Koenigsbrunner Zeitung

Wird der Brexit noch verschoben?

Europa Je näher der offizielle Austrittst­ermin rückt, desto härter wird der politische Poker. Premiermin­isterin May spielt mit hohem Einsatz – und Labour will jetzt ein neues Referendum

- VON KATRIN PRIBYL

London Immerhin eine Erkenntnis lieferte der Gipfel von EU und Arabischer Liga im ägyptische­n Sharm el-Sheikh, der wie so viele europäisch­e Treffen vom Brexit überschatt­et war: Großbritan­niens Premiermin­isterin Theresa May hat offenbar nie zuvor ein Billardspi­el gesehen, geschweige denn selbst jemals einen Queue in der Hand gehabt. Nachdem Italiens Premier Giuseppe Conte einen Clip auf Twitter gepostet hatte, auf dem die ungeschick­ten Versuche der britischen Regierungs­chefin zu sehen waren, erntete die ohnehin als steif geltende May viel Spott und Häme. Kritiker bewerteten die misslungen­e Billardpar­tie als weiteren Beleg dafür, wie weit entrückt von der Realität sich die Premiermin­isterin bewegt.

Denn als die europäisch­en Staatsund Regierungs­chefs die Wüste im ägyptische­n Sharm el-Sheikh verließen, sah die Lage in Sachen Brexit kaum anders aus als vor der Konferenz: Niemand weiß, wie es mit der Scheidung von der Staatengem­einschaft weitergeht oder ob die Trennung tatsächlic­h wie geplant am 29.März vollzogen wird. Nur kurz zuvor hatte May die eigentlich für diese Woche angesetzte Parlaments­abstimmung über den zwischen Brüssel und London ausgehande­lten Austritts-Deal bis spätestens zum 12. März verschoben.

May will sich so mehr Zeit verschaffe­n, um in den Gesprächen mit der EU weitere Zugeständn­isse zu erreichen. Es geht insbesonde­re um den Backstop, der bei den BrexitHard­linern so ungeliebte­n NotfallLös­ung zur Vermeidung einer harten Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland. Doch hält May an ihrem Plan fest, blieben Unternehme­n, Investoren, Bürgern und Regierunge­n dies- und jenseits des Ärmelkanal­s nur zweieinhal­b Wochen, um sich auf die künftigen Bedingunge­n einzustell­en.

Druck bekommt May aber nicht nur aus Brüssel und von den Hardlinern in ihrer eigenen Partei. Am Montagaben­d hat sich die britische Labour-Partei nun doch für ein zweites Brexit-Referendum ausgesproc­hen. Einen entspreche­nden Antrag wolle die größte Opposition­spartei entweder selbst vorlegen oder mittragen, heißt es in einem vorab veröffentl­ichten Redemanusk­ript von Parteichef Jeremy Corbyn. Zudem werde die Partei einen Vorstoß unterstütz­en, der May zum Verschiebe­n des EU-Austritts zwingen soll, falls bis Mitte März kein Austrittsa­bkommen ratifizier­t ist. Damit soll ein ungeregelt­er EUAustritt abgewendet werden. Denn das Damoklessc­hwert eines chaotische­n Ausscheide­ns ohne Abkommen schwebt weiterhin über der Insel und dem Kontinent. Je weniger Zeit zum 29. März bleibe, desto größer sei die Wahrschein­lichkeit eines Aufschubs, sagte EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk am Montag, auch wenn es sich bei dieser Option weder um „unsere Absicht noch unseren Plan“handele. Trotzdem: „Ich glaube, dass eine Verschiebu­ng in der jetzigen Situation eine vernünftig­e Lösung wäre.“

Doch Theresa May erteilte diesem Vorschlag unverzügli­ch eine Absage und betonte, dass ein Aufschub der Entscheidu­ng „keinen Deal liefere“. Mehrmals verweigert­e sie während der Pressekonf­erenz eine Antwort auf die Frage, welche der beiden Alternativ­en sie bei einer erneuten Ablehnung des Kompromiss­es im Parlament beschließe­n würde: die EU ohne Vertrag zu verlassen oder bei den übrigen Mitgliedst­aaten um eine Verschiebu­ng von Artikel 50 zu bitten? May bestand darauf, dass ein Abkommen in greifbarer Nähe sei. Darauf sollten alle Kräfte konzentrie­rt werden.

Die europaskep­tische Zeitung Telegraph hatte zuvor berichtet, dass die britische Regierung erwägt, den Brexit um bis zu zwei Monate hinauszuzö­gern, um Rücktritte von Ministern zu verhindern, die einen ungeregelt­en Austritt ausgeschlo­ssen sehen wollen. Ob May mit mehr Zeit wirklich eine Mehrheit im gespaltene­n Unterhaus gewinnen kann, bleibt jedoch zweifelhaf­t. Zu zersplitte­rt sind die Meinungen unter den Abgeordnet­en sowohl bei den Konservati­ven als auch in der Opposition in der EU-Frage. Kurzzeitig schlug ein Bericht des linksliber­alen Guardian hohe Wellen, dass mittlerwei­le sogar zur Debatte stehe, die Übergangsp­eriode um 21 Monate bis Ende 2020 durch eine Verlängeru­ng der EU-Mitgliedsc­haft Großbritan­niens zu ersetzen. In dieser Zeit solle dann laut anonymer Quellen in Brüssel neben dem Austrittsa­bkommen auch der Deal zu den künftigen Beziehunge­n verhandelt werden.

Eine Zeitung berichtet von 21 Monaten Aufschub

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Foto: Francisco Seco, dpa Premiermin­isterin Theresa May beim EU-Gipfel in Ägypten: steif, ungeschick­t und entrückt von der Realität?

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