Linke zeigt Wagenknecht kalte Schulter
Analyse Die Partei verabschiedet sich vom europafeindlichen Kurs und lässt die Bewegung „Aufstehen“abblitzen. Die Fraktionsvorsitzende erlebt die Niederlage aus der Ferne
Berlin Es ist eine bittere, doppelte Niederlage für Deutschlands prominentestes linkes Politikerpaar: Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine mussten am Wochenende aus der Ferne zusehen, wie sich die Linkspartei erstens von ihrem harten europafeindlichen Kurs verabschiedete. Und zweitens zeigte sich beim Parteitag in Bonn überdeutlich, dass sich die Begeisterung für Wagenknechts Bewegung „Aufstehen“in engen Grenzen hält.
Es waren vor allem die Bundestagsfraktionsvorsitzende mit dem langen pechschwarzen Haar und der Ex-Parteichef aus dem Saarland, die an der Europäischen Union jahrelang kein gutes Haar gelassen hatten. Beim Linken-Parteitag in Bonn waren beide gar nicht dabei, Wagenknecht hatte sich wegen Krankheit entschuldigt.
An EU-Gegnern herrscht in der Partei aber traditionell kein Mangel und aus dieser Gruppe kam dann auch der Antrag, Europa im Parteiprogramm als „militaristisch, undemokratisch und neoliberal“zu schmähen. Eine Mehrheit fand sich dafür jedoch nicht.
Stattdessen einigte sich der Parteitag auf die Forderung nach einem „Neustart für die Europäische Union“. Natürlich müsse die Union in Zukunft deutlich linker werden, doch die „Antikapitalistische Linke“, die die EU am liebsten abgewickelt sähe, konnte sich nicht durchsetzen. Angesichts des Brexits sei es gar Aufgabe der Linken, die EU zu retten, hieß es.
Zur für die Linkspartei außergewöhnlich europafreundlichen Stimmung hatte auch der charismatische Ex-Parteichef Gregor Gysi beigetragen, der dazu aufrief, die EU nicht als Übel, sondern als Chance zu begreifen. Fast hätte die Linke sich sogar noch weit deutlicher zur europäischen Integration bekannt. Ein Antrag des pragmatischen „Reformer“-Flügels, eine „Republik Europa“zu schaffen, mit einer echten europäischen Regierung, erhielt immerhin stattliche 45 Prozent der Stimmen. Nur fünf Prozent hätten also gefehlt, und die Schlappe für Wagenknecht und Lafontaine wäre nicht nur bitter, sondern vernichtend gewesen.
Gegenüber unserer Redaktion sagte Oskar Lafontaine: „Wir sind uns in der entscheidenden Frage einig. Europa muss sozialer werden, damit die Zustimmung zur europäischen Idee wieder wächst.“Scharfzüngig kritisiert der 75-Jährige die Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik: „Deutschland muss aufhören, mehr Waren an die europäischen Nachbarn zu verkaufen als es selbst einkauft, weil es sonst Arbeitslosigkeit exportiert. Der deutsche Export-Nationalismus gefährdet den europäischen Zusammenhalt.“
Dass das Thema Europa die Linkspartei weiter spaltet, zeigt sich auch bei der Kür der beiden Spitzenkandidaten für die Europawahl. Özlem Demirel, die 34-jährige Deutsch-Türkin aus NordrheinWestfalen, zählt zweifellos zum europaskeptischen Lager. Dagegen ist Martin Schirdewan erklärter Reformer, der bereits im Europaparlament sitzt. Beide sind bislang politisch weitgehend unbeschriebene Blätter. Kein Unbekannter ist dagegen Martin Schirdewans Großvater Karl Schirdewan. Im Gegenteil: Er war einst in der DDR ein hoher
Anti-Europa-Antrag fiel bei den Delegierten durch
Linke Kräfte lassen sich nur schwer bündeln
SED-Funktionär und Stellvertreter von Staats- und Parteichef Walter Ulbricht. Laut Parteichef Bernd Riexinger peilt die Linke bei der kommenden Europawahl ein zweistelliges Ergebnis an, bei der letzten waren es 7,4 Prozent.
Besonders schmerzhaft für Sahra Wagenknecht dürfte gewesen sein, dass von ihrer „Aufstehen“-Bewegung auf dem Parteitag so gut wie keine Rede war. Ein einziger Delegierter zeigte sich in einer signalgelben Warnweste, dem Symbol der französischen Gelbwesten-Bewegung, die Wagenknecht als Vorbild sieht. Doch ihr Plan, linke Kräfte jenseits von Parteigrenzen zu einen, geht bislang nicht auf.
„Aufstehen“dümpelt vor sich hin. Selbst Wagenknecht-Ehemann Oskar Lafontaine räumte kürzlich „organisatorische Schwierigkeiten“ein, es gebe da noch Luft nach oben. Zwar hat die Bewegung nach eigenen Angaben inzwischen rund 170000 Unterstützer, zu Demonstrationen kommen dagegen nur wenige hundert. Grundproblem, sagen Kritiker wie Gregor Gysi, sei, dass eine Bewegung nicht von oben beschlossen werden könne. Er glaubt, dass sich die Bewegung von selbst erledigen werde.