Von der Lehrerin zur Krimi-Königin
Porträt Elizabeth George war fast 40, als sie ihr erstes Buch herausbrachte. Über Nacht wurde die Amerikanerin zur Bestseller-Autorin. Jetzt feiert sie ihren 70. Geburtstag
Wenn Elizabeth George am Computer sitzt und schreibt, dann blickt sie auf den Pazifik, auf tiefblaues Wasser und wilde Natur. „Manchmal“, hat sie kürzlich in einem Interview erzählt, „sehe ich Orcas vorbeiziehen“. Die Bestseller-Autorin, die heute ihren 70. Geburtstag feiert, lebt gemeinsam mit ihrem zweiten Ehemann auf Whidbey Island, einer idyllischen Insel im Nordwesten des US-Bundesstaates Washington. Fast 8000 Kilometer trennen den Ort von London, der Hauptstadt jenes Landes, über das George seit über drei Jahrzehnten so kenntnisreich schreibt, als habe sie dort, zwischen ausladenden Landsitzen, plüschigen Pubs und elitären Internaten den Großteil ihres Lebens verbracht.
Immer wieder, erzählt George oft, seien ihre Leser regelrecht entsetzt, wenn sie erfahren würden, dass sie Amerikanerin ist und England höchstens als Touristin bereist. Jedes Jahr ist sie für einige Wochen in Großbritannien und recherchiert ausführlich für ihre Kriminalromane, in deren Mittelpunkt zwei Kommissare von Scotland Yard stehen: der adelige Thomas Lynley, ein wohlerzogener, stets korrekter Ermittler, und seine Partnerin Barbara Havers, eine Frau aus der Arbeiterklasse, derb und ungehobelt, aber mit einem großen Herzen.
Seit 1988 sind in der Reihe um Lynley und Havers 21 Bücher erschienen, George hat Millionen Exemplare verkauft, die Werke wurden in 20 Sprachen übersetzt. Meist liegen die Romane pünktlich zu Weihnachten in den Läden, jede Neuerscheinung landet sofort auf den Bestseller-Listen. Die britische machte eine Fernsehserie aus der Reihe, die unter dem Namen „Inspector Lynley“auch im deutschen Fernsehen läuft. George ist eine eher spät berufene Autorin. Zwar schrieb die Amerikanerin, die im kalifornischen Silicon Valley aufgewachsen ist, schon als Kind Kurzgeschichten. Nach ihrem Studium arbeitete sie allerdings zunächst 15 Jahre als Englisch-Lehrerin. Lange, hat sie einmal erzählt, habe sie nicht genug Selbstvertrauen gehabt, um einen Roman zu schreiben. Als ihr erster Ehemann 1983 den ersten Computer kaufte, schrieb sie die Geschichte auf, die ihr bereits seit einiger Zeit durch den Kopf ging: Ein Kriminalfall, der in der englischen Oberschicht spielt. Das Werk blieb zunächst in der Schublade, erst für den Roman „Gott schütze dieses Haus“konnte George einen Verleger finden. Das Buch wurde sofort zum Erfolg, räumte mehrere Branchenpreise ab.
George blickt als Außenseiterin auf Großbritannien und charakterisiert das Land dabei besser als manch einheimischer Autor. Sie sei schlichtweg fasziniert von England, hat sie in der Vergangenheit immer wieder erzählt. Seit ihrer ersten Reise nach London im Jahr 1966 sei sie „dieser Stadt verfallen“, sagte sie vor einiger Zeit der Aktuell leidet sie mit den Einwohnern, die mitten im Brexit-Chaos stecken. „Wären die Briten schlau“, klagte George, „würden sie nach all dem Schlamassel ein weiteres Referendum abhalten“.