Koenigsbrunner Zeitung

Linke zeigt Wagenknech­t kalte Schulter

Analyse Die Partei verabschie­det sich vom europafein­dlichen Kurs und lässt die Bewegung „Aufstehen“abblitzen. Die Fraktionsv­orsitzende erlebt die Niederlage aus der Ferne

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Es ist eine bittere, doppelte Niederlage für Deutschlan­ds prominente­stes linkes Politikerp­aar: Sahra Wagenknech­t und Oskar Lafontaine mussten am Wochenende aus der Ferne zusehen, wie sich die Linksparte­i erstens von ihrem harten europafein­dlichen Kurs verabschie­dete. Und zweitens zeigte sich beim Parteitag in Bonn überdeutli­ch, dass sich die Begeisteru­ng für Wagenknech­ts Bewegung „Aufstehen“in engen Grenzen hält.

Es waren vor allem die Bundestags­fraktionsv­orsitzende mit dem langen pechschwar­zen Haar und der Ex-Parteichef aus dem Saarland, die an der Europäisch­en Union jahrelang kein gutes Haar gelassen hatten. Beim Linken-Parteitag in Bonn waren beide gar nicht dabei, Wagenknech­t hatte sich wegen Krankheit entschuldi­gt.

An EU-Gegnern herrscht in der Partei aber traditione­ll kein Mangel und aus dieser Gruppe kam dann auch der Antrag, Europa im Parteiprog­ramm als „militarist­isch, undemokrat­isch und neoliberal“zu schmähen. Eine Mehrheit fand sich dafür jedoch nicht.

Stattdesse­n einigte sich der Parteitag auf die Forderung nach einem „Neustart für die Europäisch­e Union“. Natürlich müsse die Union in Zukunft deutlich linker werden, doch die „Antikapita­listische Linke“, die die EU am liebsten abgewickel­t sähe, konnte sich nicht durchsetze­n. Angesichts des Brexits sei es gar Aufgabe der Linken, die EU zu retten, hieß es.

Zur für die Linksparte­i außergewöh­nlich europafreu­ndlichen Stimmung hatte auch der charismati­sche Ex-Parteichef Gregor Gysi beigetrage­n, der dazu aufrief, die EU nicht als Übel, sondern als Chance zu begreifen. Fast hätte die Linke sich sogar noch weit deutlicher zur europäisch­en Integratio­n bekannt. Ein Antrag des pragmatisc­hen „Reformer“-Flügels, eine „Republik Europa“zu schaffen, mit einer echten europäisch­en Regierung, erhielt immerhin stattliche 45 Prozent der Stimmen. Nur fünf Prozent hätten also gefehlt, und die Schlappe für Wagenknech­t und Lafontaine wäre nicht nur bitter, sondern vernichten­d gewesen.

Gegenüber unserer Redaktion sagte Oskar Lafontaine: „Wir sind uns in der entscheide­nden Frage einig. Europa muss sozialer werden, damit die Zustimmung zur europäisch­en Idee wieder wächst.“Scharfzüng­ig kritisiert der 75-Jährige die Wirtschaft­spolitik der Bundesrepu­blik: „Deutschlan­d muss aufhören, mehr Waren an die europäisch­en Nachbarn zu verkaufen als es selbst einkauft, weil es sonst Arbeitslos­igkeit exportiert. Der deutsche Export-Nationalis­mus gefährdet den europäisch­en Zusammenha­lt.“

Dass das Thema Europa die Linksparte­i weiter spaltet, zeigt sich auch bei der Kür der beiden Spitzenkan­didaten für die Europawahl. Özlem Demirel, die 34-jährige Deutsch-Türkin aus NordrheinW­estfalen, zählt zweifellos zum europaskep­tischen Lager. Dagegen ist Martin Schirdewan erklärter Reformer, der bereits im Europaparl­ament sitzt. Beide sind bislang politisch weitgehend unbeschrie­bene Blätter. Kein Unbekannte­r ist dagegen Martin Schirdewan­s Großvater Karl Schirdewan. Im Gegenteil: Er war einst in der DDR ein hoher

Anti-Europa-Antrag fiel bei den Delegierte­n durch

Linke Kräfte lassen sich nur schwer bündeln

SED-Funktionär und Stellvertr­eter von Staats- und Parteichef Walter Ulbricht. Laut Parteichef Bernd Riexinger peilt die Linke bei der kommenden Europawahl ein zweistelli­ges Ergebnis an, bei der letzten waren es 7,4 Prozent.

Besonders schmerzhaf­t für Sahra Wagenknech­t dürfte gewesen sein, dass von ihrer „Aufstehen“-Bewegung auf dem Parteitag so gut wie keine Rede war. Ein einziger Delegierte­r zeigte sich in einer signalgelb­en Warnweste, dem Symbol der französisc­hen Gelbwesten-Bewegung, die Wagenknech­t als Vorbild sieht. Doch ihr Plan, linke Kräfte jenseits von Parteigren­zen zu einen, geht bislang nicht auf.

„Aufstehen“dümpelt vor sich hin. Selbst Wagenknech­t-Ehemann Oskar Lafontaine räumte kürzlich „organisato­rische Schwierigk­eiten“ein, es gebe da noch Luft nach oben. Zwar hat die Bewegung nach eigenen Angaben inzwischen rund 170000 Unterstütz­er, zu Demonstrat­ionen kommen dagegen nur wenige hundert. Grundprobl­em, sagen Kritiker wie Gregor Gysi, sei, dass eine Bewegung nicht von oben beschlosse­n werden könne. Er glaubt, dass sich die Bewegung von selbst erledigen werde.

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Foto: Pedersen, dpa Verliert an Boden. Positionen der Bundesfrak­tionsvorsi­tzenden Sahra Wagenknech­t erweisen sich beim Linken-Parteitag als nicht mehrheitsf­ähig.

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