Als Schmetterlinge auf Dinosaurier trafen
Wie die Vorfahren der heutigen Falter vor Millionen Jahren lebten, dazu gibt es noch viele Geheimnisse. Ein großes Rätsel der Evolutionsgeschichte konnten Forscher nun lüften
Es ist ein faszinierender Anblick: In der Tropenhalle des Botanischen Gartens flattern exotische Schmetterlinge in allen Formen und Farben. Und wenn sie mal Pause machen, dann setzen sie sich gerne auf bunte Blüten. Da liegt die Frage nahe: Wer war als Erster da? Schmetterlinge oder Blumen? Lange glaubte man, dass Schmetterlinge erst mit den Blumen in die Welt gekommen seien. Forscher haben neue Beweise gefunden. Danach waren die Flattertiere schon wesentlich früher dran, zu Zeiten, als die Erde ein grüner Dschungel war.
Noch gibt die Entstehungsgeschichte der Schmetterlinge den Wissenschaftlern viele Rätsel auf. „Steinfossilien von Schmetterlingen sind sehr selten, deshalb ist über ihre Evolutionsgeschichte wenig bekannt“, sagt Biologin Regina Jäckel vom Naturmuseum in Augsburg. Dort hat man eine umfangreiche Sammlung mit Zehntausenden Faltern aus der heutigen Zeit. Das älteste Fossil im Bereich der Schmetterlinge im Naturmuseum ist eine winzige, unscheinbare urtümliche Motte. Sie ist in einem braunen Splitter von Baltischem Bernstein erhalten geblieben. Für den ungeübten Betrachter ist sie nur über eine professionelle Stereolupe zu erkennen. Regina Jäckel erzählt, es sei an die 30 Millionen Jahre her, dass dieses Insekt von fossilem Baumharz eingeschlossen und damit in Bernstein konserviert wurde.
Die urtümliche Motte aus der Bernsteinsammlung des Naturmuseums ist aber vergleichsweise jung. Wie Jäckel erklärt, sind Schmetterlinge eine noch wesentlich ältere Tiergruppe. Die ersten Kleinschmetterlinge lebten bereits im Mesozoikum, also in einer Zeit, als auch die Dinosaurier durch eine urzeitliche Landschaft streiften. Das begann vor etwa 250 Millionen Jahren. „Diese Welt kann man sich als einen tropi- schen grünen Dschungel mit Farnen, Schachtelhalmen oder Bärlapppflanzen vorstellen, aber ohne Blumen“, sagen die Museumsexperten.
Wer heute solche Urfalter finden will, braucht Forscherglück. Schmetterlinge sind zarte Wesen. Wenn sie sterben, vergingen ihre Überreste schnell, häufig noch auf der Wasseroberfläche, auf der sie schwimmen, erklären die Biologen im Naturmuseum. Nur wenn die Tiere schnell von Sedimenten oder Harzen eingeschlossen werden, können sie fossilisieren und für kommende Zeiten konserviert werden. Einer der ältesten Funde von heute noch lebenden Schmetterlingsarten ist rund 130 Millionen Jahre alt und stammt aus dem Libanon. In Deutschland wurde nun sogar ein über 200 Millionen Jahre altes Schmetterlingsfossil gefunden. Wie die Medien im vergangenen Jahr berichteten, hat eine Forschergruppe bis zu 338 Meter tief in Norddeutschlands Boden gebohrt und in den zutage geförderten Bohrkernen eindeutige Spuren gefunden: Schuppen von den Flügeln früher Lepidoptera – einer Art Motte.
Wer sich jetzt einen knallbunten Schmetterling vorstellt, der auf dem Rücken eines Dinosauriers landete, liegt jedoch falsch. Frühe Kleinschmetterlinge waren eher braungrau und unscheinbar, ähnlich wie heutige Motten. Und weil die Urmotten an ihren damaligen Lebensraum ganz ohne Blüten angepasst waren, hatten sie noch beißende Mundwerkzeuge, beispielsweise um Sporen oder Samen zu fressen, erklärt Jäckel. Heutige Schmetterlinge haben dagegen einen Saugrüssel, den sie einrollen können. Wie kam es zu dieser Veränderung?
In der Kreidezeit kamen Blütenpflanzen neu auf. Parallel dazu haben sich wohl auch neue Schmetterlingsarten ausgebreitet, die im Laufe von Millionen Jahren oft auch auffälliger gemustert waren. „Man geht davon aus, dass sich Blütenpflanzen und Schmetterlinge gegenseitig begünstigt haben“, sagt Jäckel. Forscher vermuten, dass die Falter ihren heute typischen Saugrüssel entwickelten, um den süßen energiereichen Nektar der Blüten zu trinken. Mit diesem Supersprit konnten sie wohl weitere Strecken fliegen. Generell können Schmetterlinge in der Erdgeschichte als große Überlebenskünstler gelten. Während die Dinosaurier ausstarben, stellten sich die Falter im Laufe von Millionen Jahren immer neu auf ihren sich verändernden Lebensraum ein. „Insekten haben eine schnelle Generationenfolge, deshalb können sie sich besonders gut an Umweltveränderungen anpassen“, sagt Biologe Andreas Hagens vom Naturmuseum. So hatten die Vorfahren heutiger Schmetterlinge beispielsweise noch Haare auf ihren Flügeln. Irgendwann im Erdmittelalter entwickelten sie einen Belag aus Schuppen. Über die Gründe können Wissenschaftler heute nur spekulieren.
Eine Theorie besagt, dass Schuppen auf den Flügeln den wechselwarmen Tieren eine bessere Regulation ihres Wärmehaushalts ermöglichen. Eine gute Thermoregulation sei wichtig geworden, als es vor etwa 34 Millionen Jahren auf der Erde kälter wurde, erläutern die Experten des Naturmuseums. Möglicherweise kamen die Schmetterlinge so besser mit dem damaligen Klimawandel zurecht.
Auch eine andere Überlebensstrategie in der Evolutionsgeschichte können Besucher der exotischen Schmetterlingsschau im Botanischen Garten noch heute gut beobachten: Die Falter entwickelten in Millionen Jahren verschiedene Farben und Muster – etwa um sich als grünes Blatt vor Fressfeinden besser zu tarnen, oder um mit einer besonders auffälligen Färbung Feinde zu irritieren und abzuschrecken. „Die Natur erschließt sich immer neue Nischen“, sagt Hagens.
Folgt man dem Biologen, sind Tagfalter auch nicht das neueste Evolutionsmodell der Schmetterlinge, sondern Nachtfalter. Auch das sei eine erfolgreiche Strategie, um nicht als Futter tagaktiver Arten in der Nahrungskette zu enden. Die größten Schmetterlinge der Welt sind vielleicht auch deshalb Nachtfalter – etwa der tropische Eulenfalter, auch Weiße Hexe genannt. Mit rund 30 Zentimetern Flügelspannweite ist er größer als viele Vögel. Generell sind Schmetterlinge nach Käfern die zweitgrößte Insektengruppe. Blickt Hagens auf die heutige Situation, hat er große Sorgen. Viele Schmetterlingsarten hierzulande und weltweit sind schon ausgestorben, viele vom Aussterben bedroht. Die menschgemachte Klimaerwärmung und fortschreitende Naturzerstörung seien ein großes Problem, sagt der Biologe. „Auf die sich so schnell und drastisch verändernden Umweltbedingungen werden selbst die Schmetterlinge als Anpassungskünstler nur schwer eine Antwort finden.“