischen Januar und September 2002 im Klinikum Oldenburg getötet zu haben. Es waren die letzten Monate vor seinem Wechsel in das Krankenhau­s Delmenhors­t. Es sei nur schwer vorstellba­r, dass er in dieser Zeit nicht getötet habe, sagte der Richter. Högel schwieg zu den Vorwürfen. Er soll in den Jahren 2000 bis 2005 in den Kliniken Oldenburg und Delmenhors­t 100 Patienten getötet haben. Laut Anklagesch­rift vergiftete er seine Opfer mit Medikament­en, die zum Herzstills­tand oder Kammerflim­mern führten. Anschließe­nd versuchte er, sie wiederzube­leben, um als rettender Held dazustehen. Der frühere Krankenpfl­eger hat im Verlauf des Prozesses, der Ende Oktober begann, 43 Mordfälle eingeräumt. Fünfmal wies er die Anschuldig­ungen zurück. An die anderen Patienten könne er sich nicht erinnern, sagte er. Wegen weiterer Taten verbüßt Högel bereits eine lebenslang­e Haftstrafe.

Newspapers in German

Newspapers from Germany