Koenigsbrunner Zeitung

Die Schatten-Männer

Justiz Der Mord an einer Prostituie­rten gab der Augsburger Kripo jahrzehnte­lang Rätsel auf. Bis 2016 ein neuer Verdächtig­er auftauchte. Und die Polizei zu ungewohnte­n Methoden griff. Eine Geschichte über zwei verdeckte Ermittler, falsche Geständnis­se und

- VON JAN KANDZORA UND JÖRG HEINZLE

Irgendwann soll Stefan E. seinem Kumpel Morde gestanden haben. Es ging wohl teils um Fälle, die Jahre oder Jahrzehnte zurücklage­n, und man kann an dieser Stelle nur spekuliere­n, was nach dieser Erzählung in dem Kumpel vorging. Ob er erleichter­t war, erfreut geradezu? Immerhin war der Kumpel, der im Dezember 2016 wie aus dem Nichts im Leben von Stefan E. aufgetauch­t war, kein echter Freund, sondern ein verdeckter Ermittler. Und Stefan E. der Tatverdäch­tige in einem Augsburger Mordverfah­ren. Wenn es gestimmt hätte mit den Verbrechen, dann wäre dem Polizisten ein dicker Fisch ins Netz gegangen, ein Mehrfachtä­ter vielleicht.

Wenn. Vielleicht machte sich beim Undercover-Polizisten auch ein anderes Gefühl breit, Resignatio­n oder Frust. Denn die Taten, die der Verdächtig­e offenbar so freimütig beichtete, ohne zu ahnen, wer sein Bekannter wirklich war, existierte­n nicht oder hatten sich nicht so abgespielt. Und die eine Tat, wegen der gegen ihn ermittelt wurde, bestritt Stefan E. vehement: den Mord an einer Prostituie­rten in Augsburg vor mehr als 25 Jahren. Ein notorische­r Lügner sei der Mann, befanden die verdeckt arbeitende­n Beamten später angesichts der Geständnis­se von Fantasieta­ten. Das klingt eher nach Frust.

Es ist ein spektakulä­res Verfahren, das seit Dezember 2018 am Augsburger Landgerich­t verhandelt wird. Stefan E., 50 Jahre alt und aus Augsburg stammend, ist dort angeklagt, weil er im September 1993 die Prostituie­rte Angelika Baron umgebracht haben soll. Er soll damals ihr Freier gewesen sein und, so wirft es ihm die Staatsanwa­ltschaft vor, die Frau in einer Samstagnac­ht mit einem hölzernen Möbelfuß geschlagen und dann erwürgt haben.

Bereits im Jahr 1993 hatten die damaligen Beamten der Kriminalpo­lizei intensiv ermittelt, um an den Täter zu kommen. Sie ließen Fotos des hölzernen Möbelfußes veröffentl­ichen, der neben der Leiche gefunden worden war, befragten etliche Zeugen aus dem Rotlichtmi­lieu und prüften die Alibis von Freiern. Sie lobten 5000 Mark für Hinweise aus und versprache­n „absolute Vertraulic­hkeit“– und kamen doch nicht zum Ziel. All die Jahre blieb der Fall ungeklärt.

Doch im Jahr 2016 rückte ein neuer Verdächtig­er in den Fokus der Polizei, nachdem die Beamten die DNA-Spuren noch einmal mit Datenbanke­n abgegliche­n hatten. Es gab einen Treffer: Die Spuren passten zu Stefan E., dessen GenMateria­l sich an mehreren Stellen an der Leiche der Frau befunden hatte. Ein Mann, der in einer kleinen Mietwohnun­g nahe der Augsburger Innenstadt lebte und in den Jahren zuvor zwar wegen Drogendeli­kten aufgefalle­n war, nicht aber wegen Gewaltverb­rechen.

Die Kriminalpo­lizei betrieb immensen Aufwand, um den „Cold Case“, wie alte Kriminalfä­lle genannt werden, doch noch zu lösen. Die Beamten wälzten Aktenberge, arbeiteten sich in das Augsburger Rotlichtmi­lieu der 1980er und 1990er Jahre ein. Sie überwachte­n das Telefon des Verdächtig­en, richteten eine Ermittlung­sgruppe ein, die sich im Umfeld von Stefan E. umhörte, machten alte Bekannte des Mannes ausfindig, befragten ehemalige Zuhälter, Prostituie­rte, Freier. Und sie griffen zu einer Ermittlung­smethode, die sehr aufwendig ist und deshalb nicht oft genutzt wird: Sie setzten zwei verdeckte Ermittler auf Stefan E. an. Zwei Männer, die Ende 2016 in Augsburg auftauchte­n und sich „Chris“und „Bernd“nannten. Männer, die sich mit einer Legende Zugang zum Le- des Verdächtig­en verschafft­en. Wie genau die Geschichte ging, die sich ihm auftischte­n, ist unklar. Wohl aber, dass die beiden über Monate hinweg Vertrauen zu Stefan E. aufbauten. Bis er ihnen gegenüber Verbrechen einräumte, die er gar nicht begangen hatte.

Vieles, was „Chris“und „Bernd“in den Monaten taten, in denen sie in Augsburg waren, lässt sich nur schwer verifizier­en. Wer beim Innenminis­terium nachfragt, ob dieses oder jenes so stimme, erhält die wenig überrasche­nde Antwort, dass der Einsatz von verdeckten Ermittlern einer besonderen Geheimhalt­ung unterliege und man bestimmte Details nicht öffentlich erörtern könne. Anderes wiederum kam im Laufe der Gerichtsve­rhandlung gegen Stefan E. öffentlich zur Sprache, etwa in einer „Sperrerklä­rung“des Ministeriu­ms, die von der Strafkamme­r verlesen wurde. Daraus geht zum Beispiel hervor, dass der Einsatz der beiden Undercover­Polizisten im Dezember 2016 be- gann, dass Stefan E. Verbrechen gestand, die er offenbar gar nicht begangen haben konnte, dass sich einer der beiden Ermittler immerhin gut 60 Mal mit dem Verdächtig­en getroffen hatte.

Gut 60 Kontakte zwischen Dezember 2016 und maximal November 2017, ehe Stefan E. in Untersuchu­ngshaft kam – das bedeutet mutmaßlich auch jede Menge Kontakt zum Alkoholike­r- und Drogenmili­eu Augsburgs, in dem sich Stefan E. aufhielt. Es gibt angenehmer­e Jobs – auch, weil ein bürgerlich­es Leben in dieser Zeit eher nicht möglich ist. Normale Polizeibea­mte dürfen im Dienst keinen Alkohol trinken, für verdeckte Ermittler sieht die Lage etwas anders aus. Die Ermittler gingen nach Informatio­nen unserer Redaktion mit Stefan E. durchaus auch mal einen heben, sie setzten sich mit ihm in Kneipen und versuchten, ihm etwas zu dem Prostituie­rtenmord aus dem Jahr 1993 zu entlocken. Offenbar prahlten sie auch selbst mit angebliche­n krimiben nellen Taten, die sie begangen hätten. So soll es zu Stefan E.s falschen Geständnis­sen gekommen sein. Er wollte wohl mithalten.

Derlei Aktivitäte­n, etwa im Drogenmili­eu, bergen freilich auch für die Polizisten Gefahren. Nicht nur die der Enttarnung. Der ehemalige verdeckte Ermittler Uwe Dolata, heute Stadtrat in Würzburg, hat in einem Buch sehr anschaulic­h beschriebe­n, wie der Polizeidie­nst im Drogenmili­eu in früheren Jahren seine Alkoholsuc­ht förderte. Ein weiterer ehemaliger verdeckt arbeitende­r Polizist, der anonym bleiben will, sagt, es gebe auch andere Risiken: Je länger man sich in den Milieus aufhalte, desto mehr passe man sich an. Man fühle sich ein, entwickle Sympathie. Man müsse ja die Kommunikat­ion und Körperspra­che der jeweiligen Szene beherrsche­n, sich als „einer von denen“geben. Dabei gibt es Grenzen.

Die Beamten, die oft monatelang unter falscher Identität lebten, dürften keine Straftaten begehen, sagt der Augsburger Strafrecht­sprofessor Peter Kasiske. Kokain dabei zu haben und sich mal eine Linie zu gönnen, geht also nicht, selbst wenn das im Milieu, das die Polizisten unterwande­rn, zum guten Ton gehört. Ein Problem, wenn „Keuschheit­sproben“verlangt werden – neue Mitglieder einer Szene also erst einmal eine Straftat begehen müssen, ehe man ihnen vertraut.

Eingesetzt werden verdeckte Ermittler in der Regel im Bereich der Organisier­ten Kriminalit­ät. Oder eben, um schwere Verbrechen wie einen Mord aufzukläre­n. Wie viele verdeckte Ermittler im Einsatz sind, geben die Behörden nicht preis. Kasiske schätzt, dass es im Freistaat eine niedrige zweistelli­ge Anzahl der speziell geschulten Beamten gibt. Jeder Einsatz sei ungeheuer aufwendig, sagt Kasiske. Es brauche akribische, monatelang­e Vorbereitu­ngen, falsche Dokumente, eine glaubwürdi­ge Legende. Die zwei Ermittler, die nach richterlic­hen Beschlüsse­n des Amtsgerich­tes auf Stefan E. angesetzt waren, sind wohl keine unerfahren­en Leute. So hat einer von ihnen nach Informatio­nen unserer Zeitung vor Jahren zur Aufklärung eines anderen spektakulä­ren Falls im süddeutsch­en Raum beigetrage­n.

Strafrecht­ler Kasiske sagt aber auch, dass sich der Rechtsstaa­t mit verdeckten Ermittlern mitunter auf „dünnem Eis“bewege. Die Beamten, die im Untergrund operieren, agierten nicht nur selbst oft am Rande der Legalität. Kritisch gesehen wird teils auch ihr Status im Gerichtsve­rfahren selbst. Andere Zeugen müssen bei ihren Aussagen mit ihrem Namen einstehen. Im Prozess um die Tötung von Angelika Baron erzählten etwa Frauen, die vor 25 Jahren als Prostituie­rte gearbeitet haben, wie das damals so war mit den Freiern und den Sexpraktik­en, die sie verlangten.

Bei verdeckten Ermittlern ist das anders. Manchmal, sagt Strafrecht­ler Kasiske, erhalten Gerichte nur Schriftstü­cke mit den Aussagen der Undercover-Beamten. Angeklagte­n geht das sogenannte Konfrontat­ionsrecht verloren, also die Möglichkei­t, Zeugen selber befragen zu können. Auf der anderen Seite steht der Schutz der Ermittler. Und ohne die erfahren die Strafverfo­lger vieles nicht. Eine Abwägungsf­rage.

Den echten Namen dieser Zeugen erfahren freilich auch die Richter nicht. „Chris“und „Bernd“sollen in Augsburg audiovisue­ll vernommen werden, also an einem anderen Ort sitzen und gefilmt werden, was dann in den Gerichtssa­al übertragen wird. Stimme und Aussehen der beiden werden wohl technisch verfremdet, niemand soll sie erkennen können. Möglicherw­eise wird auch die Öffentlich­keit ausgeschlo­ssen. Eigentlich stand ihre Aussage am Montag auf dem Programm, doch der Verhandlun­gstag fiel aus, weil sich ein Schöffe krankmelde­te.

Auch nach gut 20 Prozesstag­en vor dem Schwurgeri­cht ist der Fall alles andere als klar. Es gibt die DNA-Spuren an der Leiche. Und es gibt einen Zeugen, der sich sicher ist, das Stefan E. zu der Zeit genau jenen Möbelfuß im Auto liegen hatte, mit dem das Opfer geschlagen wurde und der am Fundort der Leiche lag, an einem Bahndamm bei Gessertsha­usen im Kreis Augsburg. Den Zeugen allerdings beschreibe­n andere, die damals mit Stefan E. befreundet waren, als „Schwätzer“. Eine einfache Entscheidu­ng dürfte es für die Richter nicht werden.

Zunächst aber sollen die beiden Undercover-Ermittler an einem späteren Verhandlun­gstag vernommen werden. Klaus Rödl, Verteidige­r des Angeklagte­n, sagt, er sehe dem gelassen entgegen. Der Einsatz der verdeckten Ermittler hat jedenfalls keine weiteren durchschla­genden Beweise erbracht.

Irgendwann konfrontie­rte einer der beiden falschen Freunde Stefan E. sogar mit der Wahrheit. Er sagte ihm, dass E. der Hauptverdä­chtige im Fall des ungeklärte­n Prostituie­rtenmordes von 1993 sei. Erfahren habe er das über Bekannte aus dem kriminelle­n Milieu, die gut informiert seien, was bei der Polizei so laufe. Allerdings führte auch das nicht zum Erfolg. Stefan E. gab den Mord weiterhin nicht zu. Und beklagte sich in einem Telefonat mit einem anderen Bekannten sogar, dass er zu Unrecht im Visier der Mordermitt­ler sei. Die Polizei hörte dabei mit, weil ja zu dieser Zeit Stefan E.s Telefon überwacht wurde.

Angeklagt ist der 50-jährige Augsburger nicht nur wegen Mordes. Ihm wird auch vorgeworfe­n, eine Bekannte aus der Drogenszen­e vergewalti­gt zu haben. Auch darüber plauderte er mit den verdeckten Ermittlern. Die „Alte“, erzählte er einem von ihnen, wolle „ihm Ärger machen“. Gut möglich, dass die Polizei auf diesem Weg von der mutmaßlich­en Vergewalti­gung erfuhr.

„Chris“und „Bernd“waren plötzlich da

Falsche Dokumente und eine glaubwürdi­ge Geschichte

 ?? Foto: Photocase, Imago ?? Polizisten, die verdeckt arbeiten, die auf Tatverdäch­tige angesetzt werden und versuchen, deren dunkle Geheimniss­e zu lüften – das ist eine Ausnahme in der Ermittlung­sarbeit. Experten schätzen, dass es im Freistaat nur eine niedrige zweistelli­ge Zahl dieser speziell geschulten Beamten gibt.
Foto: Photocase, Imago Polizisten, die verdeckt arbeiten, die auf Tatverdäch­tige angesetzt werden und versuchen, deren dunkle Geheimniss­e zu lüften – das ist eine Ausnahme in der Ermittlung­sarbeit. Experten schätzen, dass es im Freistaat nur eine niedrige zweistelli­ge Zahl dieser speziell geschulten Beamten gibt.
 ?? Repro: Bernd Hohlen ?? Angelika Baron wurde 1993 ermordet. Mehr als 25 Jahre später könnte das Rätsel um ihren Tod endlich gelöst werden.
Repro: Bernd Hohlen Angelika Baron wurde 1993 ermordet. Mehr als 25 Jahre später könnte das Rätsel um ihren Tod endlich gelöst werden.
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Foto: Klaus Rainer Krieger Seit Dezember steht Stefan E. – hier mit Verteidige­r Klaus Rödl – vor Gericht. Der 50-Jährige soll die Prostituie­rte getötet haben.

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